Felicitas Prokopetz - Wir sitzen im Dickicht und weinen

  • Kurzmeinung

    kleine_hexe
    Mutter-Tochter Beziehung über drei Generationen hinweg
  • Familie im Laufe und Wandel der Zeit

    Seit Eva ihre erste Tochter gebar (Schade, die Bibel sagt nichts darüber), gibt es den Mutter-Tochter-Konflikt, der aber mit dem Verhältnis Großmutter-Enkeltochter nicht fortgeführt wird. Großmütter und Enkeltochter verstehen sich, ergänzen sich, sie harmonieren miteinander. Die Großmütter haben nicht mehr den Erziehungsauftrag und können die Mädchen (und auch Jungen) nach Herzenslust verwöhnen. Christina, die Frau in der Mitte, versteht sich nicht mit ihrer Mutter und zu ihrer Schwiegermutter hat sie bestenfalls ein angespanntes Verhältnis. Leider vermag sie es nicht, irgendeine positive Beziehung zu ihrer Tochter Vali aufzubauen. Als Kind wurde Vali vollkommen von ihrer Mutter vernachlässigt, das Kind ging morgens ohne Frühstück in die Schule, es hatte nie adäquate Kleidung zum Anziehen, nach der Schule musste sich Vali allein durchschlagen, denn die Mutter hatte immer einen tagesaktuellen Freund da. Und wenn ihre Beziehung in die Brüche ging, jammerte sie Vali die Ohren voll, obwohl Vali viel zu jung war, um das zu verstehen. Interessant ist, im Alter, als Vali einen pubertierenden Sohn hat, um den sie sich fast zu liebevoll kümmert, nun Christina ihre Rechte einfordert. Sie hätte während Valis Kindheit alles für ihr Kind getan, ihr alle Liebe und Freiheiten gegeben, die das Kind gebraucht hätte und nun fordert sie Liebe und Pflege und Gesellschaft von Vali.

    In ihrer Erinnerung erlebt Christina nur die wenigen schönen Momente, die sie mit Vali hatte. Gespräche an der Küchentheke etwa oder das gemeinsame Dekorieren der Wohnung vor Weihnachten. Dass sie das Kind jedes Wochenende zur Schwiegermutter abgeschoben hat, das übersieht Christina. Oder, wenn Vali nächtens nach einem bösen Traum zur Mutter gelaufen kann, wurde sie brutal zurück ins Kinderzimmer verfrachtet und Türe zugeworfen. Und nun wundert sich Christina über ihre undankbare Tochter und ist der Meinung, die beiden Großmütter hätten Vali als Kind zu sehr verwöhnt. Das hätte dem Kind geschadet. Christina sieht sich als Opfer: “...Vali ist doch selbst Mutter, sie weiß ja, wie viele Windeln eine wechselt, wie wenig eine jahrelang schläft, wie viele lange Abende eine zu Hause verbringt, während die ganze Welt sich vergnügt…” (S. 191) “...Etwas an Vali ist unerbittlich. Sie hat mir nie verziehen, dass ich keine brave Mutti war, Ecken, Kanten und Leidenschaften hatte, denkt Christina”. (S. 192)

    Es gibt viele Konflikte, zwischen Christina und ihren Eltern, zwischen Christina und ihrem Mann Roman, zwischen Christina und ihrer Schwiegermutter und eben zwischen Christina und ihrer Tochter Vali. Und doch endet das Buch in einer versöhnlichen Note. Vali erinnert sich an einem heißen Sommertag, ein Sommergewitter fegte durch die Straßen und Vali lief mit ihrer Mutter an der Hand, beide barfuß, in den Regen hinaus und genoß “das Glück eines Sommergewitters” (S. 205).

    Die Geschichte wird nicht linear erzählt, sie wird immer wieder unterbrochen mit Erinnerungen und Szenen aus der Kindheit der Protagonisten: aus Christinas Kindheit, aus Valis Kindheit, aus Romans Kindheit, aus dem Leben der Großeltern. Zuerst ist es etwas schwierig, sich da reinzulesen, den Durchblick zu behalten. Aber irgendwann nimmt das Buch den Leser gefangen, zieht ihn in diese Familiengeschichten hinein und am Ende ist besagter Leser enttäuscht, dass es schon aus ist.

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Felicitas Prokopetz / Wir sitzen im Dickicht und weinen“ zu „Felicitas Prokopetz - Wir sitzen im Dickicht und weinen“ geändert.
  • Für Valerie Steinberg ist es keine leichte Zeit: Bei ihrer Mutter Christina Kerner wird Krebs diagnostiziert. Obwohl ihre Beziehung zueinander nicht die beste ist, muss Valerie sich plötzlich um sie kümmern. Und ihr 16-jähriger Sohn Tobias will unbedingt ein Auslandsjahr in England verbringen und wird für ihren Geschmack zu früh flügge.


    „Wir sitzen im Dickicht und weinen“ ist der Debütroman von Felicitas Prokopetz.


    Meine Meinung:

    Aus 48 kurzen Kapiteln setzt sich der Roman zusammen. Erzählt wird im Präsens auf zwei Zeitebenen: einmal in der Gegenwart in personaler Perspektive, einmal in der Vergangenheit in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Valerie.


