Thomas Willmann - Der eiserne Marquis

  • Kurzmeinung

    Abroxas
    Gargantuesker Roman in veredelter Sprache, trotz Längen fesselnd, zunehmend ins Schauerliche driftend
  • Zwölf Jahre lang schrieb Thomas Willmann nach seinem überraschend erfolgreichen Debütroman Das finstere Tal an seinem zweiten Buch. Nun liegt es vor, fast eintausend Seiten lang ist es geworden (bei entsprechender Typographie wäre auch mehr drin gewesen), die düstere Geschichte eines himmelsstürmenden Uhrmachers an der Seite des titelgebenden Eisernen Marquis', eine Geschichte von Liebe, Verrat, unerbittlichem Freiheitsdrang und gefährlicher Grenzüberschreitung.


    Wien - Berlin - Paris: Eine Odyssee durch das 18. Jahrhundert


    Gleich zu Anfang des weitschweifigen Romans bedient sich Willmann eines Kniffs, der den Roman entscheidend prägt: Er lässt die Hauptfigur, die sich noch als Jacob Kainer vorstellen wird, vom Ende seines Lebens her erzählen. Er sitzt da in einem Pariser Sanatorium für Geisteskranke, einem miesen Loch, wie man liest, aber als faszinierendes, womöglich karriereförderndes Kuriosum erfährt Jacob vom ehrenwerten Docteur eine Vorzugsbehandlung jenseits des finsteren Kellergewölbes. Es sind aber die Ratten, denen sich Jacob dennoch ausgesetzt sieht, welchen er seine Lebensbeichte vorträgt. (Und es lebe die subtile Publikumsbeschimpfung!)


    Jacob spricht selber von zwei Leben, die er geführt hat; am Übergang steht, wie er ebenfalls vorwegnimmt, ein erschütternder, von ihm begangener Mord, der ihn von einen ins andere Leben gestoßen hat. Ausladend erzählt er von seiner Kindheit in der österreichischen Provinz unter der strengen Obhut seines verwitweten Vaters, ein religiös eifernder Schulmeister, der nur wenig Interesse für die Neigungen und Wünsche seines Sohnes aufbringt. Nur gegen enorme Widerstände und mit Hilfe des Onkels kann Jacob in Wien seine Ausbildung antreten, um das Handwerk zu erlernen, für das er schon seit frühester Zeit eine Faszination und Veranlagung entwickelt hat: Der Uhrmacherkunst.


    In Wien entflieht Jacob zum allerersten Male dem väterlichen Regime, kann sich selbst als Person entfalten und – verliebt sich unsterblich. Jedoch endet jene Liaison in einer fürchterlichen Tragödie und Jacob verlässt Wien, um sein erstes Leben hinter sich zu lassen. Nach einer ziellosen Odyssee, die Jacob in die Wirren des Siebenjährigen Kriegs führt, findet er sich in der Gesellschaft des titelgebenden Marquis (verbleibt namenlos) wieder, der ihn aus der preußischen Armee freikauft und als gleichgestellten Gefährten nach Paris bringt. Dort soll er dem Marquis mit seinen Uhrmacherfähigkeiten unterstützen, denn dieser erforscht nichts weniger als die Geheimnisse des Lebens und die Möglichkeit, künstliches Leben zu schaffen, auch um seine eigene Krankheit zu bekämpfen, die ihn bereits den halben Arm gekostet hat. Und obwohl Jacob zunächst eine glückliche, seine Talente fordernde Zeit an der Seite des exzentrischen Freigeists und Universalgelehrten verbringt, hegt Jacob doch selbst seit seiner Lehrzeit den Wunsch, meisterhafte Automaten in Menschengestalt anzufertigen, steuern die beiden doch auf ein gewaltiges Unglück zu, das nicht zuletzt durch Jacobs letztliches Schicksal, von dem wir im Prolog erfahren, bezeugt wird.


    Mammut, Behemoth, Leviathan


    Das Offensichtliche zuerst: Für diese epische, gargantueske Erzählung braucht man einen langen Atem. Die knapp 920 Seiten kommen in einer gedrungenen Typographie daher. Das liegt nicht nur an der Länge der Handlung, sondern auch am Monologstil des Erzählers, der mit ausladender Geste und sprachgewaltiger Ausdrucksweise in aller Ausführlichkeit berichtet, dabei auch seine eigene Gedanken vergangener Tage ausgiebig kommentiert und ausdeutet. Der Sprachstil wirkt dabei hochgestochen, so wie man sich einen altertümlichen, gebildeten Ausdruck vorstellen dürfte. Dem Vernehmen nach war es Willmann damit um Authentizität zu tun, der Stil ist dem Ausdruck des 18. Jahrhunderts nachempfunden, was ich selber aber nicht abschließend beurteilen kann. Auf die Illusion ließe ich mich aber jederzeit gerne ein. Der Einstieg in den Lesefluss fällt selbst einen routinierten Vielleser nicht immer leicht, aber schafft man erstmal den Absprung, ist diese formvollendete Sprache, die sich auch in hypotaktischen, aber sehr elegant konstruierten Sätzen äußert, ein reiner Genuss. In diesem Sinne fügt sich auch der mäandernde Erzählstil Jacob Kainers ein, der die Freude am Erzählen durch ein geschicktes Hinhalten und Hinauszögern zelebriert. Diffizil, ja, aber in seiner Kühnheit auch bewundernswert, verbaut sich Willmann damit auch selber den Weg zur Bestsellerliste.


    Dabei zeigt gerade die zweite Hälfte, in der der Marquis eine entscheidende Rolle spielt, genau in jener Dynamik zwischen ausufernden Schilderungen und sich langsam, aber stetig zuspitzenden Entwicklungen eine Sogkraft. Regelmäßig beschwört Jacob, im Lichte der Rückschau, die drohende Katastrophe (bzw. Katastrophen, unter zweien macht er es ja doch nicht) und spannt im Folgenden den Leser mit einem allmählichen Zusteuern auf besagte Kalamität auf die Folter. Ich gestehe, dass diese Art des Spannungsaufbaus eine heikle Angelegenheit des Geschmacks ist, mich hat diese Art des Schreibens gefesselt, sie wirkt geradezu mesmerisierend.


    Die zweite Hälfte spielt auch mit einer sich langsam steigernden Intensität in Motive der Schauerliteratur hinein, man könnte unwillkürlich an E.T.A. Hoffmann oder Mary Shelley denken, vielleicht gekreuzt mit der episch anmutenden Erzählweise eines Victor Hugo, der auch durch Ort und Zeit beschworen wird. Auch Patrick Süskind (Das Parfüm) kommt einen leicht in den Sinn. Doch auch die erste Hälfte kann mit einer ähnlichen, sich zum Höhepunkt / zur Katastrophe heraufschraubenden Konstruktion aufwarten, auch wenn die Geschichte einer schwülstigen, aber aufgrund von Standesunterschieden verbotene Liebe selbst für Leser historischer Romane nicht unbedingt zeitgemäß erscheint.


    Erzählerisch vergleichsweise ziellos kommt eher der etwas kürzere Mittelteil daher, der von Jacobs Soldatendienst für die preußische Armee im Siebenjährigen Krieg handelt. Konsequent ist dieser Teil daher auch als Intermezzo bezeichnet. Aber hier überzeugt mich die schonungslose Darstellung der unvorstellbaren Gewalt, die auf jenen Schlachtfeldern herrscht zwischen den Artilleriedetonationen und Gewehrsalven. Es zeigen sich die Sinnlosigkeit und Gleichgültigkeit, mit der ganze Kompanien geradezu verheizt werden. Als Bindeglied beider Erzählstränge wirkt es etwas fehl am Platze, ist aber für sich betrachtet sehr gut gelungen und für die Entwicklung der Hauptfigur notwendig und schlüssig.


    Fazit


    Der eiserne Marquis ist ein enormer historischer Roman, der besonders jenen ans Herz zu legen ist, die das dicke Buch nicht scheuen und die es am liebsten haben, sich ganz tief in die Atmosphäre eines bild- und sprachstarken Romans einzugraben. Eine fulminante Sprache und eine faszinierende, eklektische Motivwahl machen dieses Buch zu einem außergewöhnlichen Leseerlebnis.