Es gibt ein durch die westliche Kultur geprägtes Vorurteil, das besagt, dass eine künstlerisch-geniale Fähigkeit lediglich jenen zuzurechnen wäre, die für ein Publikum etwas anbieten, das ihren gestalterischen Absichten entspricht. Um dieses Vorurteil zu plausibilisieren hat die westliche Kultur die Institution des Autors geschaffen: Künstler, Literaten, Gelehrte, Intellektuelle. Sie belieferten ein Publikum mit ihren Werken, denen durch die Strukturen des Rezeptionsverhaltens besondere Wertschätzung zuteil wird, einschließlich eines Risikos, das darin besteht beim Publikum durchzufallen. Gerade dieses Risiko stiftet - so das Vorurteil - genügend Motive für Autoren, es beim Publikum zu versuchen.
Dass es sich bei dieser einseitigen Zurechnung von künstlerischer Genialität um ein Vorurteil handelt, ergibt sich aus der Tatsache, dass weder ein einzelner Autor noch ein einzelner Rezipient in der Lage wäre, die jeweilige Rolle im Produktionsprozess zu garantieren.
Nichts geht ohne Galeristen, Verleger, Journalisten, Buchhändler und Museen, Veranstaltungen oder Bibliotheken. All diese Zwischeninstanzen sind unverzichtbar damit z.B. Autoren für ein Lesepublikum erreichbar werden, aber keiner dieser Zwischeninstanzen wird eine künstlerische Genialität zugerechnet, obgleich ohne die dort erbrachten Leistungen niemand von der Genialität oder dem Dilettantismus des einen oder anderen Autos etwas in Erfahrung bringen könnte.
Warum aber sollte das Verfassen von Text von größerer Genialität sprechen als Methoden der verlegerischen Buchhaltung? Warum sollte die Gestaltung einer Innenarchitektur von Ausstellungsräumen nicht den gleichen Wert haben wie das Bemalen von Leinwand? Warum sollte die Organisation von Veranstaltungstechnik von geringerer Bedeutung sein als das Hantieren mit Musikinstrumenten?
Jeder weiß aus Erfahrung, dass die Gestaltung von Kunst- oder Literaturzeitschriften, die Organisation eines Theaterbetriebs oder die Merkmale einer Werbeästhetik von gleicher Wichtigkeit sind, ablesbar daran, dass all dies genauso der Kritik unterzogen wird.
Dieses kulturelle Vorurteil findet bis heute Niederschlag in einer Kontingenzformel, die von "Kunst- und Kulturschaffenden" spricht. Diese Kontingenzformel will sagen: gemeint sind irgendwelche bestimmten Leute, die man aber unbestimmt lassen muss, weil man nicht sagen könnte, wer zum Produktionsprozess keinen wirksamen Beitrag leistet.
Gerade in dieser Kontingenzformel, die alle und keinen meint, spricht sich ein kulturelles Vorurteil aus, das für die Beurteilung von Werken eine große Rolle spielt
Aber welche?
Gruß, Alfred Testa.