Shehan Karunatilaka - Die sieben Monde des Maali Almeida/The Seven Moons of Maali Almeida

  • Kurzmeinung

    volatile
    Sprecher 5/5, Story 3,5/5 - dialogreicher Erzählstil mit übernatürlichen Elementen. Zeitweise zäh.
  • Kurzmeinung

    Abroxas
    Furios erzählte Rückschau auf den Bürgerkrieg Sri Lankas und die davongetragenen Narben
  • Inhalt:

    Colombo, Sri Lanka, Anfang der Neunzigerjahre. Maali Almeida, ein verkappt schwuler Kriegsfotograf und Zocker, erwacht eines Morgens im Jenseits, das eine himmlische Einwanderungsbehörde zu sein scheint. Während sein toter Körper gerade im Beira Lake versinkt, hat Maali keinen blassen Schimmer, von wem und warum er umgebracht wurde. Mitten im Bürgerkrieg ist die Liste der Verdächtigen leider bedrückend lang, wovon all die Geister und Dämonen, die ihn ab jetzt begleiten, ebenfalls ein furchterregendes Lied singen können. Doch auch im Leben nach dem Tod ist Zeit ein knappes Gut: Sieben Tage bleiben Maali, um herauszufinden, was geschehen ist. Und noch etwas treibt ihn um: Wie kann er mit den beiden ihm am nächsten Menschen Kontakt aufnehmen, um ihnen mitzuteilen, wo die Negative einiger hochbrisanter Fotos versteckt sind, die Sri Lanka in Aufruhr versetzen und der Welt zeigen sollen, was in seiner Heimat geschieht?

    (Quelle: amazon)


    Autor:

    Shehan Karunatilaka wurde 1975 in Galle im Süden Sri Lankas geboren. Aufgewachsen in Colombo, wo er heute wieder lebt, studierte er in Neuseeland und lebte und arbeitete in London, Amsterdam und Singapur. 2010 erschien sein Debütroman Chinaman, für den er u.a. mit dem Commonwealth Prize ausgezeichnet wurde. Außerdem schreibt er Rocksongs, Drehbücher und Reiseliteratur und veröffentlichte in verschiedenen internationalen Medien wie The Guardian, Newsweek, Rolling Stone, GQ und National Geographic. Er zählt zu den wichtigsten literarischen Stimmen Sri Lankas. Die sieben Monde des Maali Almeida ist sein lang erwarteter zweiter Roman, der 2022 mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde.

    Übersetzer:

    Hannes Meyer, geboren 1982, übertrug u. a. Bücher von Tommy Orange, Phil Klay, Chanel Miller und Hernan Diaz ins Deutsche. Für seine Übersetzung von Anuk Arudpragagasams Die Geschichte einer kurzen Ehe war er für den Internationalen Literaturpreis nominiert.

    (Quelle: amazon)


    Bemerkungen:

    Sri Lanka in den 90-er Jahren, es herrscht Bürgerkrieg, Menschen verschwinden, werden umgebracht aufgrund ihrer politischen Meinung.

    Maali Almeida ist Kriegsfotograf, fotografiert alles, was ihn interessant erscheint, ist Glücksspieler, Atheist und homosexuell.

    Anfangs kann er nicht glauben, dass er tot ist, glaubt an Pillen, die ihm Halluzinationen verschaffen. Aber nach und nach wird ihm klar, dass er wirklich tot ist und in einer Art "Zwischenwelt" gelandet ist .

    In dieser Zwischenwelt gibt es Geister, Dämonen und auch Helfer, die ihm sagen, dass er sieben Monde Zeit hat - Zeit, um herauszufinden, was ihm widerfahren ist und um seinen Nachlass zu regeln. Sein Nachlass besteht aus einer Schachtel mit Photos, die die Gräueltaten an Journalisten und Aktivisten belegen und an denen natürlich auch die Konfliktparteien ein Interesse haben.

    Almeida muss Kontakt mit seiner Freundin Jaki aufzunehmen, damit diese die Photos in Colombo verbreiten kann und die Gewalttätigkeit des Konfliktes zwischen den Gruppen offenzulegen.

    Es ist nicht einfach, von der Handlung zu erzählen -zu komplex, zu übervoll an Informationen ist der Roman.

    Karunatilaka hat eine ungewöhnliche Erzählperspektive gewählt, nämlich die Perspektive der zweiten Person Singular. So erhält die Geschichte eine leicht distanzierte Wirkung.

