Elie Wiesel - Die Nacht. Erinnerung und Zeugnis / La nuit

  • Der US-amerikanische und rumänische Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel begann direkt nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Buchenwald, in jiddischer Sprache Notizen über seine Zeit in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern zu machen. Während seines Aufenthalts in den französischen Waisenheimen in Écouis, Ambloy und Versailles, in die er nach dem Krieg vom Kinderhilfswerk OSE gebracht wurde, arbeitete er weiter an diesem Text. Von 1953 bis 1956 verfasste er auf Grundlage dieser Notizen sein erstes literarisches Werk „…un di welt hot geschwign“ ( ... און די וועלט האָט געשוויגן), das 1956 in Buenos Aires veröffentlicht wurde. Eine stark gekürzte Version dieses Buches erschien dann 1958 in französischer Sprache unter dem Titel „Die Nacht“ (La Nuit“). Im Jahr 2007 ist dieses Buch in einer neuen, sprachlich überarbeiteten Ausgabe (die Wiesels Ehefrau, die Übersetzerin Marion E. Rose, anfertigte) erschienen. Und auf diesem Buch beruht auch die deutsche Ausgabe, die ich jetzt gelesen habe.

    Wiesel beginnt seinen Text mit der Schilderung von Szenen aus seiner Kindheit in der rumänischen Stadt Sighet und der Deportation der jüdischen Bevölkerung Sighets nach Auschwitz-Birkenau, die er selbst im Frühjahr 1944 als fünfzehnjähriges Kind gemeinsam mit seiner Familie miterlebte. Es folgt dann der Bericht über seinen Aufenthalt in Auschwitz und Buchenwald. In Birkenau wurde er sofort von seiner Mutter und seinen drei Schwestern getrennt und zusammen mit seinem Vater in das Lager Auschwitz- Monowitz verlegt. Beide überstanden diese Zeit und auch den Todesmarsch (obwohl Elie Wiesel kurz zuvor noch am Fuß operiert wurde und eigentlich gar nicht laufen durfte) über Gleiwitz nach Buchenwald, wo der Vater aber im Januar 1945 durch die erlittenen Strapazen und die mangelnde Hygiene und Versorgung an Ruhr erkrankte und starb. Wiesel beschreibt hier sehr ehrlich und schonungslos, dass er in seiner damaligen Verfassung den Tod seines Vaters als Befreiung empfand, da er sich nun nicht mehr um ihn kümmern musste - und dass genau dies auch selbst später sehr stark belastet hat. Wiesel selbst gelang es, bis zur Befreiung Buchenwalds durch die Amerikaner am Leben zu bleiben, mit der Ankunft der Amerikaner in Buchenwald und seinen anschließenden Aufenthalt in der dortigen Krankenstation endet der Bericht.

    „Die Nacht“ ist ein erschütterndes Buch, auch sprachlich. Wiesel erzählt aus der Ich-Perspektive, die zeitlichen Ebenen verschränken sich - in die Erzählung über das Erlebte sind immer wieder Passagen eingebunden, welche die Reflexion des Erlebten in der Zeit nach dem Ende der Shoa thematisieren. Wiesel beschreibt auch, dass er - der in der Tradition des Chassidismus erzogene Junge, der als Kind selbstverständlich den Cheder und danach die Jeschiwa besucht und schon mit dreizehn Jahren beginnt, den Sohar zu studieren, und der als Kind die Frage, warum er beten würde, genauso seltsam findet, als hätte man ihn gefragt, warum er atmen und leben würde - im Konzentrationslager Auschwitz seinen Glauben an Gott verliert; was schlimm ist, weil er dadurch auch ein wesentlicher Teil seiner Identität genommen wird.

    Die deutsche Ausgabe von 2022 enthält das Vorwort, das Wiesel selbst für die französische Neuauflage von 2007 schrieb, das Vorwort des französischen Schriftstellers Francois Mauriac zur französischen Originalausgabe von 1958, außerdem eine Zeittafel zur Biografie Wiesels, eine Landkarte, die seinen Weg von Sighet über Auschwitz, Gleiwitz, Buchenwald nach Frankreich und dann 1956 nach New York zeigt sowie ein ausführliches Glossar, in dem sowohl jüdische Begriffe als auch NS-Begriffe erklärt werden.

  • Ich weiß, dass es für viele (? oder einige?) hier immer sehr wichtig ist, die Originalausgabe der rezensierten Bücher anzugeben - was ich gut finde! Aufgrund der komplexen Entstehungsgeschichte von „Die Nacht“ fällt mir das zugegebenermaßen aber etwas schwer. Vielleicht können einige von euch hier helfen oder ergänzen, wenn ihr es wichtig findet? (Ich selbst kann leider weder französisch noch jiddisch lesen, von daher würde ich diese Fassungen von „Die Nacht“ sowieso nicht verwenden können.) Zur jiddischen „Urversion“ des Buches habe ich im Internet folgende bibliographische Hinweise gefunden,

    Titelאון די וועלט האט געשוויגן
    Poylishe Yidnṭum
    Band 71 von פוילישע יידנטום
    Autorenאלי וויזל, Elie Wiesel
    Verlagצענטראל־פארבאנד פון פוילישע יידן אין ארגענטינע, 1956
    Länge253 Seiten

    außerdem noch diesen Hinweis:

    Wiesel, Eliezer: ... און די וועלט האָט געשוויגן […und die Welt hat geschwiegen]. Buenos Aires: Union Central Israelita Polaca en la Argentina 1956.

    Zur französischen Originalausgabe von 1958 habe ich folgende Hinweise gefunden:

    Titel: La nuit

    Verlag: Editions de Minuit

    Erscheinungsdatum: 1958


    Die deutsche Ausgabe von 2022 beruht auf folgender französischer Ausgabe:

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Elie Wiesel - Die Nacht. Erinnerung und Zeugnis“ zu „Elie Wiesel - Die Nacht. Erinnerung und Zeugnis / La nuit“ geändert.
  • Yra Wenn bekannt, dann tragen wir immer die Originale nach. Hier hab ich in der Titelzeile den französischen Titel nachgetragen. :wink:

    Ich hab in deinem Startbeitrag auch die ISBN auf eine funktionierende aus deinem Bücherregal geändert, allerdings anfangs eine falsche erwischt. Die momentan falsche Buchinfo wird sich über Nacht aktualisieren.

    viele Grüße vom Squirrel



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