Peter Seewald - Benedikt XVI.

  • Inhalt (Quelle Klappentext)
    Die Tatsache, dass Joseph Ratzinger in der Osternacht des Jahres 1927 das Licht der Welt erblickte, könnte man als Zeichen einer besonderen Gnade deuten. Doch war damals nicht abzusehen, dass aus dem Sohn eines Gendarmeriemeisters und einer Köchin ein bedeutender Theologe und Kirchenführer, gar ein Papst, werden sollte.
    Der Weg vom Rupertiwinkel und seiner traditionellen Frömmigkeit auf den Stuhl Petri führte über die Professuren in Freising, Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg, das Amt des Erzbischofs von München und die Leitung der römischen Glaubenskongregation, der er nahezu 24 Jahre lang vorstand.
    Joseph Ratzinger verfasste in all den Jahren nicht nur mehr als 600 Bücher und Aufsätze, sondern war Zeuge vieler bedeutender Ereignisse und politischer Entwicklungen. Als Berater von Kardinal Frings war er ein entscheidender Akteur des Zweiten Vatikanischen Konzils; er erlebte die Auf- und Umbrüche der späten Sechzigerjahre als Professor in Tübingen, war ein enger Vertrauter von Johannes Paul II., während das sowjetische Imperium zerfiel und hat mit seinem Rücktritt vom Stuhl Petri das Papsttum verändert wie noch keiner vor ihm.
    Peter Seewalds Biografie folgt dem Spuren dieses Jahrhundertlebens und zeichnet ein lebendiges Bild des emeritierten Papstes, das den Menschen Joseph Ratzinger in einem neuen Licht zeigt.


    Vorliegende Biografie ist im Mai 2020 erschienen, Joseph Alois Ratzinger verstarb am 31. 12. 2022.


    Der Autor (Quelle Klappentext)
    Peter Seewald, Jahrgang 1954, war Redakteur beim Spiegel, beim Stern und beim Magazin der Süddeutschen Zeitung, bevor er sich als freier Autor einen Namen machte.
    Er hat Joseph Ratzinger über ein Vierteljahrhundert hinweg als Journalist begleitet und verfügt über jenes Insiderwissen, das Detailgenauigkeit und ein sicheres Urteil erlaubt. Seine vier Interviewbücher mit Joseph Ratzinger wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt.


    Mein Eindruck
    Wie immer man zu kirchlichen Institutionen steht, ob man den Glaubenslehren der katholischen Kirche mit ihren heute oft unzeitgemäß erscheinenden Dogmen etwas abgewinnen kann oder nicht, keinesfalls sollte man sich durch die persönliche Einstellung davon abhalten lassen, diese bemerkenswerte Biografie zur Hand zu nehmen.
    Peter Seewald ist meiner Meinung nach mit seinem 1150 Seiten starken Werk (wovon der Anhang 70 Seiten umfasst) ein wahres Meisterstück gelungen. Im Vorwort entschuldigt er sich sogar für den so nicht geplanten Umfang; vom großzügigen Überblättern, wie er empfiehlt, würde ich jedoch dringend abraten.
    Der Autor begleitet den verstorbenen Papst auf seinem Lebensweg von dessen Geburtsort in Marktl bis auf den Stuhl Petri, ohne dass das Buch irgendwelche Längen aufweist und den Leser mit unverständlichen theologischen Begriffen oder philosophischen Gedankengängen langweilt.

    Sicher ist die Figur des Protagonisten eine für einen Biografen sehr dankbare. Joseph Ratzinger hatte in seinem langen Leben, das vom Ende der Weimarer Republik bis ins digitale Zeitalter reichte, wichtige Positionen eingenommen und viel erlebt. Davon berichtet Peter Seewald mit Umsicht und einer klaren, lebendigen Sprache, die beeindruckt, genauso wie die Fülle an Recherchematerial, über die der Autor nach eigenen Angaben (im Vorwort) manchmal schier zu verzweifeln drohte. Ebendort erwähnt er auch, dass es ihm wichtig war mit einer gewissen Unvoreingenommenheit an die Arbeit zu gehen. Sicher ist das ein schwieriges Unterfangen, wenn man einen Menschen gut kennt und schätzt, und oft genug miterleben muss, wie er von den Medien geradezu zerrissen wird.


    Für mich hat das Buch auf jeden Fall mehrere Überraschungen bereitgehalten. Sehr erstaunt war ich, als ich in den Kapiteln über das Vatikanum gelesen habe, welch großen Einfluss der 35jährige Theologe über Kardinal Frings auf die Richtung nahm, in der sich das Konzil entwickeln sollte.
    Das Prädikat „fortschrittlich“ wäre eines der letzten gewesen, das ich mit dem ehemaligen Papst in Verbindung gebracht hätte. Deshalb war ich umso überraschter, dass Ratzinger beim Zweiten Vatikanischen Konzil eine progressive Linie vertreten hat. Allerdings muss man sich mit seiner Begriffsdefinition von "Fortschrittlichkeit", die er ein Leben lang beibehielt, erst vertraut machen. Erneuerung der Kirche kann im Sinne Ratzingers nur stattfinden, wenn die uralte Lehre in unverfälschter Reinheit bewahrt, aber so formuliert wird, dass sie den Erfordernissen unserer Zeit entspricht.
    Dieses Paradoxon konnte ich, ehrlich gesagt, nicht auflösen, da mir unklar ist, wie etwas Neues entstehen soll, wenn man verbissen am Alten festhält. Änderungen müssten ja auch möglich sein, ohne gleich den Glaubenskern preiszugeben. Sicher steht Jesus Christus als Glaubensgründer im Mittelpunkt, doch hätte er, um ein Beispiel zu nennen, auf die Gestaltung des liturgischen Ritus wohl keinen so großen Wert gelegt wie seine späteren Stellvertreter. Nach Mk 2, 27 hat er ja gesagt, dass der Sabbat um des Menschen willen gemacht sei und nicht umgekehrt.


    Bewundernswert finde ich wiederum, dass sich der hochgebildete Theologe seine kindliche Frömmigkeit und Bescheidenheit bis ans Ende seines Lebens bewahren konnte. Glaube und Vernunft haben sich für den Natur- und Tierfreund nie ausgeschlossen, waren nur zwei Seiten einer Medaille. Man muss nicht alle Positionen des Papstes teilen, doch seine persönliche Kontinuität und Festigkeit im Glauben, die anscheinend keine Zweifel kannte, ist fraglos eine beachtenswerte Leistung, um nicht zu sagen eine große Gnade.
    „Mein Grundimpuls war, unter den Verkrustungen den eigentlichen Glaubenskern freizulegen und diesem Kern Kraft und Dynamik zu geben. Dieser Impuls ist die Konstante meines Lebens.“


    Peter Seewald beschreibt die Welt, in der der kleine Joseph aufgewachsen ist, mit viel Liebe zum Detail, die äußerst bescheidenen Verhältnisse, die tiefe Verbundenheit mit den Eltern und den beiden Geschwistern, Maria (1921 – 1991) und Georg (1924 – 2020). Von den Schulkameraden wird der Gymnasiast zwar akzeptiert, wegen seines einzigen Schwachpunktes aber auch gerne verspottet:

    „ … so wenig er im Sporte kann, ist er der Wissenschaften Mann.“
    Das Trauma seiner jungen Jahre war für den 16jährigen Joseph sicher die Einberufung zur Wehrmacht, wo er als Flak-Helfer dienen musste, ehe er zum Reichsarbeitsdienst abkommandiert wurde und letztlich (für kurze Zeit) in amerikanische Gefangenschaft geriet.

    Peter Seewald beschreibt sehr interessant und glaubwürdig, wie ihn diese schwere Zeit "ohne Jugend" geprägt, womöglich auch seine Einstellung zur 68er-Generation mitbestimmt hat.


