Victoria Belim - Rote Sirenen. Geschichte meiner ukrainischen Familie / The Rooster House. A Ukrainian Family Secret

  • Kurzmeinung

    Maesli
    Ein wunderbares, persönliches Buch über die Ukraine, die dem Leser dieses Land mit seiner bewegte Geschichte näherbringt
  • Nichts verschwindet spurlos


    Als Victoria Belim diese familiäre Spurensuche schrieb, konnte sie vielleicht ahnen, aber nicht wissen, auf welch aktuelles Interesse die Geschichte ihres Heimatlands Ukraine noch stoßen würde. Umso anstößiger wirkt sich deshalb der anfängliche Dialog mit ihrem Onkel Wladimir aus, der eigensinnig die russische Position vertritt und in heutigen Tagen in der westlichen Welt eine gewaltige Provokation darstellt. In meinem Leseeindruck äußerte ich schon die Hoffnung, dass im Laufe des Buchs auch andere Positionen zur Sprache kommen würden, und so ist es ja dann auch.


    Mit vielen Dialogen schildert die Autorin in einer sinnlich bildhaften Sprache sehr anschaulich die Menschen und die Milieus, in denen sie agieren. Bei der Spurensuche in erster Linie nach ihrem verschollenen Großonkel Nikodims werden wir vertraut mit der Geschichte, Mentalität, Kultur und Folklore der Ukraine, führen uns aber auch dramatische Episoden vor Augen wie die Rolle der Kosaken, den Hitler-Stalin-Pakt und die Massaker der Weltkriege, danach die Große Hungersnot und die Tyrannei des Geheimdiensts bis zu den Ungereimtheiten der aktuellen Politik wie die Besetzung der Krim.


    Diese Fülle an Themen rollt sie auf anhand von Begegnungen mit Verwandten und deren Bekanntenkreis, indem sie aus ihrem US-amerikanischen Wohnort immer wieder für längere Zeit nach Hause reist. Ihre Intention beschreibt sie mit den folgenden Worten auf Seite 174: "Die Ukraine mit neuen Augen zu sehen, war so fesselnd wie die Erforschung meiner Familiengeschichte." Dabei erlebt sie Zeugnisse einzigartiger Gastfreundschaft und Zugewandtheit, aber auch plötzliches Verschweigen von Tabuthemen.


    Es fiel mir anfangs schwer, im Laufe der Lektüre aber zusehends leichter, in diesem Mosaik einen roten Faden zu finden und durch einen Spannungsbogen bei der Stange zu bleiben. Wie sie am Ende sogar den Kreis schließt bis hin zur Klärung existenzieller Missverständnisse und eigener psychischer Konflikte, zeigt im Individuellen die Auswirkungen solch historisch-politischer Zwiespälte sehr anschaulich.

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  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Victoria Belim - Rote Sirenen. Geschichte meiner ukrainischen Familie“ zu „Victoria Belim - Rote Sirenen. Geschichte meiner ukrainischen Familie The Rooster House. A Ukrainian Family Secret“ geändert.
  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Victoria Belim - Rote Sirenen. Geschichte meiner ukrainischen Familie The Rooster House. A Ukrainian Family Secret“ zu „Victoria Belim - Rote Sirenen. Geschichte meiner ukrainischen Familie / The Rooster House. A Ukrainian Family Secret“ geändert.
  • Victoria Belims Heimatland ist die Ukraine, deren Schicksal als Staat im vergangenen Jahr das zentrale Thema der Weltpolitik darstellte und wohl auch in den kommenden Jahren den Lauf der Geschichte maßgeblich prägen wird.

    Noch vor dem Krieg kehrt Victoria, die im Ausland lebt und arbeitet, in die Ukraine zurück, um den Verbleib ihres Urgroßonkels zu klären und die Vergangenheit ihrer Familie endlich aufzuarbeiten. Aus den Informationen, die sie im Rahmen ihrer Suche zusammenträgt, setzt sich Stück für Stück nicht nur das Porträt einer Familie, sondern vor allem das Porträt eines Landes zusammen, das trotz all der politischen Unruhen doch so viel Kultur und Leben zu bieten hat.

    "Rote Sirenen" ist kein Roman, sondern viel mehr die autobiographische Erzählung einer starken Frau, die als Autorin mit feinfühligen und wohlgewählten Worten ein vielschichtiges Bild ihres Heimatlandes zeichnet.

