Gerrit Kouwenaar - Fall, Bombe, fall / Val, bom

  • Kurzmeinung

    drawe
    Ein Junge sehnt den Krieg als Aufbruch herbei und wird ernüchtert.
  • Über den Autor:

    Gerrit Kouwenaar (1923 - 2014) ist einer der bekanntesten und meistgelesenen niederländischen Dichter. Er schrieb zunächst einige Prosa-Werke, verfasste dann hauptsächlich Lyrik und übersetzte u.a. Werke von Brecht, Dürrenmatt, Sartre und Tennessee Williams. (Quelle: Verlag)


    Die 1950 erschiene Novelle „Fall Bombe, fall“, übersetzt aus dem Niederländischen von Gregor Seferens, wird aus dem Blickwinkel des 17-jährigen Karel Ruis erzählt. Es ist Mai 1940 und der Überfall der Deutschen auf den Niederlanden steht kurz davor. Seit Krieg in Europa ist, werden die Gedanken von Karel spürbar gewaltsamer. Machtfantasien kreisen durch seinen Kopf. Man könnte fast schon den Eindruck gewinnen, dass er es kaum absehen könnte, dass der Krieg beginnt. Doch noch ist es der normale Alltag für ihn. Schule, Hausaufgaben und damit verbundene Verpflichtungen begleiten ihn. Er verliebt sich in ein jüdisches Mädchen, das schon in den nächsten Tagen vor den einrückenden Deutschen fliehen muss. Ein Tag der für Karel alles ändert. Die erste Bombe fällt.


    Kouwenaar beschreibt sensibel, wie der Jugendliche versucht mit der neuen Situation klarzukommen. Schlagartig findet er sich in einer brutalen Wirklichkeit wieder, auf die ihm niemand vorbereiten konnte. „Kann das sein?, fragte er sich. Ist alles meine Schuld? Warum haben sie mir keinen Gott gegeben, keinen Glauben, kein Ideal? Sie haben mir nichts gegeben. Nichts als mein Leben. Ich bin siebzehn Jahre alt. Überall auf der Welt leben Menschen. Wo soll ich hingehen? Warum, dachte er, während er spürte, wie die Kälte zu seinen Lungen vordrang, warum haben sie mich so unvorbereitet in den Krieg geschickt? Warum haben sie mir nicht gesagt, was Krieg ist? Sollten sie es selbst nicht gewusst haben?“


    Mir tat der Jugendliche leid. Nicht alle seine Handlungen waren für mich nachvollziehbar, aber wer blickt da schon hinter die Gedanken eines Jugendlichen, der sich im Leben zurechtfinden versucht. Gäbe es überhaupt eine Art von Vorbereitung auf einen Krieg, auf diese Grauen, auf diese Gewalt, auf dieses sinnlose Sterben. Was macht es mit den Jugendlichen. Noch lange nach dem Lesen der Novelle habe ich über diese und andere für mich aufgeworfenen Fragen nachgedacht. Hilfreich war da auch das Nachwort des niederländischen Dichters und Literaturwissenschaftlers Wiel Kuster, der unter anderem auch auf die autobiografischen Bezüge zum Leben des Autors einging.



    Fazit:

    Ich habe das Buch mit großem Interesse gelesen. Schön wäre es, wenn sich niemand mehr auf dieser Welt über einen Krieg und seine Folgen für die Menschen Gedanken machen müsste. Leider scheint dies nicht möglich zu sein. Ein Antikriegsbuch, das noch lange mit seiner Geschichte bei mir nachhallte.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • Klappentext/Verlagstext

    Gerrit Kouwenaars Novelle erzählt die Geschichte des Jugendlichen Karel im Mai 1940 während des Überfalls der Deutschen auf die Niederlande. «Fall, Bombe, fall» ist ein wiederentdeckter Klassiker und zugleich eine erschreckend aktuelle Erzählung darüber, wie der Krieg jungen Menschen ihre Jugend stiehlt.


