Howard W. French - Afrika und die Entstehung der modernen Welt / Born in Blackness

  • Die Geschichte der modernen Welt, oft auch beschrieben als Geschichte der westlichen Welt, wird für gewöhnlich als eine Erfolgsgeschichte erzählt. Demnach beginnt die Geschichte mit den großen, die Frühe Neuzeit einläutenden Entdeckern: Magellan, Dias und natürlich auch Columbus. Auf das Zeitalter der Entdeckung folgt eine wirtschaftliche und militärische Expansion, die nahezu den gesamten Globus erfasst und die begleitet wird von einem unvergleichlichen wirtschaftlichen Aufstieg Europas. Der transatlantische Handel bildete den Grundstein für die Industrialisierung, die zunächst in England einsetzte. Im Windschatten der Industrialisierung vollzogen sich auch weitere gewichtige Umwälzungen im sozialen Gefüge und in den politischen Systemen, die über Umwege zu unseren modernen, säkularen, demokratischen Systemen führten (gerafft und zugespitzt, man sehe mir das nach).


    Die Geschichten, die hierzu erzählt werden, im Rahmen akademischer Forschung aber auch im Zuge eines kollektiven Gedächtnisses, das aus der eigenen Geschichtswahrnehmung die Bezugspunkte der eigenen Identität ableitet, haben hauptsächlich europäische Akteure (wobei hier der Einfachheit halber Kolonisten der "Neuen Welt" in Amerika auch als Europäer verstanden werden) in den Mittelpunkt gestellt. Howard French schickt sich mit seiner vorliegenden Monographie an, die Geschichtsschreibung durch eine neue Perspektive zu ergänzen, die den Blick schärft auf die afrikanischen Akteure, die auf unterschiedliche Weise in diesem Prozess mitwirkten und ihn sogar erst möglich machten.


    Über den Autor:

    Howard W. French ist kein Geschichtsprofessor, sondern Journalist. Als leitender Auslandskorrespondent berichtete er über Jahre hinweg für die New York Times über Mittelamerika, die Karibik, Japan, China und die beiden koreanischen Staaten. Sein persönliches Interesse für Afrika vertiefte er auf zahlreichen privaten Reisen quer über den Kontinent. Seit 2008 ist er "Professor of Journalism" an der Universität von Columbia.


    Afrikanische Agenda im Zeitalter der Entdeckung


    Es sind zwei Aspekte, die French durch anschauliche Beispiele hervorhebt. Zum einen geht es ihm darum, dem Bild von Afrika als "geschichtslosen Kontinent" entgegenzutreten. Afrika, so zeigt er, war für das Königreich Portugal für lange Zeit eine entscheidende Bühne für die geopolitischen Bestrebungen des vergleichsweise randständigen Reiches. So waren es nicht etwa die fernen Märkte Indiens, die in der Rückschau als ultimative Sehnsuchtsorte europäischer Entdecker erscheinen, sondern die Reiche der afrikanischen Goldküste, die für die portugiesische Handelspolitik in der Frühen Neuzeit von vorrangigem Interesse waren, wähnte man dort große Reichtümer. Die Beziehungen zu den afrikanischen Königreichen waren durchaus ambivalent und von gleichrangigen Handelspartnerschaften, aber auch von diplomatischen und durchaus militärischen Auseinandersetzungen geprägt.


    So erklärt French auch, wie der europäische Bedarf an afrikanischen Sklaven für die zunächst noch auf afrikanischen Inseln angesiedelten Zuckerrohrplantagen (beispielsweise auf São Tomé) an bereits bestehende afrikanische Sklavenmärkte anknüpfte. Die Portugiesen handelten vor allem mit europäsichen Schmuckwaren und kostbaren Stoffen, um sich mit ausbeutbaren Arbeitskräften zu versorgen. Doch erst auf den Zuckerrohrplantagen in der Neuen Welt, in Brasilien und in der Karibik, stieg die Nachfrage nach afrikanischen Sklaven (die im Gegenzug zur amerikanisch-indigenen Bevölkerung als geeigneter betrachtet werden, nicht zuletzt weil den Indigenen eher das Untertauchen nach einer Flucht gelang) rasant an. Die exorbitanten Gewinne der dortigen Zuckerwirtschaft kannten keinen Vergleich und gaben bedeutende Impulse für das Wirtschaftsnetzwerk zwischen den nordamerikanischen Kolonien und der "Alten Welt" Europas. Ohne die Verschleppung und Ausbeutung von Millionen von Afrikanern wäre die Zuckerwirtschaft in diesem Ausmaß niemals möglich gewesen, argumentiert French bewusst provokant. Und erst mit steigendem Hunger nach afrikanischen Körpern und ihrer Arbeitskraft begannen die europäischen Mächte – mittlerweile sind nicht nur die Portugiesen an der Westküste Afrikas vertreten – Kriege und Unruhen zu schüren und in eigener Regie Afrikaner zu versklaven.


