Yosano Akiko - Wirres Haar / Midaregami

  • In Deutschland wird japanische Lyrik am ehesten mit den dreizeiligen Haikus verbunden, die sich thematisch mit der Natur befassen. Weniger bekannt sind die Tankas, kurze reimlose Gedichte im Umfang von 31 Moren - wobei im Japanischen jede More einem Schriftzeichen entspricht und sich somit von dem unterscheidet, was wir unter einer Silbe verstehen. Dabei beschwört das Tanka stets einen bestimmten Augenblick und fängt ihn für die Ewigkeit ein.


    Für die vorliegende Sammlung „Wirres Haar“ wählte die Lyrikerin und Essayistin Yosano Akiko aus etwa 650 ihrer Tankas genau 399 aus und unterteilte sie in insgesamt sechs Abschnitte. Die einzelnen Gedichte sind in dieser Ausgabe nummeriert und geben neben der deutschen Übersetzung auch die japanischen Schriftzeichen sowie die Umschrift in lateinische Buchstaben (rōmaji) an, was einen großen Mehrwert für diejenigen bieten dürfte, welche das Japanische beherrschen. Der Titel des Buches spielt auf eine gewisse innere Unruhe und ein Gefühlschaos an, denn zum Zeitpunkt der Entstehung im Jahr 1900/1901 trugen Frauen in der Regel ihre Haare hochgebunden oder hochgesteckt.


    Generell ist die Sammlung eine Mischung aus tatsächlichen Erlebnissen und fiktiven Begegnungen, was nicht immer klar zu trennen ist. Es ist jedoch bekannt, dass der dritte Abschnitt „Weiße Lilie“ sich auf Yamakawa Tomiko bezieht, eine Freundin der Dichterin, mit der sie kurzzeitig auch um die Liebe zu ihrem späteren Ehemann Yosano Tekkan konkurrierte. Für ihn verließ Yosano Akiko überstürzt ihr Elternhaus – eine Erfahrung, welche sie wiederum im Abschnitt „Zwanzigjährige Gemahlin“ verarbeitet. Weitere Themen der Sammlung sind die Jahreszeiten, Farben und Blüten sowie Religion.


    Im exzellenten Nachwort liefert Übersetzer und Herausgeber Eduard Klopfenstein neben biografischen Angaben auch eine kurze Chronik sowie ein Nachwort zur Sammlung, in dem er näher auf Aufbau und Inhalt eingeht. Yosano Akiko war eine faszinierende, unangepasste Frau, die sich neben ihrer Lyrik auch für die Gleichstellung von Frauen einsetzte. Ihre Essays liegen unter dem Titel „Männer und Frauen“ ebenfalls bei Manesse vor. :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: