In diesem Roman, der sechste von James Hynes und der erste, der im Deutschen erscheint, erzählt der US-Schriftsteller die Geschichte von Jakob, einem einstigen Sklaven, der im 4. Jahrhundert als Sklavenjunge in einem Bordell in Carthago Nova (dem heutigen Cartagena) aufwächst und eine Hölle von Kindheit durchlebt.
Jakob ist dabei ein Name, den er später als Christ angenommen hat. Als Sklavenjunge besaß er keinen Namen, er war schlicht Pusus (Lat.: Junge) oder Maus (so nenne ich ihn im Folgenden), sich selbst bezeichnet er in Anlehnung an eine Fabel als Sperling. Hynes beginnt den Roman mit einem gewissen Kniff: Maus sitzt am Ende eines für damalige Verhältnisse langen Lebens in Britannien in einer heruntergekommenen Bibliothek einer längst aufgegebenen Stadt und erinnert sich an seine Kindheit. Die ersten Einlassungen und Philosophenzitate lassen erahnen, dass Maus mittlerweile ein gebildeter, wenn auch ärmlicher Mann ist, die Beschreibung seiner frühesten Erinnerung wirft hingegen Fragen auf.
Das erste, woran er sich nämlich erinnert, ist die Beinahe-Vergewaltigung der Küchensklavin Focaria (Lat.: Köchin), die lediglich durch das brutale Eingreifen des Bordellleiters Audo abgewendet wird. Als Leser fragt man sich natürlich, welcher Lebensweg zwischen dieser grausamen Erfahrung und diesem in mehrfacher Hinsicht sehr fernen Ende liegen mag.
Noch etwas wird durch diese Anfangsszene klar: Hynes mutet dem Leser Einiges zu. Gewalt, mit der die (Sex-)Sklaven dieses Bordells unterdrückt werden, ist an der Tagesordnung, auch sexuelle Gewalt wird hier detailliert beschrieben. Hynes erklärtes Ziel bestand darin, eine eindrückliche Alltagsschilderung vom unteren Ende der sozialen Hierarchie zu schaffen, also der Gruppe der Geknechteten und Ausgebeuteten. Zwar darf man ihm zu Gute halten, dass er diese Schilderungen nicht voyeuristisch ausformuliert und knapp hält, aber sie kommen öfter vor und beschönigen wenig, das auszuhalten muss man schon bereit sein, wenn man dieses Buch lesen will.
In Diesem Zusammenhang ist noch zu erwähnen, dass Hynes zumeist eine nüchterne, aber stilistisch sichere Sprache pflegt, nur selten und dann kurz schaltet sich der Erzähler in seiner Rückschau mit Kommentaren ein. Sauer stoßen mir lediglich seltene Kraftausdrücke auf (wie "Scheiße", "Pisse", oder "ficken"), die sich zumindest im Deutschen eher als hilfloser Versuch ausnehmen, den rauen Umgangston zu verdeutlichen. Sie passen auch nicht zum Ton des Erzählers, der ja offensichtlich über solchen Begriffen steht.
Maus' Lebensweg ist jedenfalls kein leichter: Kurz nach der Eingangsszene erhält eine der Prostituierten, die in der Stadt als "Wölfinnen" bekannt sind, die Aufgabe, sich um den noch kleinen Jungen zu kümmern. Woher der Junge eigentlich stammt, weiß keiner, auch nicht, wie er heißt. Er ist beschnitten und leicht dunkelhäutig, also ist er vielleicht jüdischer oder syrischer Abstammung, ansonsten kann er kaum sprechen. Er ist einfach da, aber als Sklave hat er, sobald er dazu in der Lage ist, auch zu arbeiten. Sobald er dies gelernt hat und halbwegs alt genug ist, wird er erst für die knochenschwere Küchenarbeit eingeteilt, später hilft er in der Gastwirtschaft mit, erledigt Besorgungen, holt Wasser vom Brunnen. Und ja: Später erkennt der Besitzer die Profitmöglichkeiten, die der Knabenkörper für ihn im Obergeschoss des Bordells eröffnet. Damit beginnt für Maus die Hölle erst so richtig.
Hynes entwirft mit Maus' Leidensweg eine sehr lebendige, wenn auch beengte Welt, die sich größtenteils im besagten Bordell abspielt. Neben Focaria und dem tyrannischen Audo treten noch fünf Wölfinnen auf, die ihrerseits ganz eigene Geschichten und Ziele haben. Euterpe steht Maus am nächsten, da sie ihn quasi aufgezogen hat, sie ist es auch, die versucht, Maus so weit es geht vor den Härten seines Sklavendaseins zu schützen oder zumindest die Pein zu lindern. Mit kleinen Geschichten und Fabeln erklärt sie ihm die Welt und versucht ihn zu trösten. Andere Wölfinnen sind durchaus bereit, sich auf Maus' Kosten einen Vorteil zu verschaffen. Sonstige Kontakte hat Maus vornehmlich bei seinen frühen Botengängen, etwa wenn er die Schmutzwäsche zum Tuchwalker bringt oder Brot vom Bäcker holt. Doch nicht alle sind dem Jungen aus dem Bordell wohlgesonnen.
Ein interessanter Aspekt ist, dass Hynes die Geschichte von jemanden erzählen wollte, der nicht wie ein Spartakus den Kampf gegen die Unterdrückung aufgenommen hat, sondern sich ohne einen Kampf in sein aussichtsloses Los gefügt hat, der sich gar nicht einmal vorstellen kann, was ein Leben in Freiheit bedeuten könnte. Hierbei kommt erneut die Frage auf, wie jemand wie Maus letztenendes als derjenige enden kann, der uns im Prolog entgegentritt. Da Hynes diese Frage nicht abschließend beantwortet und die Erzählung recht abrupt beendet, bleibt zu fragen, ob es noch einen Nachfolgeband geben wird. Ich würde ihn jedenfalls lesen, denn Hynes Schilderung dieses unerbittlichen Schicksals ist trotz der schwer verdaulichen Härten und eines etwas langsamen Starts mitreißend und faszinierend.