    Den Schreibstil empfinde ich als gelungen. Die Kombination aus einer reduzierten, aber pointierten Syntax und starken Bildern ist beeindruckend. Dialektale Sätze werden in Fußnoten übersetzt. So wirkt die Sprache gleichermaßen authentisch und bleibt verständlich. Die eingefügten Trauerreden haben sich mir allerdings nicht erschlossen.


    Vier Frauen stehen im Mittelpunkt der Geschichte: Valerie, ihre Mutter Christina und ihre Großmütter Martha und Charlotte. Die Figuren muten realitätsnah an und sind psychologisch gut ausgefeilt.


    Dysfunktionale Verbindungen innerhalb einer Familie sind das vorherrschende Thema des Romans. Anschaulich zeigt die Geschichte auf, wie sich problematische Erziehungsmethoden und Verhaltensweisen über Generationen fortsetzen, wie sich Muster vererben, wie uns die Familie prägt und wie frühe Erfahrungen das weitere Leben stark beeinflussen. Durch den Fokus auf weibliche Figuren werden die Zusammenhänge noch deutlicher.


    Schon nach wenigen Kapiteln hat mich die rund 200 Seiten umfassende Geschichte für sich eingenommen.


    Das farbenfrohe Cover ist optisch ansprechend, inhaltlich aber nur schwer zu entschlüsseln. Der Titel ist reizvoll formuliert und weckt Aufmerksamkeit.


    Mein Fazit:

    Mit ihrem ersten Roman konnte mich Felicitas Prokopetz überzeugen. „Wir sitzen im Dickicht und weinen“ ist eine empfehlenswerte Lektüre mit viel psychologischem Tiefgang.


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  • Mutter-Tochter-Beziehungen über Generationen hinweg

    Im erster Linie geht es in diesem Buch um die schwierige Beziehung von Valerie zu ihrer Mutter Christina, die an Krebs erkrankt und dadurch teilweise auf die Unterstützung ihrer Tochter angewiesen ist. Diese Hilfe fällt Valerie nicht leicht, da sie nicht nur positive Erinnerungen an die Zeit mit ihrer Mutter hat. Valerie ist Ende 40 und hat einen 16-jährigen Sohn, den sie sehr stark an sich bindet.

    Die Autorin beleuchtet allerdings nicht nur diese Beziehung, sondern geht noch zwei weitere Generationen zurück, um die Mutter-Tochter Beziehungen zu beleuchten. Und hier wird es beim Lesen etwas kompliziert, denn es regnet Namen, und man sollte sich eine Skizze anfertigen, um den Überblick zu bewahren. Es wäre schön gewesen, wenn ein Stammbaum im Buch vorgegeben wäre.

    Der Schreibstil der Autorin gefällt mir gut, er ist leicht und angenehm lesbar. Auch muss ich sagen, dass mich der Inhalt so sehr angesprochen hat, dass ich immer weiterlesen wollte. Da war stets eine gewisse Spannung, weil man mehr über die jeweiligen Beziehungen erfahren wollte.

    Ich fand zwar keine der Protagonistinnen wirklich sympathisch, aber ich finde, das ist auch nicht notwendig, um ein Buch zu genießen.

    Alles in allem beschreibt das Buch sehr realistisch, wie prägend die emotionale Mutter-Tochter Beziehung sich auf folgende Generationen auswirken kann. So kann vergangenes 'Fehlverhalten' noch in der Gegenwart Auswirkungen zeigen. Die detaillierten Beschreibungen der Gefühlsstrukturen haben mich öfters dazu gebracht, über meine eigenen Beziehungen zu meiner Mutter und meiner Tochter nachzudenken, Vergleiche anzustellen und im Rückblick Fehler zu erkennen.

    Im Hintergrund spielt auch die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft eine Rolle, die sich im Laufe der Jahre doch stark gewandelt hat.

    Das Buch wirkt nach, es beschäftigt den Leser auch außerhalb des Lesens, und deshalb gefällt es mir sehr gut. Eine klare Leseempfehlung!

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  • Authentische und emotionale Geschichte über Mutter-Kind-Beziehungen


    Das Cover ist einfach so wunderschön gestaltet und der Titel hat mich schon vor dem Lesen berührt.


    Super geschickt spinnt die Autorin die verschiedenen Realitäten über 3 Generationen hinweg zu einer Geschichte zusammen. Dabei liegt der Fokus auf den Müttern und den Wunden, die intergenerational weitergegeben werden. Alle wollten es wohl besser machen als ihre Mütter, aber es zeigt sich, dass Gewalt, Vernachlässigung und gesellschaftliche Erwartungen nicht so leicht abzulegen sind.

    Das Buch hat mich im Inneren sehr bewegt. Der Schmerz und das Missverständnis der Frauen sind so greifbar, dass mensch unweigerlich über die eigene Beziehung zur Mutter oder einem entsprechenden Elternteil nachdenkt. Die Figuren sind sehr authentisch und bieten für ganz verschiedene Leser*innen eine Identifikationsmöglichkeit.


    Ich empfehle den Roman allen, die sich nicht davor scheuen, die eigene Beziehung zur Mutter zu reflektieren und die Geschichten auf mehreren Zeitebenen mögen.


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