    Als eingefleischte Romanleserin habe ich mir mit dem berichtenden Stil nicht immer leicht getan. Das ändert aber nichts an der Relevanz und der Intelligenz dieses Buchs, das sich stets um Ausgewogenheit und Mehrdimensionalität bemüht. Das Buch ist sehr umfassend und detailliert recherchiert worden. Ich habe viel über die ukrainische und europäische Geschichte gelernt und mit Hilfe von "Rote Sirenen" ein besseres Verständnis für den Krieg in der Ukraine und seine Hintergründe entwickeln können. Ich kann sagen, dass ich das Land und seine Kultur nun aus anderen Augen betrachte. Auch Berichte in den Nachrichten nehme ich anders wahr. Es fühlt sich im Nachhinein ein bisschen so an, als ob ich die ganze Zeit über jemanden gesprochen hätte, den ich gar nicht wirklich kannte. Neben Politik und Kultur besteht aber gleichzeitig auch verschiedene Spannungsbilder innerhalb Victorias Familie, die dafür sorgen, dass man als Leser*in den persönlichen Bezug nicht verliert. Ich denke, dass viele Aspekte aus der Familiengeschichte der Autorin bezeichnend sind für andere Familien aus der Ukraine.

    "Rote Sirenen" regt westeuropäische Lesende zum Nachdenken an, ohne den Zeigefinger zu erheben. Vor allem aber schafft das Buch Empathie und Verständnis. Es wärmt und schärft gleichermaßen den Blick auf die Menschen und die Geschichten, die sie prägt.

    Besonders haben mir das Vor- und Nachwort gefallen. Das Manuskript zu Rote Sirenen ist größten Teils bereits vor dem Krieg entstanden und Victoria nimmt hier eine Einordnung der zuletzt geschehenen Ereignisse vor und führt ihr Publikum so von der Vergangenheit bis in die jüngste Gegenwart.

    Fazit:

    "Rote Sirenen" ist kluges, warmes, lehrreiches und hochrelevantes Buch. An der ein oder anderen Stelle hätte ich mir gewünscht, dass der Stil etwas weniger berichtend wäre, gleichzeitig verstehe ich aber, dass man das nur schwer umgehen kann, wenn man umfassend so komplizierte historische Entwicklungen aufarbeiten möchte. Am Ende geht es dem Buch darum Verständnis und Nähe zu schaffen, das gelingt ihm mehr als gut.

  • Die Suche nach den Wurzeln

    Nur wer die Vergangenheit seiner Familie kennt, hat einen festeren Stand im Leben. Victoria Belim macht sich auf die Suche nach den Wurzeln ihrer Familie. Sie ist Teil einer weit verzweigten multinationalen Familie der Sowjetvölker. Stationen ihrer Suche sind Kiew, Bereh, Majatschka, Poltawa, Reschetyliwka, Mychajliwka, Charkiw.

    Allen älteren Generationen ist das Leiden unter Stalins Terrorherrschaft und der großen Hungersnot gemein. Asja, die Urgroßmutter Belims, überlebte die Hungersnot in einem kleinen ukrainischen Dorf. “Millionen von Menschen kamen in Sowjetrussland und Kasachstan ums Leben, aber die Schwarzbodenregion der Ukraine, die Reisenden des 17. Jahrhunderts als Arkadien bekannt war, hatte am meisten unter Stalins Politik zu leiden. Jeder achte Mensch in den ukrainischen Gebieten fiel dem Holodomor, der großen Hungersnot, zum Opfer. Eine Million Kinder unter zehn Jahren starben. Die Hungersnot forderte einen Tribut von mehr als drei Millionen Menschen.” (S. 164) Diese Angst vor der Hungersnot bewirkt, dass Valentina, Asjas Tochter, die nach der Hungersnot geboren wurde, aber auch Victoria Belim, die Enkelin aus Brüssel, immer Lebensmittelvorräte daheim haben. Es sind die großen Traumata mehrerer Generationen, die sich dann unbewusst in den Kindern und Enkeln dieser Generationen fortpflanzen. So ähnlich wie Kinder und Enkel von Holocaust-Überlebenden oder von Kriegskindern. Wer einmal ausgebombt wurde, der reicht diese Angst unbewusst weiter an die kommenden Generationen.

    Die sowjetische Propaganda, die sich übrigens auch in unseren Tagen fortsetzt, redete sich heraus, die Hungersnot sei von ukrainischen Nationalisten aus Kanada/USA verursacht worden und verbreitet, um Sowjetrussland zu destabilisieren. Solche und ähnliche Lügen werden heute noch im Netz verbreitet, um Stalin und somit auch Putin von aller Schuld reinzuwaschen.

    Einige der Familienmitglieder der Autorin wurden unter Stalin verhaftet und wieder freigelassen, andere verschwanden für immer. So auch Nikodim, der ältere Bruder von Sergij, dem Urgroßvater der Autorin. Irgendwann, in den 30er Jahren wurde er vom KGB mitgenommen und man hörte nie wieder von ihm. Erst der Autorin gelingt es, herauszufinden, was mit Nikodim geschehen war. Nach Verhören und Folter wurde er heimlich und ohne Prozess erschossen, aus dem einfachen Grund, der KGB hatte Planvorgaben, wieviel Menschen hingerichtet werden sollten. Belim darf schließlich seine Akte lesen: nachträglich gefälschte Aussagen, die zum momentanen politischen Diktus der Zeit passen mussten, ist das ein schreckliches Zeitdokument, das Victoria Belim vorgelegt wird. Das Dokument befindet sich im Archiv der KGB, dem Haus in dem vorher die KGB seinen Terror verbreitet hat. Dieses Haus ist auch Titelgebend für das Buch. Im Volksmund heißt es “das Hahnenhaus”, befindet sich in Poltawa und wird von großen steinernen Sirenen verziert. “Äußerlich hatte das Hahnenhaus nichts Furcht Einflößendes an sich. Ganz im Gegenteil, es war das schönste Gebäude von Poltawa. Es Haus zu nennen, war maßlos untertrieben, denn es war ein elegantes Anwesen, das um die Jahrhundertwende als Bank errichtet worden war. Die zwei üppigen roten Sirenen, die das Eingangsportal flankieren, wurden im Volksmund Hähne genannt.” (S. 50). Dieses Haus verbreitet Angst und Schrecken in der ganzen Region.

    Bezeichnend für alle Diktaturen, angefangen mit dem Dritten Reich und fortgeführt über Stalin bis zu den Diktaturen der Gegenwart ist, dass Sippenhaft gepflegt wird. Wird ein Mitglied der Familie verhaftet, ist die ganze Großfamilie mitschuldig. Niemand aus der Familie kriegt eine anständige Arbeit mehr, die Anverwandten dürfen die höheren Schulen nicht weiter besuchen, bei allen Amts- und Behördengängen werden ihnen Steine in den Weg gelegt. Es geht soweit, dass sogar die Kinder der Verschollenen keine Renten bekommen, obwohl wir mittlerweile die 80er Jahre und sogar die 90er Jahre schreiben. Und alle diese Anträge, Gesuche, Bittschriften landen in der Akte des verstorbenen Vorfahren und der Bittsteller kann keine Rente erhalten, obwohl er ein Leben lang gearbeitet hat und sie ihm eigentlich zustehen würde. Aber weil der Vater oder der Großvater ein Opfer des KGB war, steht diesem Menschen keine Rente zu.

    Viele, die verhaftet und nach einigen Jahren wieder freigelassen wurden, legen sich die Haft und die Diktatur so zurecht, dass sie damit leben können. So leugnet Onkel Wladimir, der Bruder von Belims Vater, obwohl von der KGB für drei Jahre inhaftiert, dass Stalin ein Massenmörder gewesen sei. Der Terror zu Stalins Zeiten redet er schön, “Fehler können passieren”, aber Europa verdanke Stalin trotzdem den Sieg über den Faschismus. Unter uns gesagt: Sowjetrussland hat das Dritte Reich nicht allein besiegt, da gab es auch noch die USA und Großbritannien. Von drei Panzern, die in den USA die Fabrik verließen, gingen zwei in die Sowjetunion als Waffenlieferungen, inklusive Gewehren und Munition.

    Das Buch liest sich leicht, ist aber trotzdem schwere Kost. Vor allem wenn man bedenkt, der Erbe Stalins, hat die Ukraine erneut mit einem zerstörerischen Angriffskrieg überzogen. Wie lange wird dieser Krieg wohl dauern?

  • Während Russland 2014 die Krim annektiert, kehrt Victoria in die Heimat ihrer Familie, die Ukraine, zurück. Dort ist sie geboren und aufgewachsen. Sie will verstehen, woher sie kommt.


    Der ukrainische Zweig meiner Familie hatte Roma und möglicherweise jüdische Wurzeln, und der russische hatte di kommunistische Maxime „Freundschaft der Völker“ verinnerlicht, denn durch verschiedene Eheschließungen war gut die Hälfte der Sowjetrepubliken in meinem Familienmosaik vertreten.


    Wieso ist ihr Urgroßonkel Nikodim in den 1930er Jahren spurlos verschwunden, und warum spricht in der Familie seit fast einem Jahrhundert niemand über ihn? Valentina, ihre Großmutter, will ihr verbieten, weiter Fragen zu stellen und kümmert sich lieber um ihren Obstgarten. Aber Victoria gibt sich nicht länger mit Ausflüchten zufrieden. Sie reist zum Haus mit den roten Sirenen, dem früheren Hauptquartier des sowjetischen Geheimdienstes, und zeichnet die Konturen vom Leben ihres Urgroßonkels nach. Die Vergangenheit wird dabei zu einem Schlüssel, ihre Herkunft und sich selbst zu verstehen. Ein Buch über die ergreifende Spurensuche einer jungen Frau und eine emotionale autobiographische Familiengeschichte.


    „Sie waren zu lange nicht mehr in der Ukraine, meine Liebe. Dachten Sie, dass die sowjetische Lebensweise mit dem Staat verschwunden wäre? Das wird noch lange dauern, bis wir verlernt haben, sowjetisch zu denken und zu handeln.“


    Meine persönlichen Leseeindrücke

    Das Unternehmen, für das ich tätig bin, hat viele ukrainische Mitarbeiter. Durch sie habe ich die Gelegenheit bekommen, an der ukrainischen Geschichte und Kultur teilzunehmen, mit all den Facetten und unterschiedlichen Ansichten.


    Um die Geschichte der Ukraine auszuhalten, seien Beruhigungsmittel vonnöten, witzelte Wolodymyr Wynnytschenko, Schriftsteller und Generalsekretär der 1917 erstmals unabhängigen ukrainischen Volksrepublik.


    Was mir an Victoria Belim sofort gefallen hat, war ihre Aufrichtigkeit in der Erzählung ihrer Familiengeschichte. Sie ärgert sich, wenn sie das Gefühl hat, dass dem Land unrecht getan wird, sie freut sich, wenn sie Bekannte aus ihren Kindertagen wieder trifft, und sie erlaubt ihrer Vergangenheit das Band zur Gegenwart zu knüpfen. Die Verbindung zu ihrer Großmutter Valentina, die wache Erinnerung an ihre Urgroßmutter Asja, prägen ihre Aufenthalte in der Ukraine. Das trifft besonders auf die Suche nach ihrem verschollenen Urgroßonkel zu, bei derbeide Frauen eine wichtige Rolle spielen, wenngleich eine gänzlich unterschiedliche.


    Mitten in der Stadt Poltawa steht das schönste Gebäude, ein elegantes Anwesen, das um die Jahrhundertwende als Bank errichtet worden war. Die zwei üppigen roten Sirenen, die das Eingangsportal flankierten, wurden im Volksmund Hähne genannt.


    Wie ich bereits im Roman „Das Leben nach uns“, den ich nicht in meinem Blog aufgenommen habe, mit Erstaunen feststellen durfte, haben Russen, und wie ich jetzt auch weiß Ukrainer, eine innige Beziehung zu Obstgärten. Das Arbeiten im Garten zeugt von einer großen Harmonie zwischen Mensch und Natur, wobei es der Mensch ist, der dem Zyklus der Natur folgt und sich ihm freiwillig unterwirft. In diesem Zusammenhang fand ich es überaus interessant, dass Großmutter Valentina in ihrem Garten die Tomatensorten San Marzano und Ochsenherzen anbaut. Die klimatischen Bedingungen müssen also überaus günstig sein.

    Und es ist wahrscheinlich diese Zugehörigkeit und diese enorme Liebe zur Heimat, jenem Stückchen Erde auf dem man aufwächst, das den Menschen prägt, mit all seinen Freuden und Ängsten.


    Da dachte ich, dass sich die Geschichte schmerzhafter Ereignisse, wenn sie nicht erzählt werden, in schwarze Löcher verwandeln, die alles um sie herum verschlingen.


    Fazit

    Rote Sirenen ist ein wunderbares, persönliches Buch über die Ukraine, das dem Leser dieses Land mit seiner bewegte Geschichte näherbringt. Anhand der eigenen Familiengeschichte gelingt es Victoria Belim zu erklären, wie die jüngere Geschichte das Land und die Bevölkerung geprägt hat und was der Krieg in diesem Gebiet z. Z. anrichtet.


    Seitdem hatte ich genug Zeit in der Ukraine verbracht, um zu wissen, dass selbst meine Großmutter, die sich als Patriotin verstand, bestimmte Aspekte der Sowjetunion vermisste.


    Es bleibt nur zu hoffen, dass sich die Ukraine, wie auch immer dieser Krieg ausgehen mag, ihre junge Existenz bewahren kann und ihre Kultur und Sprache in die Zukunft zu tragen vermag.

  • Lesenswerte Familiengeschichte


    Worum geht es in dem Buch?