    Die Vorlesungen des jungen, hochintelligenten Professors wurden geradezu gestürmt, seine Bescheidenheit, Hilfsbereitschaft und Loyalität gehörten zeitlebens zu seinen Charakterstärken. Dafür fehlte es ihm oftmals an Durchsetzungsvermögen.

    Mehrmals wird neben der Intelligenz und Eloquenz Ratzingers auch dessen fotografisches Gedächtnis gerühmt, sodass es ihm möglich war, aus Büchern, die er nur einmal gelesen hatte, auch noch nach Jahren wortgetreu zu zitieren und Verbindungen herzustellen.

    Beachtenswert finde ich persönlich vor allem seine Eschatologie-Lehre, deren Grundzüge sehr gut umrissen werden, aber auch seine Verdienste um die Ökumene und seine klaren Worte zum verantwortungsbewussten Umgang mit der Schöpfung.


    Detailliert beschreibt Peter Seewald den Konflikt mit Hans Küng, Ratzingers Zeit als Münchner Erzbischof und seinen Weg nach Rom. Man nimmt ihm auch ab, dass er seine Karriere nicht plante, dass sich unter dem Schirm der Vorsehung einfach ein Schritt aus dem nächsten ergab. Als Präfekt der Glaubenskongregation hat der Kardinal den Papst nach jeder Amtsperiode um Entlassung in die Pension gebeten, um sich in Ruhe seiner schriftstellerischen Tätigkeit widmen zu können.


    Geradezu erschreckend wird der Einfluss der Medien dargestellt. Sie bestimmen wie ein Mensch von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, indem sie gerne mit griffigen Schlagworten wie „Hardliner“, „Großinquisitor“ oder „Panzerkardinal“ um sich werfen. Wer einmal, wie Papst Benedikt, ins Schussfeld gerät, ist geradezu stigmatisiert. Dann genügt es, Sätze aus dem Zusammenhang zu reißen, um die nächste Lawine der Empörung loszutreten.


    Sehr intensiv befasst sich der Autor auch mit den Skandalen, die die Amtszeit des 265. Nachfolgers auf dem Stuhle Petri überschatteten. Trotz seines Alters beflügelte ihn anfangs der Enthusiasmus, der ihm als Benedikt XVI. allseits entgegengebracht wurde, bis ein Schlag dem nächsten folgte. Es fing mit der „Regensburger Rede“ an, dann kamen die Williamson-Affäre und die sog. Kondomkrise, ehe der Missbrauchsskandal die Grundfesten der Kirche erschütterte. „Vatileaks“ und ein schwerer Vertrauensbruch im eigenen Haushalt waren die letzten tragischen Ereignisse, denen sich der Papst stellen musste.
    Immer wieder betonte er, dass es keinen speziellen Grund für seinen Rücktritt gegeben habe, aber er hätte sich körperlich und geistig nicht mehr in der Lage gesehen, die Last der Verantwortung weiter zu tragen. Als Papa emeritus setzte er neue Maßstäbe, da die steigende Lebenserwartung künftig auch das Amt des Papstes verändern könnte. Ein Rückzug ins Private sei damit aber nicht verbunden, da der emeritierte Papst sein Amt zwar voll abgegeben habe, die geistige Verbundenheit aber bis ans Lebensende bestehen bleibe.
    „Am Ende ging der Philosoph Gottes, der große Denker auf dem Stuhl Petri, dorthin, wo Verstand allein nicht genügt, in die Meditation, ins Gebet.“

    Diesem wunderbaren Schlussgedanken des Autors ist nichts mehr hinzuzufügen. Mir bleibt nur noch diese großartige Arbeit und die feinfühlige Darstellung eines oft wohl zu Unrecht Gescholtenen mit :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: zu würdigen.

    Liebe Grüße von Lorraine :)


    "Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen." (Karl Kraus) :study: