Alba de Céspedes - Das verbotene Notizbuch / Quaderno proibito

  • Kurzmeinung

    Maesli
    Ein persönlicher Einblick in das Leben einer Frau im Wandel der Gesellschaft in Rom der 50ger Jahre - außergewöhnlich!
  • Es ist Nachkriegszeit in Rom und Sonntag und Valeria kauft in einer Tabaktrafik für ihren Mann Zigaretten. Dabei entdeckt sie ein schwarzes Heft, das sie trotz geltendem Verkaufsverbot unbedingt haben muss. Es ist Anfang Dezember und sich der Ungeheuerlichkeit bewusst, die der Besitz dieses kleinen Schreibutensil bedeutet, beginnt sie ein Tagebuch zu führen, welches sie die nächsten Monate begleiten wird.


    Mir ging auf, dass es in der ganzen Wohnung kein Schubfach und keinen Winkel mehr gab, der noch mir gehörte.


    Gleich zu Beginn ihrer neuen schöpferischen Tätigkeit stellt Valeria fest, dass sie mit dem Leben, das sie führt und jetzt aufschreibt, nicht zufrieden ist. Es nistet sich in ihr ein Gefühl ein, dass sie mehr erwarten kann oder sollte.


    Sollte die heimliche Präsenz dieses Heftes meinem Leben wirklich eine neue Färbung geben, so muss ich sagen, dass es dadurch nicht gerade glücklicher wird.


    Meine persönlichen Leseeindrücke

    Die zentrale Figur des Romans ist die tagebuchschreibende Valeria. Sie ist eine 43jährige Frau, Mutter von zwei studierenden Kindern, die im Rom der 50ger Jahre lebt. Neben ihren Aufgaben als Mutter, Ehe- und Hausfrau, arbeitet sie seit in einem Büro als Sekretärin. Als sie das verbotene Heft kauft und mit den nächtlichen Tagebuchaufzeichnungen beginnt, wird sie sich bewusst, dass ihr Leben nicht das ist, was sie sich erwartet hatte. Vielmehr sieht sie sich durch den dauernden offenen Konflikt mit ihrer Tochter, die versucht alte Verhaltensmuster und Traditionen, für die die Mutter mit Vehemenz einsteht, aufzubrechen, herausgefordert und überfordert. Diese Ungeheuerlichkeit, die Möglichkeit auszukosten und sich nicht zu fügen und das eigene Leben in die Hand zu nehmen, steht für den Wandel der Gesellschaft, den Valeria nicht annehmen will und gegen den sie sich streut.


    Ich spürte, dass sie sich gegen meine Zuneigung wehrte wie gegen eine Gefahr; ich fragte mich, ob ich bei meiner Mutter die Kraft dazu gehabt hätte.


    Hier liegt auch die Ambiguität der Rolle Valerias: sie verkörpert die Mutter und das Familienoberhaupt, eine Rolle, in der sie sich fast mit Vergnügen zerreiben und aufzehren lässt und sie verkörpert die Rolle der Frau, die selbstständig sein kann, für den Unterhalt finanziell sorgt und das Leben noch leben möchte. Einerseits fühlt sie sich an die traditionelle Rolle, die bereits ihre Mutter innehatte und die sich auf die Familie konzentriert, wohl, anderseits will sie sich freischaufeln und leben.


    Wir sind es gewohnt, nach gewissen Grundsätzen zu leben, mögen sie auch falsch und rückständig sein, wie du behauptest, aber wir können uns nicht mehr ändern.


    Und je mehr sich diese Diskrepanz zwischen realem Dasein und Wunsch öffnet, umso boshafter wird sie. Sie erkennt, dass sie niemanden hat, dem sie sich so anvertrauen kann, wie diesem geheimen, verbotenen Heft und gleichzeitig erkennt sie ihre Furcht, dass sie mit ihrem Wunschdenken etwas zerstören könnte, das sie in zwanzig Jahren aufgebaut hatte. Dazu ist sie schlussendlich nicht bereit.

    Es scheint, als labe sie sich an der Pein, die sie ihrem Mann und ihren Kindern tagtäglich spüren lässt. Sie wird mir mit jedem Tag, den ich ihr Tagebuch lesen unerträglicher, bis ich sie schlussendlich ablehne.


    Diese ganze innerliche Zerrissenheit beschreibt Alba de Céspedes in einer eleganten, aber deshalb nicht weniger intensiven Sprache. In einem Interview erklärt die Autorin ihre Beweggründe für diesen außerordentlichen Roman, der damals in Italien einen enormen und vollkommen unerwarteten Erfolg feierte. Ihr Hauptanliegen bestand darin, die Rolle der Frau in der durchschnittlichen italienischen Familie darzulegen. Die Frau durfte sehr wohl arbeiten, es war sogar gewünscht damit mehr Geld in der Familie war. Doch durfte die nur einer Tätigkeit nachgehen, die produktiv galt. Freigeistige Tätigkeiten, wie ein Tagebuch führen, mit denen also kein Geld zu verdienen war, wurden von der damaligen Gesellschaft abgelehnt. Nur wenige Familien gestatten es den Frauen, Freiraum für sich zu haben. Es ist also nicht wie ich vermutet hatte, eine Kritik an der Romanfigur Valerias, sondern an der männlich geprägten italienischen Gesellschaft der damaligen Zeit und den alten Traditionen der Mütter, die den Töchtern aufzwangen, ihr Leben dem Mann, den Kindern und dem Haushalt zu widmen.

    „Das verlorene Notizbuch“ ist ein Roman, der zur damaligen Zeit, in dem er erschien, eine unerhörte Kritik an der Gesellschaft und den vorherrschenden Traditionen formulierte. In seiner Gesamtheit empfinde ich diesen Roman, der mich auch fast 70 Jahre nach seinem Erscheinen über meine Rolle in der Gesellschaft nachdenken lässt, außerordentlich, vor allem in seiner literarischen Qualität.


    Fazit

    „Das verbotene Notizbuch“ von Alba de Céspedes ist ein komplexer Roman, der meiner Meinung nur im gesellschaftsgeschichtlichen Hintergrund seine Außergewöhnlichkeit entfaltet.


    Irgendwann weiß man nicht mehr, wo im Leben einer Familie die Güte liegt und wo die Herzlosigkeit.

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Alba de Céspedes - Das verlorene Notizbuch“ zu „Alba de Céspedes - Das verlorene Notizbuch / Quaderno proibito“ geändert.
  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Alba de Céspedes - Das verlorene Notizbuch / Quaderno proibito“ zu „Alba de Céspedes - Das verbotene Notizbuch / Quaderno proibito“ geändert.