Homeira Qaderi - Dich zu verlieren oder mich / Dancing in the Mosque

  • Autorin: Homeira Qaderi
    Titel: Dich zu verlieren oder mich
    Seiten: 240

    ISBN: 978-37160-0006-9
    Verlag: Arche

    Übersetzerin: Eva Kemper


    Autorin:

    Homeira Qaderi wurde 1980 geboren und ist eine afghanische Schriftstellerin, Frauenrechtlerin und Professorin für Literatur. Nach der Machtübernahme der Taliban 1989 organisierte sie heimlich Grundalphabetisierungskurse für Mädchen aus der Nachbarschaft, unterrichtete selbst und veröffentlichte als Jugendliche eine Kurzgeschichte, die von den Taliban scharf kritisiert wurde. Im Jahr 2001 ging sie in den Iran und setzte ihre unterbrochene Ausbildung fort, studierte persische Literatur, worin sie schließlich 2014 in New Dehli promovierte.

    Im Jahr 2011 wurde sie Beraterin der afghanischen Regierung. Während des Falls von Kabul 2021 gehörte sie m it ihrem Sohn zu den Letzten, die das Land an Bord eines amerikanischen Flugzeugs verlassen konnten. Seit dem lebt und arbeitet sie in den USA als Autorin und Professorin und setzt sich weiterhin für Frauenrechte ein. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht und wurde verschiedenfach ausgezeichnet.


    Inhalt:

    Wie wird ein Mädchen zur Frau in einer Gesellschaft, die ihm alle Möglichkeiten verwehrt? Wie wählt eine Mutter zwischen ihrem Kind und ihrer Zukunft? Dich zu verlieren oder mich ist die bewegende Lebensgeschichte der afghanischen Autorin und Frauenrechtlerin Homeira Qaderi - und ihre stärkste Waffe im Kampf für Gleichberechtigung in ihrer Heimat. (Klappentext)


    Rezension:

    Immer nah am Rande des Abgrundes nimmt dieses Land, so scheint es, jenen, die dort leben, die Luft zu atmen und so sind es in der dortigen patriarchalischen Gesellschaft nicht erst seit der ersten Machtübernahme der Taliban in den 1990er Jahren vor allem die Frauen, die darunter zu leiden haben. Hier wächst Homeira auf und erlebt bereits als junges Mädchen, wie die gesellschaftliche und von der Religion bestimmte Normen sie einengen, doch dies ist nichts im Gegensatz zu den Grenzen, die nach den Abzug der Russen bald die neuen Machthaber ihr setzen.


    Zitat

    Die Jahreszeiten kamen und gingen, aber der Krieg dauerte endlos an.


    Schulen für Mädchen werden geschlossen, eine Maßnahme von vielen, schlimm für Homeira Qaderi, die schon als Kind davon träumt, einmal Schriftstellerin zu werden. Einengen, trotz traditioneller und staatlicher Zwänge, will sie sich nicht und so beginnt ein Kampf gegen alle Widerstände, für ihre Freiheit. Da weiß sie noch nicht, der Kampf als junge Mutter um ihr Kind wird ihre schwerste Aufgabe werden. Auch davon erzählt die Frauenrechtlerin und Autorin Homeira Qaderi in "Dich zu verlieren oder mich".


    Zitat

    Die Veränderung war fast augenblicklich spürbar. Auf den Straßen waren schlagartig keine Frauen mehr zu sehen. [...] Während dieser ganzen Zeit fühlte ich mich wie ein Vogel im Käfig, ich schlug mit den Flügeln gegen die Stäbe und versuchte noch immer zu fliehen.


    Sowohl Biografie als auch Stimme für die Frauen Afghanistans entführt der Text in eine Welt, derer Lebenswirklichkeit unserer nicht ferner sein könnte und von der die westliche Gesellschaft lange Zeit geglaubt hat, sie überwunden zu haben. Seit 2021 eines besseren belehrt, wird wiederholt vor allem den Frauen die Chance auf ein Leben in Freiheit und mit Bildung genommen. Geschichte wiederholt sich, auch in ihren schlechten Seiten.


    Eindrücklich schildert Qaderi das Aufwachsen in turbulenten Zeiten, der Angst vor Terror, Willkür und Gewalt, aber auch, welche Kräfte freigesetzt werden, wenn jeder Millimeter Freiheit sich erkämpft werden, das Lesen und das Schreiben im Geheimen stattfinden muss und verteidigt vor der Angst der Familie und wachsamen Augen, gleich welcher Machthaber. Die besondere Situation für Mädchen in einer solch brachialen Welt, in derer nur das Wort eines Mannes zählt, in der Zwangsehen so häufig vorkommen, wie Gewalt, Tod und Zerstörung, beschreibt die Autorin anhand ihres eigenen Lebensweges, in dem sie immer nach Auswegen für sich selbst gesucht hat.


    Kompakt verknüpft sie geschichtliche Einordnung mit ihren eigenen Erfahrungen, einzelne Sätze wirken wie Nadelstiche und treffen direkt ins Herz, ohne verkitscht zu werden. Nüchtern sind die Betrachtungen, doch jede gesetzte Zeile ist eine Genugtuung gegenüber ein System, welches es nicht gut meint mit den Menschen. Teilweise lässt der Text gar an Betty Mahmoodys Erfahrungsbericht denken, auch wenn hier die Vorzeichen über weite Strecken noch dunkler waren.


    Zitat

    [...] all meine Träume und Ziele verdorrten wie nicht gegossene Blumen.


    So ist die Lebensgeschichte Qaderis im übertragenen Sinne zugleich Stimme für jene, die die ihre nicht (mehr) erheben können, aber auch um Mut zu machen, jenen, die es versuchen wollen oder müssen. Wie der Versuch der Autorin ausging, lässt sich erahnen, da es dieses Werk ja gibt. Auch ist es wichtig, gerade solche Texte in Gespräch zu halten.


    Die Autorin stand vor der Wahl zwischen Liebe zu ihren Sohn und dem Wunsch nach Freiheit. Eine Qual, sich die Frage zu stellen, aber wie würde man selbst sich wohl entscheiden? Ohne zu wissen, ob das eine doch noch zu dem anderen führt oder in eine große Katastrophe.