    Der Leser erfährt viel von den politischen Zuständen Sri Lankas, seiner Bürokratie (die es sogar im Zwischenreich gibt), seinem Glauben und den Mythen.

    Ein originelles Buch, mysteriös, fantasievoll, spannend zu lesen, mit einem versöhnlichen Ende.

    Karunatilaka hat mit diesem Roman den Booker Prize 2022 gewonnen.

  • Sri Lanka, 1990. Maali Almeida, ein schwuler Kriegsfotograf mit Glücksspielproblem, wacht eines morgens in einem Wartezimmer auf. Schnell wird: er ist gestorben, doch wer hat ihn umgebracht und warum? Maali muss Antworten finden und nachsehen, wie es seinen Angehörigen geht, seinem Partner DD, seiner besten Freundin Jaki und seiner Mutter Lucky. Doch in dieser Zwischenwelt sind auch andere unterwegs und haben ihre ganz eigene Agenda, in der Maali eine Rolle spielt.


    „Die sieben Monde des Maali Almeida“ ist der zweite Roman des (Drehbuch-)Autors und Songwriters Shehan Karuna Tilaka, für den er 2022 mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde. Die deutsche Übersetzung ist von Hannes Meyer. Erzählt wird Maalis ungewöhnliche Geschichte aus seiner Perspektive in der Du-Form und im Präsens über insgesamt sieben Monde (=Tage und Nächte) hinweg. Der Autor lässt seinen Protagonisten zwischen verschiedenen Orten springen, was er als Geist nun kann, ihn aber auch immer wieder in die Vergangenheit zurückblicken und sein Handeln reflektieren.


    Auf den ersten Blick ist dieser Roman eine Kriminalgeschichte. Maali wurde getötet und sucht seinen Mörder, ganz einfach, oder? Doch je länger wir ihn begleiten, seine komplexe Persönlichkeit und sein Leben kennenlernen, desto deutlicher wird, dass „Die sieben Monde des Maali Almeida“ so viel mehr ist. Wir erleben ein vom Bürgerkrieg gebeuteltes Sri Lanka, in welchem Todesschwadronen, Auftragsmorde und Selbstmordattentate zum Alltag geworden sind. Unser Protagonist ist dabei zwischen die Fronten geraten und versucht verzweifelt, das zu retten, was von ihm geblieben ist: seine Fotos.


    Dieser Roman ist wieder so ein Buch, das mir lange nicht aus dem Kopf gehen wird. Maali Almeida ist sicher alles andere als perfekt, manchmal ist er nicht einmal sympathisch. Aber in ihm sehen wir einen Mann, der seine sexuelle Identität verbergen und irgendwie überleben muss – auch wenn dazu manchmal Dinge notwendig sind, die ihn nicht gerade stolz machen. Dennoch tut er, was er tun muss und leistet seinen ganz persönlichen Beitrag in diesem furchtbaren Krieg. :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Im Universum herrscht Anarchie


    Rasant beginnt dieser vordergründig als Fantasy erscheinende Roman, dekoriert mit dem 2022er Booker Prize - für mich Grund genug, dieses Werk mit Genuss verschlingen zu wollen. Es führt uns in die Zwischenwelt der gerade erst Gestorbenen, und da Maali in politisch aufgewühlten Zeiten ums Leben kommt, spielt natürlich die gesamte Situation Sri Lankas eine Rolle, deren Verständnis uns ein Glossar im Anhang erleichtern soll.


    Der Waschzettel umreißt bereits die grobe Handlung. Der Ernst der Lage ist jedem zeitgeschichtlich Interessierten bekannt. Auf diesem Hintergrund spielt sich ein wahrhaft absurdes Theater ab voller Sarkasmus und mit einem abgründigen schwarzen Humor. Die Charaktere des Zwischenreichs präsentieren uns die erlebten Grausamkeiten auf derart erfindungsreiche Art, dass ich mir eine Verfilmung als das reinste Splattermovie vorstelle.


    Der Autor fordert mich als Leser ungemein heraus. Dass der eigentliche Ich-Erzähler sich selbst permanent in der zweiten Person Singular anspricht - daran habe ich mich schnell gewöhnt, es ist mir auch nicht ganz neu. Doch das dauernde Nachschlagen von fremdsprachigen Vokabeln, Personennamen und politischen Gruppierungen im Anhang fand ich ziemlich mühsam. Jede Szene für sich ist schlüssig und amüsant, aber es fiel mir schwer, dem Zusammenhang zu folgen. Der übersprühende Ideenreichtum bewirkt eine gewisse Konfusion, die Zeitsprünge und Ortswechsel, die hier auch nicht durch einen vorausgesetzten Realismus gebremst werden, machen das Ganze nicht übersichtlicher.


    Hat man sich auf diese Hürde eingelassen, vermittelt einem das Buch einen authentischeren Eindruck von der Verfassung dieser Nation als ein historisches Sachbuch. Förmlich flimmerte mir ein Bild der beschriebenen Gesellschaft und Kultur vor Augen, geprägt von Korruption, Gewalt, Rassismus, Bürgerkrieg und Unterdrückung. Darauf stimmt einen auch das Titelbild von vornherein gut ein. Eine metaphysische Dimension gewinnt das Ganze noch durch den Läuterungsprozess des Protagonisten und den Kampf böser gegen die guten Mächte, die sich aber gar nicht so konturiert voneinander absetzen. Zum Ende hin lichtete sich für mich der Nebel, und ich konnte eine Logik im Handlungsablauf erkennen, aber bis dahin wurde meine Geduld außerordentlich strapaziert.



    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Shehan Karunatilakas "Die sieben Monde des Maali Almeida" war ein richtiges Highlight für mich!

    Der Protagonist Maali Almeida findet sich plötzlich als toter Mann im "Dazwischen" vor, ohne eine Erinnerung daran, wie er gestorben ist. Nun hat der srilankische Kriegsfotograf sieben Monde Zeit herauszufinden, was ihm vorgefallen ist, bis er sich entscheiden muss, wie es mit seinem Leben nach dem Tod weitergeht.

    Der Ansatz des Buches hat mir sehr gut gefallen, die magischen Elemente waren genau meins. Der Schreibstil Karunatilakas hat mich auch total mitgerissen, den Protagonisten in zweiter Person singular über sich erzählen zu lassen, habe ich so noch nie gesehen, war aber vor allem in diesem Roman sehr passend und überzeugend! Dazu kommt die spannende und lehhreiche Darstellung des srilankischen Bürgerkrieges, zu dem ich zuvor persönlich nur wenig Bezug hatte.

    Das Werk hat nicht umsonst letztes Jahr den Booker Price gewonnen! Eine absolute Leseempfehlung.

  • Um das gleich am Anfang klarzustellen: Der Booker und ich haben eine sehr konfliktbeladene Beziehung. In der Regel gefallen mir die Romane, die letztlich den Preis mit nach Hause nehmen, nämlich nicht. Sie treffen einfach nicht meinen Geschmack. Dass diese Gefahr auch beim letztjährigen Gewinner bestand – Shehan Karunatilakas „Die sieben Monde des Maali Almeida“ - war mir von Anfang an klar. Doch der Plot klang einfach zu verlockend, um den Köder nicht zu schlucken: Maali, Fotograf im bürgerkriegsgebeutelten Sri Lanka der 80er Jahre, wird ermordet. Er landet in einer Art Purgatorium (man stelle sich jedes unterbesetzte Bürgerbüro dieser Welt vor, in dem Horden von Menschen Dinge erledigen müssen, aber gleichzeitig nicht wissen, an welcher Schlange sie sich anstellen sollen) und erfährt, dass er sieben Tage Zeit hat, seinen Frieden mit sich, der Welt und seinen Mördern zu machen. Das Ziel ist es, nach Ablauf dieser Zeit versöhnt mit allem ins Licht zu gehen. Aber will man das?


    Erzählt wird die Geschichte – man höre und staune – vom verstorbenen Maali selbst. Karunatilaka entscheidet sich für eine einzigartige Erzählhaltung, indem er einen Ich-Erzähler wählt, der allerdings von außen auf das schaut, was ihm selbst wiederfährt. Erzählt wird in der zweiten Person Singular, in der gleichzeitig die Person adressiert wird, die spricht. Schon verwirrt? Gut, denn im Verlauf wird es nur noch komplizierter.


    Diese außergewöhnliche Erzählhaltung ist wohl der eindrücklichste Kniff in diesem Roman, denn sie entwickelt sofort einen erzählerischen Sog, da das refrainartig wiederkehrende „du“ den Leser stets anzusprechen scheint, obwohl eigentlich der Protagonist selbst gemeint ist. Durch diesen Trick ist man während der Lektüre ununterbrochen auf Habacht, fühlt sich immerzu gemeint und aufgefordert, eine Position einzunehmen: zum Gelesenen, zum Plot, vor allem zu den Charakteren und zu Maali selbst. Das packt einen, jedoch nicht über die gesamte Strecke des über 500-seitigen Buchs. Solch eine hohe Schlagzahl kann man als Leser nicht ertragen, ohne zu ermüden. Zumindest ging es mir so. Karunatilaka erlaubt dem Leser keine einzige Verschnaufpause. Man sollte sich also vorher im Klaren darüber sein, dass die Lektüre dieses Romans als Arbeit einzustufen ist. Diese lohnt sich ja bekannterweise, aber manch einer würde eventuell doch die faule Freizeit vorziehen.


    Denn die komplexe Struktur hört bei der Erzählhaltung nicht auf. Die Welt dieses Buchs wird bevölkert von Geistern, Ghulen und Dämonen, die sich in einer Art Zwischenwelt bewegen. In dieser Welt versucht Maali, seinen eigenen Mord aufzuklären und seine Freunde zu den Negativen seiner wichtigsten (sprich: politisch brisantesten) Fotos zu lotsen. Denn Maali war Kriegsfotograf, was wohl letztlich zu seinem unnatürlichen Ableben führte. Nun ist Maali keine sonderlich sympathische Figur. Anstatt eines moralisch unantastbaren Fotojournalisten, der die Gräuel des Bürgerkriegs dokumentiert, hat man es bei Maali mit einer Spielernatur zu tun, der auf jeder Hochzeit tanzt. Oftmals weiß man als Leser gar nicht, für wen er gerade arbeitet – und Maali scheint es auch nicht sonderlich zu interessieren. Das Geld, das er verdient, verspielt er im Casino. Und die immer wieder zärtlich beschriebene Liebe zu seinem Partner D.D. untergräbt Maali regelmäßig mit Seitensprüngen. So wie die Erzählhaltung versperrt sich also auch der Protagonist einem einfachen Zugang. Maali ist ein komplexer Charakter – sehr lebensnah, unglaublich detailreich beschrieben. Aber wirklich mögen kann man ihn nicht.


    Vieles hier wirkt fremd. Es hilft, wenn man magischen Realismus mag, denn dann wird man sich einfacher auf diese groteske Geistergeschichte einlassen können. Wirklich den Hauptgewinn hat man, wenn man sich mit der Bürgerkriegsgeschichte Sri Lankas auskennt. Aber ganz ehrlich: Wer kann das schon von sich behaupten? Als unbedarfter europäischer Leser geht man hier bestenfalls mit der Erkenntnis heraus, dass sich in Sri Lanka verschiedene Ethnien bekämpft haben und dass alle Beteiligten bis in die höchsten politischen Kreise hinein korrupt waren. Alle weiteren Details sind vermutlich nur für Eingeweihte zu entschlüsseln oder wenn man bereit ist, beim Lesen parallell ständig Wikipedia-Einträge zu studieren. Nun ist es natürlich das gute Recht eines Autors, der eigenen Erzählung so viel oder so wenig politisch-gesellschaftlichen Kontext hinzuzufügen, wie es ihm beliebt. Die Sache ist halt nur: Der durchschnittliche internationale Leser wird hier ziemlich in die Röhre schauen, da sich viele Aspekte des Romans ohne Hintergrundwissen kaum entschlüsseln lassen. Dazu kommen dann noch unzählige Charaktere mit teils unaussprechlichen Namen, die auftauchen und wieder verschwinden und wieder auftauchen und wieder verschwinden und die Verwirrung ist komplett.


    Letztendlich ist der Roman zu lang, der fulminante Auftakt zerfasert zunehmend in zu viele Figuren und nicht klar getrennte Zeitebenen. Das lässt sich natürlich mit der Handlung „wegerklären“ - dass die Dinge ziemlich verwirrend werden, wenn man erstmal tot ist, überrascht sicher kaum einen Leser. Trotzdem führt es dazu, dass man sich oft recht verloren fühlt in diesem Roman, der viel will – und einiges erreicht. Karunatilaka packt unglaublich viel in diese 500 Seiten, nur bleibt stets die Erkenntnis, höchstens die Hälfte zu verstehen.


    „Die sieben Monde des Maali Almeida“ ist ein Buch für diejenigen, die mit einer sperrigen Erzählung umgehen können, die gleichzeitig ein spektakulär gut gemachter literarischer Text ist. Karunatilaka hat hier wirklich etwas abseits ausgetretener Romanpfade versucht – sowohl in der Form als auch auf der Erzählebene. Allein dafür gebührt ihm Applaus. Dass nicht alles davon – für mich – funktioniert hat: geschenkt. Gelohnt hat sich die Lektüre trotz der Anstrengung, die das Lesen gekostet hat.

  • Sri Lanka Roulette


    Dieser gewaltige Roman kommt anfangs sehr befremdlich daher. Ist doch der normale Sterbliche nicht gewohnt, vom Jenseits zu lesen. Von langen Schlangen an Schaltern in der Anderswelt, von weiß bekittelten Helfern, von Dämonen, Hellsehern und Flüsterern. Von Bürokratie und Gehirnwäsche – auch drüben. Siehe dazu S. 26: „Sir, verschwinden wir von hier. Hier warten nur Gehirnwäsche und Bürokratie. So wie in jedem anderen Gebäude dieses Unterdrückerstaats.“


    Es gibt Geister verschiedenster Kategorien: Ghouls, Selbstmörder und sogar tote Tiere, die sprechen können. Und, wie bei uns auch, gibt es Helfer und Steine-in-den-Weg-Leger und ganz viel dazwischen. S. 374: „Du fragst dich, wer Dr. Ranee ins Ohr flüstert und wer ihrem Flüsterer und wie viele unserer Gedanken eigentlich das Geflüster anderer Leute sind.“ (Dr. Ranee gehört zu den Helfern im Jenseits.) Und wieder einmal hat Dr. Ranee recht: „Es geht hier draußen nicht um Gut gegen Böse. Es geht um zahlreiche Abstufungen des Schlechten, um einen Wettstreit diverser Sündergrüppchen.“ S. 380.


    „Für Atmende sind Geister so unsichtbar wie Schuld, Schwerkraft, Strom und Gedanken. Tausende verborgene Hände lenken ein jedes Leben.“ S. 476.


    Der Erzähler hier in unserem preisgekrönten Roman ist Malinda Albert Kabalana, geboren 1955, ermordet 1990. Vom wem er ermordet wurde, das weiß er nicht. Aber er wüsste es gern. Außerdem möchte er posthum die zahlreichen Fotos, die er – der Profi-Fotograf – geschossen hat, veröffentlicht sehen. Am besten in der Galerie „The Lionel Wendt“ in Colombo, die vom wohlmeinenden Clarantha de Mel dirigiert wird. Vorhanden sind auch hier verschiedenste Kategorien von Fotos: von Leichen, von Folteropfern, von Massakern – aber auch schöne Lichtbilder seiner beiden Liebsten DD und Jaki. Und von außergewöhnlichen Tieren, z. B. vom Schuppentier.


    Das Gefährliche an diesen Fotos ist, dass verschiedene „Bestien“ aus Politik und Militär das nun gar nicht mögen, zumal es ihre hoch kriminellen Machenschaften bloßstellen würde. So jagen sie mit vereinten Kräften den Fotos hinterher und natürlich auch den Negativen. Vor Mord, Totschlag und Folter scheuen sie nie zurück. Aber haben sie Maali Almeida auch umgebracht – oder umbringen lassen? Und wie kann Maali Almeida aus dem Jenseits verhindern, dass die Fotos in falsche Hände geraten? Jedenfalls die, die er nicht schon zu Lebzeiten an verschiedene Organisationen und Presseagenturen verkauft hat?


    Über die Korruption im Land wird viel zitiert, z. B. auf Seite 334: „In einem Land, in dem die halbe Bevölkerung sich kein Telefon im Haus leisten kann, hat der Minister eins im Auto.“ Oder, wie der getötete Journalist auf Seite 443 erzählte: „Selbst, wenn das Land tief in den Schulden steckt, selbst wenn Kriege eskalieren, Fluten die Ernte ertränken und Dürren die Saat verdorren lassen, selbst wenn die Wirtschaft abschmiert und die Inflation davongaloppiert, bleibt im Haushalt immer noch Platz, um jeden Minister mit drei Luxuskarossen auszustatten.“


    Viele Namen, viele Organisationen in Sri Lanka und in anderen Ländern lassen den Leser manchmal ratlos zurück und gelegentlich hilft auch das Register der Lebenden und der Toten, samt Stadtplan, am Schluss nicht weiter. Zu vielschichtig ist die Handlung und zu unübersichtlich. Aber gelegentlich auch witzig: „Ich habe mir gedacht, die Reinkarnation ist billiger als die Geschlechtsumwandlung.“ So spricht eine verhinderte Dragqueen zu unserem Erzähler auf Seite 396.


    Sieben Monde hat er Zeit, der Erzähler und das ist nicht viel, denn die Monde wechseln täglich. Nicht so, wie bei uns. Dann, am Ende, kann er entscheiden, ob er ins Licht gehen möchte oder vielleicht dorthin, wohin er am meisten gehört.


    Fazit: Den Booker Prize 2022 hat er redlich verdient, Respekt, Mr. Shehan Karunatilaka. Ausgezeichnete, sehr ungewöhnliche Literatur über das Jenseits und Diesseits. Und etliche Weisheiten daraus können wir uns dauerhaft auf unsere Fahne schreiben.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Danke für die interessanten Rezensionen :D


    Viele Namen, viele Organisationen in Sri Lanka und in anderen Ländern lassen den Leser manchmal ratlos zurück und gelegentlich hilft auch das Register der Lebenden und der Toten, samt Stadtplan, am Schluss nicht weiter. Zu vielschichtig ist die Handlung und zu unübersichtlich.

    Ich höre das Buch zur Zeit und es ist wirklich nicht gerade einfach der Handlung auf diese Weise zu folgen. Bei den Abkürzungen der Organisationen, die der Ich-Erzähler einmal erwähnt hatte, hätte ich mitschreiben sollen. Hätte ich das mal vorher gewusst :uups: Den Punkt finde ich im Hörbuch wohl nicht mehr. :lol: Den Überblick über die Lebenden und Toten zu behalten, ist auch nicht gerade leicht. Mittlerweile lasse ich mich einfach mittreiben, versuche halbwegs den Überblick zu behalten und werde mir im nächsten Jahr die Buchausgabe zum wieder lesen gönnen. Immerhin kann ich trotz allem noch das Hörbuch genießen und finde die Geschichte sehr interessant und spannend. Bis halt auf die genannten Punkte, aber ich hatte halt nicht mit einer derartigen Geschichte gerechnet. Der Sprecher -Hans Löw- macht seine Sache ausgezeichnet, da kann ich nicht meckern.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • Ich bin größer Hörbuch Fan, aber das hier hätte ich nicht hören wollen.

    Eine gewisse Herausforderung lässt sich in diesem Fall in der Tat nicht leugnen :-, Hätte ich es mal vorher gewusst. :-?

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • geisterhafter Kriminalfall - 4 Sterne


    Worum geht es?

    Maali ist tot und findet sich plötzlich in einer geisterhaften Zwischenebene wieder. Doch wie ist er ums Leben gekommen? Genug Menschen hat er verärgert, schließlich fotografiert er das Grauen in einem Land voller Bestechung und Gewalt.


    Worum geht es wirklich?

    Erpressung, Trug und Liebe.


    Lesenswert?

    Ja, eine wirklich wilde Lektüre. Die Erzählweise ist eher ungewöhnlich und erfordert ein bisschen Zeit um in die Geschichte einzufinden. Die Namensfülle ist reichhaltig, es gibt aber eine Liste der agierenden Personen.

    Maali ist ums Leben gekommen und befindet sich nun für sieben Monde in einer Geisterebene, von der aus er die Welt beobachtet, aber nicht mit ihr interagieren kann. Er weiß nicht wie er ums Leben gekommen ist und geht neugierig auf die Suche.

    In seinem Leben gibt es in den Augen einiger wahrlich viele Gründe für den Tod: Er fotografiert das Grauen, die Machenschaften und korrupte Menschen und fühlt sich zu Männern hingezogen, was nicht offen ausgelebt werden darf.

    Die lesende Person wird weder über Sagen oder Legenden noch über die näheren Umstände aufgeklärt, in denen sich Sri Lanka zur Zeit der Handlung befindet. Man erhält jedoch genug Andeutungen um sich seinen Reim machen zu können oder auch Dinge zu googeln.

    Generell ist die Situation eher schaurig, da viele Menschen ermordet werden und die Geister im Zwischenreich oft dunkel und bösartig sind.

    Das Buch war definitiv anders als erwartet, schwerer zu lesen als gedacht, aber hat mich trotzdem sehr neugierig auf das Land und seine Vergangenheit gemacht. Cover und inneres Layout gefallen mir sehr gut.

    Wenn man über den Tellerrand blicken will, kann ich diese Lektüre echt empfehlen.

  • Was für ein Buch!


    Zur Handlung haben meine Vorredner bereits Einiges gesagt. Ein sri-lankischer Foto-Journalist, jener Maali Almeida, stellt fest, dass er tot ist, befindet sich aber in einer Zwischenwelt, in der er Sieben Monde hat, ehe er in das Licht gehen muss, um nicht als Geist in dieser deprimierenden Zwischenwelt festzustecken. Als Geist kann er sich in der Welt der Lebenden bewegen, er will die Zeit nutzen, um den Mord an ihm aufzuklären und dafür zu sorgen, dass die Fotos, die er von Bürgerkriegsverbrechen und deren Hintermänner geschossen hat, an die Öffentlichkeit gelangen.


    Die Exposition und die übernatürlichen Elemente haben mich ein wenig an Salman Rushdie erinnert, vor allem an Die Mitternachtskinder. Der Vergleich ist insofern glücklich, als dass Karunatilaka weit entfernt von einer Imitation ist und einen ganz eigenen, kraftvollen Ton findet. Aber trotz der auf den allerersten Blick gradlinig erscheinenden Handlung ist es auch ein wilder, Volten schlagender Stil, der der mit großer Lust am Erzählen sowie mit tolldreistem und unbändigem Witz den großen Bogen schlägt; etwas, was den Vergleich doch nahelegt.


    Maalis Karriere ist eng verbunden mit einigen wichtigen Schauplätzen des sri-lankischen Bürgerkriegs während der 1980er Jahre, seine Wege als Fotograf bzw. "Fixer" (ortskundiger Unterstützer für fremdländische Journalisten, die auch Kontakte herstellen) kreuzen jene von Paramilitärs, Todesschwadronen, korrupten Politikern und Folterknechten. Maalis persönliche Lebensgeschichte, sein desolates Verhältnis zu seinen Eltern, sein homosexuelles Liebesverhältnis zu DD, dem tamilischen Sohn eines Parlamentsabgeordneten, der sein Coming Out fürchtet (den Sohn meine ich), seine komplizierte Freundschaft mit Jaki, DDs Cousine, Maalis Glücksspielleidenschaft: All jene breit auserzählten Aspekte sind stets verknüpft mit den ethnischen Konflikten in der Gesellschaft, dem Hass und der Gewalt und der unterschiedlichen Lebenswelten. Maali ist weiß Gott kein einfacher Mensch und ebenso zerrissen wie sein kriegsgebeuteltes Heimatland.


    Der etwas ungewohnte Stil, der konsequent Maalis Geschichte in der Du-Form erzählt, sowie die vielen Namen und Abkürzungen, die für sri-lankische Organisationen stehen, können einen als unkundigen deutschen Leser verwirren, wie andere schon bemerkt haben, das ist wahr. Aber wenn man erst einmal in die Handlung gefunden hat, lässt sich diese Informationsfülle mit Hilfe des Glossars doch gut bewältigen. Es ist sogar bemerkenswert, wie stark Karunatilaka die Komplexität dieses Konflikts eindampft, der immerhin von 1983 bis 2009 wütete, und dabei eine Ahnung davon eingibt, wie verwickelt der Konflikt doch ist.


    "Die Sieben Monde des Maali Almeida" ist ein faszinierendes und intensives Buch, das eine bildgewaltige, mythologisch anmutendes Panorama Sri Lankas und der Wunden, die der Bürgerkrieg dem Land zugefügt hat, entfaltet. Ein großartiges Buch, bei dem man nach einer kurzen Eingewöhnungsphase die Lust spürt, die der Autor am Erzählen hat.

  • Colombo (Sri Lanka) im Jahr 1990: Malinda Albert Kabalana, genannt Maali Almeida, erwacht tot in einer himmlischen Einwanderungsbehörde. Der ehemalige Kriegsfotograf, Glücksspieler und promiskuitive Homosexuelle wurde nur 35 Jahre alt. Er wurde ermordet. Doch von wem? Das muss Maali in der Zwischenwelt herausfinden. Die Liste der Verdächtigen ist lang. Und die Zeit arbeitet gegen ihn. Es bleiben ihm im Jenseits nur sieben Tage, um seinen Mörder zu ermitteln…


    „Die sieben Monde des Maali Almeida“ von Shehan Karunatilaka, der mit dem Booker Prize 2022 ausgezeichnet worden ist.


    Meine Meinung:

    Die Struktur des Romans ist durchdacht und schlüssig. Die acht Teile sind in mehrere Kapitel gegliedert. Erzählt wird vorwiegend in der ungewöhnlichen Du-Perspektive.


    Der Schreibstil des Romans ist dialoglastig. Die Sprache ist atmosphärisch und sehr bildhaft. Trotz der ernsten Themen ist der Erzählton zynisch-salopp und ein wenig frech. Das Glossar erklärt einige Namen und Begriffe, lässt für meinen Geschmack allerdings zu viele Lücken.


    Was das Personal angeht, wirkt der Roman überfrachtet. Trotz der angehängten Personenübersicht fällt es bisweilen schwer, den Überblick zu behalten und die richtigen Beziehungen zuzuordnen. Im Mittelpunkt des Romans steht Maali, ein vielschichtig angelegter Antiheld.


    Auf inhaltlicher Ebene ist die Geschichte bizarr, skurril und schrill. Bürgerkrieg, Korruption und allerlei Gräueltaten dominieren. Die fremde Geisterwelt sowie die politischen und gesellschaftlichen Umstände vor mehr als 30 Jahren in Sri Lanka erfordern viel Aufmerksamkeit beim Lesen. Darüber hinaus scheinen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie manchmal zu verschwimmen. Nicht alles ist daher leicht oder überhaupt verständlich für westliche Durchschnittsleserinnen und -leser. Wer sich trotzdem darauf einlässt, kann einiges aus der Lektüre ziehen.


    Dank falscher Fährten und Wendungen wird der mehr als 500 Seiten umfassende Roman nicht langweilig. In der Mitte schwächelt die Geschichte zwar etwas. Besonders das erste und das letzte Drittel haben mich jedoch überzeugt. Sehr gespannt war ich auf die Auflösung und das weitere Schicksal des Protagonisten. Das Ende hat mich in beiden Punkten zufrieden gestellt.


    Das farbenfrohe, außergewöhnliche Cover erregt Aufmerksamkeit und passt gut zum Inhalt. Das gilt auch für den deutschen Titel, der wortgetreu aus dem Original übersetzt ist („The Seven Moons of Maali Almeida“).


    Mein Fazit:

    Mit „Die sieben Monde des Maali Almeida“ ist Shehan Karunatilaka ein bunter, besonderer Roman gelungen. Eine herausfordernde, aber lohnenswerte Lektüre.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Preisverdächtig, aber ...


    Dieser Roman hat alles, was ihn dafür prädestiniert Literaturpreise zu bekommen (und er hat ja auch den Booker Prize 2022 abgestaubt) ... aber er gefällt mir trotzdem nicht so richtig.
    Der magische Realismus (nicht Fantasy, aber auch kein normaler Roman) ist spannend und ungewöhnlich, aber die Welt mit all ihren verschiedenen Geistern und Mythen war mir einfach zuviel. Wer sich nicht in der Mythologie Sri Lankas auskennt, der ist schnell verloren.
    Genauso ist es mit den unheimlich vielen Namen und politischen Gruppierungen. Ich hatte schnell keinen Überblick mehr - und ehrlich gesagt auch keine Lust mich noch weitere 400 Seiten mit unglaublichen Gräueltaten "unterhalten" zu lassen.
    Zum anderen finde ich die "Du-Perspektive" echt anstrengend. Das wäre mal für einzelne Kapitel ok gewesen, aber über 500 Seiten sind in dem Stil einfach nur ermüdend zu lesen.
    Wer wirklich motiviert ist, findet hier mal ein ungewöhnliches und originelles Leseerlebnis, mit dem er vor intelektuellen Freund:innen sehr angeben kann. Wer den Roman nur anfängt, weil er interessant klingt, der kommt schnell an seine Grenzen und wird vermutlich irgendwo mittendrin abbrechen.