Klappentext/Verlagstext
Wer hat hier, wo ich wohne, schon einmal ein Leben geführt – und wer wird diesen Ort nach mir sein Zuhause nennen? Daniel Mason erzählt in seinem neuen Roman die bewegte Geschichte eines Hauses in den Wäldern von Massachusetts. Und mit ihr von den Schicksalen, Geheimnissen und Abgründen der Menschen, die das Haus über die Jahre bewohnen.
Von einem Soldaten, der nach einer Verwundung nicht auf die Schlachtfelder zurückkehrt, sondern beschließt, sich in der Abgeschiedenheit dem Apfelanbau zu widmen. Von seinen Töchtern, Zwillingen, deren symbiotisches Leben mit dem Erwachsenwerden zunehmend Risse bekommt – und jäh in einer Tragödie endet. Von einem Reporter, der auf ein uraltes Massengrab stößt, und einem liebeskranken Maler, der einem geheimen und riskanten Verlangen nachgeht. Während sich die Bewohner des kleinen gelben Hauses mit der Schönheit und den Wundern ihrer Umgebung auseinandersetzen, beginnen sie zu erkennen, wie lebendig die Vergangenheit dieses Ortes ist. «Oben in den Wäldern» erzählt vom Wandel der Zeit, der Sprache, der Natur, und zeigt, wie stark wir durch sie auch über Jahrhunderte miteinander verbunden bleiben. Ein so sprachmächtiger wie spannender Roman, der eine zeitlose Frage stellt, die uns alle beschäftigt: Wie leben wir weiter, auch wenn wir nicht mehr da sind?
Der Autor
Daniel Mason, 1976 geboren, ist Schriftsteller und Psychiater. Bei C.H.Beck sind seine Romane "Der Klavierstimmer Ihrer Majestät" (2020) und "Der Wintersoldat" (2019) erschienenr. 2021 war er Finalist für den Pulitzer-Preis.
Schauplatz: Nähe Oakfield, an der Grenze von Maine zu New Brunswick
Inhalt
Major Osgood, Berufssoldat und Veteran der so genannten Indianerkriege in New England, war als 50Jähriger bereits ein alter Mann, als er mit Osgoods Wunder eine herausragende Apfelsorte benannte und mit kleinen Zwillingstöchtern in die Wälder von Maine zog, um dort ein Waldstück zu roden und Äpfel anzubauen. Im kleinen gelben Holzhaus waren die Osgoods nicht die ersten Bewohner; Dokumente erzählen davon, dass an diesem Ort bereits vor ihnen Menschen Schutz suchten. Ein Apfelkern, der in der Nähe des Hauses keimt, stellt die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart her.
Das Haus liegt selbst für Oakwood/Maine abgelegen. Wölfe und Luchse durchstreifen die Wälder, ein Gang oder Ritt in den nächsten Ort wird zum Tagespensum. Mary und Alice übernehmen als Erwachsene die kleine Apfelplantage, später züchten sie Schafe. Da keine wagt, aus der Zweisamkeit auszubrechen, sterben sie ohne Nachkommen. Das einfache Saltboxhaus wird später einen Landschaftsmaler beherbergen, ein weiterer Besitzer zu Roosevelts Zeiten erkennt Maine als Garten Eden für Jäger und wird eine Luxus-Lodge planen. Die Abgeschiedenheit des Hauses bietet ihren Bewohnern Zuflucht und schöpferische Freiheit. Ob die Einsamkeit der Wälder Maines psychische Ausnahmezustände eher fördert oder heilt, darüber kann man streiten. In der Gegenwart wird ein True Crime Autor und Hobbyhistoriker eine interessante Theorie zum kleinen, gelben Haus in Maine entwickeln, mit der er jedoch seiner Zeit hinterher hinkt. Masons Figuren waren ihrer Zeit voraus und werden vermutlich erst von späteren Generationen verstanden. Ein origineller Schluss versöhnt damit, dass Ort und Zeit der Ereignisse meist vage bleiben (Indianerkriege fanden zwischen dem 17. Jahrhundert und 19. Jahrhundert statt.)
Daniel Mason erzählt über die Wälder von Maine matrixartig, indem er ein Netz aus Geschichten knüpft, das – anders als ein neu geknüpftes Fischernetz - aus Seilabschnitten unterschiedlicher Länge besteht. Die Schnüre laufen kurzfristig parallel, zerfransen, lassen sich nicht unbedingt zeitlich einordnen, um später wieder aufeinanderzutreffen und erst dann den Namen der handelnden Person preiszugeben. Menschen roden die Natur, entwickeln Geschäftsideen, flüchten vor großen Gefühlen in die Einsamkeit. Diverse eingeknüpfte Textformen (Briefe, Krankengeschichten, Gedichte, Vorträge, Artikel aus Revolverblättern) liefern mehr Fragen als Antworten. Wie der Apfelkern zu Beginn sind es besonders die kleinen Lebewesen (Insekten, Sporen, Krankheitserreger), die in Masons Kaleidoskop die Elemente verbinden. „Oben in den Wäldern“ ist u. a. auch ein vielstimmiger Provinzroman, in dem bei aller Abgelegenheit des Osgoodschen Hofes kaum etwas unbeobachtet und ungesühnt bleibt. Man trifft sich im Leben stets mehr als einmal.
Fazit
An „Oben in den Wäldern“ hat mich am stärksten die Wellenbewegung beeindruckt, in der Menschen sich die Natur aneignen, irgendwann scheitern, so dass die Natur sich wieder Raum zurückerobern kann. Das Erzählen u. a. über Bäume, die mit ihrer Lebensspanne und durch ihre Nachkommen etwas Menschliches haben, finde ich in Masons neuem Schmöker entschleunigend – für Leser:innen, die Matrix-Strukturen ertragen können.