    Ein neuer Blick auf Altbekanntes


    Frenchs Verdienst besteht nicht nur darin, die durchaus komplexen Zusammenhänge zwischen afrikanischer Agenden, kolonialer Rivalitäten, dem transatlantischen Handelsnetzwerk und der Ökonomie des Sklavenhandels verständlich zu erläutern, sondern auch darin, einen Eindruck von der Bedingtheit etablierter Sichtweisen auf die Geschichte zu verschaffen. In der Geschichtsforschung und im Allgemeinen besteht eine größere Sensibilisierung für bislang marginalisierte Akteure als jemals zuvor, jedoch gibt es immer noch entscheidende Leerstellen. Die Befunde, die French vorlegt, sind keineswegs neu, er bezieht sich neben neueren Untersuchungen auch auf ältere Vordenker wie Eric Williams oder C. L. R. James, die schon früher auf den Beitrag afrikanischer Sklaven hingewiesen haben. Dass deren Forschungsergebnisse jahrzehntelang verrissen und auch heute jenseits der akademischen Forschung immer noch kaum wahrgenommen werden, spricht für die Beständigkeit etablierter Deutungsmuster. Geradezu erfrischend ist es, seine eigenen eingefahrenen Denk- und Deutungsmuster mit einer so deutlich anders akzentuierten Darstellung auf den Prüfstand zu stellen.


    So stellt French verdientermaßen dar, welchen Stellenwert dem Sklavenaufstand auf Sklavenaufstand auf Saint-Domingue und der daran anschließenden Staatengründung Haitis im Jahre 1804 beigemessen wird und stattdessen beigemessen werden sollte. French hebt nicht nur die Bedingungen und Leistungen der Revolutionäre als Belege für Schwarze Agenda hervor, sondern weist auch nach, wie Schwarze Intelektuelle an vornehmlich als europäisch gelesenen Diskursen partizipierten und indirekt die Sklaven- und Wirtschaftspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika sowie die Kolonialpolitik der europäischen Großmächte entscheidend beeinflussten.


    Frenchs Beitrag ist dabei keineswegs ein hochgradig theoretisches Werk, das nur wenigen Eingeweihten zugänglich ist. Der Autor selber schrieb lange Zeit als Auslandskorrespondent für die New York Times; im positiven Sinne merkt man dem Text das journalistische Handwerk an, ohne dass dabei Regeln wissenschaftlicher Arbeit missachtet werden. French bewältigt das gewaltige, rund sechs Jahrhunderte umfassende Material mit umsichtigen und pointierten Zuspitzungen und versteht es an geeigneter Stelle, allzu minutiösen Aufzählungen und Schilderungen zu widerstehen und gegebenenfalls auf weiterführende Literatur zu verweisen. Mag dies im Einzelfall auch schade sein, bleibt es stets die verständliche Entscheidung. Zudem reichert French seine historischen Betrachtungen mit gesammelten Eindrücken seiner unzähligen Reisen durch die Länder Afrikas und der Karibik an, auf denen er auch den verblassenden, weil nur unzureichend oder gar nicht bewahrten Spuren der Vergangenheit vor Ort nachspürte. Diese Passagen sind vom Stil her eine Reportage nahe. Sie lockern den Lesefluss nicht nur einfach auf, sondern weisen auch auf die Schnittpunkte, an denen die Vergangenheit in unsere Gegenwart hinüberragt. Aus diesen Stellen heraus wird auch deutlich, dass French es ernst meint, wenn er wiederholt offen und bisweilen leicht polemisch erklärt, dass er einem bisherigen Vergessen, Verdrängen und Verschweigen afrikanischer Einflüsse auf die Entstung unserer modernen Welt die Stirn bieten möchte.



    "Afrika und die Entstehung der modernen Welt" ist ein inspirierendes und aufrüttelndes Buch, das selbst Geschichtsinteressierte zum Staunen einlädt, nämlich zum Staunen über Facetten und Blickwinkel, die einem bislang unbekannt waren, obgleich man die historiographischen Daten im Groben bereits kannte. Engagiert und kenntnisreich hinterfragt French sowohl das europäische wie auch das amerikanische Selbstverständnis und fordert die Leser auf, es ihm gleich zu tun.


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  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Howard W. French - Afrika und die Entstehung der modernen Welt“ zu „Howard W. French - Afrika und die Entstehung der modernen Welt / Born in Blackness“ geändert.
  • Inhalt

    Howard W. French ist auf den Spuren der Familiengeschichte seiner Frau (deren Vorfahren aus Côte d’Ivoire stammen) nach Ghana gereist, im 15. Jahrhundert Zentrum des lukrativen Sklavenhandels, auf die karibischen Inseln und in die Heimat seiner Vorfahren ins Mississippi-Delta. Die beiden letzten Regionen trugen durch Plantagenwirtschaft und Sklavenarbeit entscheidend zur wirtschaftlichen und politischen Entwicklung Europas und der USA bei. Frenchs Großmutter stammt direkt von einer Sklavin ab, in seiner Kindheit hat seine Mutter die Saat für seinen kritischen Blick gelegt, indem sie unermüdlich darauf hinwies, dass zur Geschichte jedes Südstaatenanwesens die der Sklaven gehört.


    Dem zumeist einseitigen Blick der Geschichtsschreibung auf die Zeit der Entdeckungen setzt French eine alternative Weltgeschichte „von unten“ entgegen und analysiert die wirtschaftlichen Interessen der Kolonialmächte. Laut French hätten die Kolonialmächte weder Kontakt zu fernen Kulturen gesucht, noch aus purem Abenteuerstreben einen Seeweg nach Asien, sondern die Edelmetallvorkommen Westafrikas begehrt. Dass die Reisen der Entdecker Handwerk und Schiffbau eine wirtschaftliche Blüte bescherten, und zur Weiterentwicklung von Kartografie und Navigation führten, war eine willkommene Nebenwirkung.


    Neben den kaum fassbaren Zahlen geraubter, verkaufter und geschundener Menschen vermittelt Howard, warum Rassismus Basis des Sklavenhandels gewesen ist und welche Handelsgüter die Weißen begehrten. Der zur Profitsteigerung akribisch protokollierte und ausgewertete Zuckerrohranbau auf Plantagen (Karibik, US-Südstaaten) war, laut French, durch die Bereitstellung kalorienreicher Nahrung für die Industrialisierung in Europa entscheidender als technische Entwicklungen.


    Howard French gelingt es, einige Heldenfiguren aus der Epoche der Entdeckungen vom Sockel zu kippen, und er zeigt den eurozentrischen Blick auf, mit dem die damaligen Kolonialmächte beanspruchten, etwas entdeckt oder entwickelt zu haben, das in anderen Regionen möglicherweise schon lange bekannt war.


    Fazit

    Wer sich für die Epoche der Entdeckungen und der Plantagenwirtschaft, die wirtschaftlichen Zusammenhänge und die verschwiegene Geschichte der Sklaven interessiert, findet hier Verbindungen, die verdienen, ins Rampenlicht gerückt zu werden. Für Fans von Plantagen-Romanen könnten Frenchs Berichte eine Horizonterweiterung sein. Sein biografischer Ansatz und sein Er-reisen des Themas setzen beim Lesen zwar keine Vorkenntnisse voraus, dennoch fehlt seinem Text der rote Faden, der einen beim Lesen durch die Seiten drängt.


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    Persönliche 5 Sterne für die Horizonterweiterung

    :study: -- Damasio - Gegenwind

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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow