Anne Prettin - Der Ruf des Eisvogels
Inhalt lt. amazon:
Vom Wagnis eines freien Lebens
21 Gramm, so viel wiegt eine Seele, weiß Olga. Ungefähr so viel wie der Eisvogel, in dem die Seele ihrer Mutter fortlebt, ewig und drei Tage. Das zumindest behauptet ihr Großvater, obwohl er Arzt ist und doch eigentlich an Wissenschaft glaubt. Er ist es auch, der Olga die Wunder der Natur erklärt und in ihr die Liebe zur Medizin weckt. Denn der kühle, distanzierte Vater hat kein Verständnis dafür, dass Olga die Welt mit eigenen Augen sieht.
Dann bricht der zweite Weltkrieg in die Idylle der Uckermark ein. Die Achtzehnjährige muss fliehen, und nichts ist mehr, wie es war. Erst fünfzig Jahre später kehrt sie mit Tochter und Enkelin zurück.
Einfühlsam und berührend erzählt Anne Prettin von Schuld und Verlust, von Freundschaft und von den vielen Formen der Mutterliebe.
Das Buch erscheint am 24.02.2023 im Buchhandel. Ich habe diesen Roman als Leseexemplar von Vorablesen erhalten.
MEINE REZENSION
Olga Blume, eine großartige Frau
Mich bewegte die Geschichte von Olga Blume, weil diese so nah an den Menschen blieb mit all den vielen Facetten. Zunächst wächst sie in einer idyllischen Kleinstadt ohne Mutter in einer wohlhabenden Arztfamilie auf, vom Vater unbeachtet, desto mehr und inniger vom Großvater. Obwohl sie ein Mädchen ist, bezieht er sie in alles ein, was er von der Natur und der Medizin gelernt hat. Der warmherzige, liebevolle und fortschrittliche Mann prägt sie und so will sie wie er den Arztberuf ergreifen. Dieses Ziel verliert sie nie aus den Augen, obwohl ihr vieles im Leben dazwischenkommt.
Olga wird am 1. April 1925 im Uckermärkischen geboren. Der Geburtstag, ein Schicksalstag für die Mutter und das Mädchen sowie deren Freundin, führt uns des Öfteren im Buch durch die Kapitel. Zeitsprünge bringen uns an verschiedene Orte, immer wieder zurück und dann nach vorn in die Gegenwart des Jahres 1991, in das Heimatdorf Ginsterburg. Olga zieht dort schließlich und ein wenig gegen ihren Willen, die Bilanz ihres bewegten Lebens. So erfährt man häppchenweise ihre Lebensgeschichte. Diese zeigt auf, mit welcher Willenskraft, mit welch energischem Durchsetzungsvermögen, teilweise aber auch Selbstverleugnung die junge Frau ihren Weg geht. Sie will Ärztin werden und dabei ihre Freiheit nicht verlieren! Was für ein harter Weg das ist und welche Entbehrungen sie dabei auf sich nimmt, wird eindrucksvoll beschrieben.
Am Beispiel Olgas schafft es Anne Prettin deutsche Geschichte lebendig zu machen. Die schreckliche Nazizeit mit den Vorboten des 2. Weltkrieges, die abrupte Beendigung der sorglosen Kinder- und Jugendzeit, die Mobilmachung, dann die schrecklichen Folgen des Krieges mit Vertreibung, Vergewaltigung, Krankheit, Geburt und Tod, das alles und viel mehr wird anschaulich dargestellt. Nach dem Krieg geht für Olga der Kampf weiter. Sie studiert trotz aller Widerstände Medizin und beweist sich im Studium gegenüber den Männern. Sie ist eine Frau und noch dazu Mutter! Gleichberechtigung ist noch ein Fremdwort. Für ihre Tochter gibt sie alles! Eine wunderbare und starke Frau. Immer wieder spielt der Eisvogel eine kurze, aber entscheidende Rolle. Er gibt ihr Mut und Kraft.
Das Ende des Buches hielt noch eine überraschende Wendung für mich parat. Diese Entwicklung hatte ich nicht vorausgesehen!
Die Autorin hat hier äußerst gefühlvoll in beeindruckender Weise ein Frauenschicksal beschrieben. Ich bewundere das sehr!
Fazit:
„Der Ruf des Eisvogels" ist die berührende Geschichte einer starken, kämpferischen, klugen Frau mit riesengroßem guten Herzen, ohne jemals ins Sentimentale, Rührselige abzugleiten.
Empfehlenswerter Roman, bewertet mit fünf von fünf Sternen.