Audur Ava Ólafsdóttir - Hotel Silence / Ör

  • Kurzmeinung

    mapefue
    Bohrmachine immer bei der Hand haben
  • Kurzmeinung

    Bartie
    wunderschöner Sprachstil, bewegende Menschenschicksale
  • Mit Narben leben lernen


    Jónas ist fest entschlossen seinem Leben ein Ende zu setzen. Zu sehr wurde er verletzt, zu tief sind seine seelischen Narben, die nicht heilen wollen.


    Nachdem er immer neue Gründe herausfindet um sein Vorhaben nicht sofort realisieren zu müssen, verlässt er die Heimat und zieht in ein vom Krieg zerstörtes Land. Dort hofft er auf einen schnellen, unkomplizierten Tod: „Das erscheint mir ideal, ich könnte an einer Straßenecke erschossen werden oder auf eine Landmine treten“ (64)


    Die Stadt, in der er ankommt, ist zerbombt; das Hotel Silence, in dem er eincheckt, komplett renovierungsbedürftig. Jónas macht sich an die Arbeit; zum Glück ist er handwerklich begabt und eine Bohrmaschine hat er auch mitgenommen. Die körperliche Arbeit und die Gespräche mit den Überlebenden des Krieges zwingen Jónas zum Umdenken. Besonders die junge Hotelbesitzerin Mai mit ihrem kleinen Sohn Adam trägt dazu bei; ihre eindrucksvollen Schilderungen über die schreckliche Kriegszeit und das Leid ihrer Nächsten berühren sehr:

    Es war keine große Sache, zu sterben. (…) erschossen oder in Stücke gesprengt zu werden, aber wenn sie einen erwischten, dann starb man hundertmal.“ (130)


    In der zerstörten Stadt und im Hotel Silence findet Jónas viele anderen Leidtragenden: Menschen mit seelischen Narben, die trotzdem die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht verloren haben.



    Jónas Geschichte fängt fast banal an: ein verlassener Ehemann, zutiefst gekränkt, denkt an Selbstmord. Zum Glück bekommt er die Idee: die Heimat zu verlassen. Die Begegnungen mit den Menschen, die viel Schreckliches ertragen haben und mit ihren Verletzungen und Narben weiterleben müssen, helfen Jónas sein Leben neu zu gestalten.


    Mit viel Empathie erzählt Audur Ava Ólafsdóttir diese bemerkenswerte Geschichte. Die leisen Töne ihrer Erzählung fesseln. Die Autorin überzeugt mit dem einfachen und gleichzeitig sehr eindrucksvollen Schreibstil. Gekonnt vermittelt sie die Stimmung und die Atmosphäre der Handlung, berührt mit den Schicksalen der lebendig wirkenden Charaktere.


    Der Roman „Hotel Silence“ fesselt und stimmt nachdenklich. Eine empfehlenswerte Lektüre!

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  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Audur Ava Ólafsdóttir - Hotel Silence“ zu „Audur Ava Ólafsdóttir - Hotel Silence / Ör“ geändert.
  • Jónas Ebeneser (49), hat den Boden unter seinen Füssen verloren. In tiefe Depression verfallen? Bei den drei Gudruns, die ihn umgeben kein Wunder. Die eine, seine Ex, hat einst in der gemeinsamen Schlafstatt eine Kissenwand ihm gegenüber aufgebaut, seine Mutter versinkt in Demenz und mit seiner Tochter keine Kommunikation.


    Nur das Wie und das Wo sind noch unbestimmt. Er leiht sich vom Nachbarn dessen Flinte, kann aber nicht damit umgehen und hat keine Munition. Also ab in ein von Krieg zerstörtes Land mit seiner Bohrmaschine, die er dann bräuchte, um einen Hacken in der Decke zu montieren. Bereits früh wird klar, dass bei aller Tragik der Handlung eine Portion Komik beigemischt wurde.


    Nicht dass es von Bedeutung wäre, in welchem Land sich Jónas wiederfindet, tippe ich auf den Balkan, nach dem massiven NATO-Bombardements. Tote, Ruinen, Stromabschaltungen, Ausgangssperre. Das Bizarre an der Situation, dass sich Jonas Mutter zeitlebens intensiv mit dem Thema Krieg beschäftigt hat.


    Der Taxifahrer bringt die ersten zwei Gäste ins „Hotel Silence“, er fährt einhändig, die zweite hat er im Krieg verloren. Das Haus am Meer wird von dem Geschwistern Mai und Fifi geführt, beide hoffen auf einen touristischen Aufschwung. Kein Druck in der Dusche, roter Sand aus der Wasserleitung - für Jónas kein Problem, er repariert es. Das ist nur der Anfang. Er wird zum Synonym für Wiederaufbau und den Glauben an bessere und friedliche Zukunft.

    Der zweite weibliche Gast fährt ins Hinterland, sucht für eine Reportage eine Lokation, der dritte männliche Gast stellt sich später als Kriegsprofiteur heraus.


    Viel ausgiebiger beschäftigt sich Ólafsdóttir mit dem „Hotel Silence“ als Bauwerk, dem ein Thermalbad angeschlossen war und einer berühmten Mosaikwand, von der anscheinend nur Jónas etwas weiß und seinem „Manager“ Fifi. Dessen Schwester Mai, nur ein paar Jahre älter als seine Tochter, ohne Mann mit dem 6-jährigen traumatisierten Sohn Adam.

    „Sehnst du dich nicht nach der Wärme eines anderen Körpers“ (Mai).


    Nicht allen Leuten gefällt Jonas Aufbauarbeit, er wir überfallen und verprügelt. Doch eine Frau verarzt ihn: „Sie können Ihr Hemd wieder zuknöpfen. Schöne Blume.“ Womit wir wieder bei der Coverabbildung wären: Eine Wasserlilie, die sich Jonas vor seinem Abflug stechen ließ.

    Die ausgezeichnete Übersetzung, mit den vielen Zitaten von Persönlichkeiten, die ihrem Leben ein Ende gesetzt hatten, trägt zur überragenden Qualität des Romans bei. Trotz aller Düsternis und Melancholie gewinnt mit der Kraft die Hoffnung und die Magie eines Neufangs die Oberhand.

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