    Mai 1940. Der siebzehnjährige Karel ist ein Außenseiter und Sonderling, der sich Tagträumereien hingibt, um seinem Alltag zu entfliehen. Seit Krieg in Europa herrscht, bekommen seine Fantasien und Gedanken eine immer gewaltsamere Tendenz, drehen sich zunehmend um Zerstörung und Tod. Es scheint fast, als würde Karel den Überfall auf sein Land geradezu herbeisehnen. Als er sich in eine junge Jüdin verliebt, beginnt die brutale Realität dieses Krieges bedrohlich nah an ihn heranzurücken – Ria muss fliehen und Karel verliert seine erste Liebe. Was wie ein Abenteuerroman beginnt, wird zu einem Antikriegsbuch, das man nicht mehr vergessen kann. Ebenso sensibel wie schonungslos fängt Kouwenaar die naiven Sehnsüchte seines jungen Protagonisten ein und zeigt, was passiert, wenn ein Siebzehnjähriger innerhalb weniger Tage in eine grausame Reife gestoßen wird.


    "Ich bin ein perverser Dreckskerl. Ich wünsche mir entsetzliche Dinge. Hat jeder solche Gedanken? Vielleicht werden meine Wünsche wahr."


    Inhalt

    Karel Ruis hatte bis vor kurzem noch die kurzen Hosen eines Kindes getragen, als 1940 der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Niederlande seine Kindheit abrupt beendete. Während der einzelgängerische 17-Jährige austestet, ob seine Mutter dulden wird, von ihm nicht mehr respektvoll mit Sie angesprochen zu werden, deutet sein großspurig wirkender Onkel ihm bereits eine Männerrolle an, in der er Zigaretten und Alkohol konsumieren und bei dem Mahlzeiten stets die größte Portion erhalten wird. Dass nun jeder Tag der letzte sein kann, darauf ist niemand vorbereitet. Das unwirklich wirkende Brummen von Flugzeugen über dem Ort trennt die banalen Ereignisse innerhalb der Familie Ruis von Bombenopfern und Gefangenentransporten in der Außenwelt. Für den Krieg gibt es in Karls Welt noch keine Regeln; mögliche Leitfiguren versagen. Für Karel ist der Krieg zunächst abstrakt und bleibt es selbst dann, als er konkret mit dem Tod konfrontiert wird.


    Im Wechsel zwischen Erzählperspektive und Karels Innensicht entfaltet sich auf nur 124 Seiten eine fiktive Geschichte mit autobiografischem Bezug. Gerrit Kouwenaar schrieb die Novelle im Alter von 26 Jahren; er war selbst Zeitzeuge der Kriegsereignisse, die er Karel durch das Filter von Aushängen und Auskünften mitteilt. Zarte Handlungsfäden erzählen in wenigen Sätzen eigene Geschichten – von der Bürgerwehr, zu der Jugendliche sich melden können, der ersten Verliebtheit, konspirativen Briefen, die beim Lesen aus heutiger Sicht eine Gänsehaut hinterlassen, und von Mutter und Tochter, die von einem Tag auf den anderen verschwinden.


    Fazit

    Ein zeitloser Antikriegstext, durch seine Kürze ideal für die Diskussion in Lesekreisen.

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

    :musik: --


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow


  • „Fall, Bombe, fall!“ ist der Herzenswunsch des 17jährigen Karel, der sich in seinem behüteten Leben langweilt und sich nach aufregenden Veränderungen sehnt. „Eine Bombe in dies lahme Straße wäre doch wirklich fantastisch“ (S. 5 ff.).


    Noch lässt sich Karel von seiner Mutter dirigieren, aber die Brüchigkeit seiner Familie und seiner Welt wird ihm immer deutlicher. Und dann fällt die Bombe, auf die Stadt und im übertragenen Sinn auch in Karels Leben. Karel wehrt sich nämlich gegen die Bevormundung durch seine Eltern und erlebt den Kriegsbeginn als die große Wende in seinem Leben. Und das ist der Krieg tatsächlich. Karel verlässt die schützende Hülle seines Elternhauses und wird zum Flüchtigen, zum Heimatlosen, zum Unbehausten. Jetzt erhebt er schwere Anklagen. Er sei unvorbereitet in diesen Weltuntergang gegangen: „Warum haben sie mir keinen Gott gegeben, keinen Glauben, kein Ideal?“ (S. 73). Karel hat nichts mehr, was ihn stützt


    Ein ausführliches Nachwort von Will Kusters verweist u. a. auf die autobiografischen Elemente der Erzählung, die jedoch zum Verständnis nicht notwendig sind.



    Eine beeindruckende und ernüchternde Erzählung!

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).