    Die Autorin Victoria Belim ist Ukrainerin, lebt aber schon seit einigen Jahren mit ihrem Mann in Belgien. 2014 reist sie in ihre Heimat, um ihre Großmutter Valentina wiederzusehen. In Bereh, in der Nähe der malerischen Stadt Poltawa, bei den Obstgärten erinnert sich Victoria zurück und versucht zu ergründen, was mit einigen Verwandten, besonders ihrem Urgroßonkel Nikodim, passiert ist. Niemand aus ihrer Familie – auch nicht Valentina – will über ihn reden.

    Deshalb begibt sich Victoria zum so genannten „Hahnenhaus“, einem Archiv in der Ukraine, das von Valentina immer noch als KGB (Geheimdienst der Sowjetunion) bezeichnet wird. Es ist nicht einfach, die Informationen zu bekommen, aber schließlich ist Victoria erfolgreich…


    Meine Leseerfahrung:

    Ich wollte ein Buch über die Ukraine lesen. Keine nüchterne Abhandlung von Geschichtsdaten und Fakten – sondern ein persönliches Buch mit Erfahrungen. Genau das bekomme ich mit dem Buch „Rote Sirenen“. Victoria Belim hat hier versucht, die Geschichte ihrer Familie und ihre Reiseerlebnisse in der Ukraine miteinander zu verknüpfen.

    Innerhalb der ukrainischen Familien gibt es manchmal unterschiedliche Ansichten. So trauert Victorias Onkel Wladimir der Sowjetunion nach, auch wenn er seit einigen Jahren in Israel lebt.

    Man liest ebenfalls über Leute, die ihre Traditionen bewahren wollen. Beispielsweise Valentina, die sich um ihren Kirschgarten kümmert. Weiterhin Nadja, die gerne stickt und wünscht, dass die „Weißstickerei aus Reschetyliwka“ zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO erhoben wird. Sie alle führen ein einfaches Leben. Über die Vergangenheit – zum Beispiel über die Zeit als Sowjetrepublik – reden viele nicht gerne. So wird auch das Schicksal von Victorias Urgroßonkel Nikodim lieber totgeschwiegen, anstatt dass man darüber spricht.

    Victoria muss erkennen, dass es in der Ukraine immer noch viel Bürokratie gibt. Manche Menschen werden ungerecht behandelt. So wird Nikolai, dem Sohn von Nikodim, die Rente gekürzt, weil er irgendeine Bescheinigung nicht beschaffen kann. Leider sind viele Gesetze in der Ukraine noch Überbleibsel aus der Sowjetunion. Ebenso ist Korruption immer noch ein Thema.

    Victoria schafft es mit viel Geduld und Nachdenken, die Informationen zu bekommen, die sie haben will – und die ihr helfen zu verstehen, woher sie kommt und wer ihre Familie ist und war. Herausgekommen ist ein informatives, interessantes, lebendiges und lesenswertes Buch über Victorias Familie, das aber auch Einblicke über das Leben in der Ukraine bietet.

    Ich vergebe fünf Sterne und empfehle das Buch weiter.

  • Jeder Mensch braucht Wurzeln

    Victoria Belim wurde in der Ukraine geboren. Als junge Frau wanderte sie mit ihren Eltern nach Kalifornien aus, später zog sie zurück nach Europa und lebt heute in Belgien. Im Jahr 2014, dem Jahr, in dem Russland die Krim annektierte, beschließt sie, auf Besuch in ihre alte Heimat zurückzukehren. Sie wohnt bei ihrer Großmutter mütterlicherseits, Valentina, die in der Nähe von Kiew wohnt und sich mit Hingabe um ihren Nutzgarten kümmert. So sehr, dass sich Victoria zunächst brüskiert darüber fühlt, dass Valentina mehr Zeit mit ihren Pflanzen als mit ihr verbringt.


    Victoria ist auf der Suche nach ihren Wurzeln. Vor allem das ungeklärte Schicksal ihres Urgroßonkels Nikodim, der in den 1930er Jahren verschwand und in der Familie totgeschwiegen wird, hat es ihr angetan. Valentina hält nichts von diesen Plänen, sie versteht nicht, weshalb Victoria alte Wunden wieder aufreißen will. Obwohl Victoria so gut wie nichts über Nikodim weiß, lässt sie nicht locker, bis sie eine Archivarin findet, die ihr bei ihrer Suche behilflich ist.


    „Rote Sirenen“ ist ein sehr persönliches Buch. Oft ist die Geschichte der weitverzweigten Familie verwirrend. Die vielen Namen der Freunde und Verwandten und der unzähligen Dörfer, die Victoria im Zuge ihrer Suche aufsucht, machen das Lesen stellenweise mühsam. Entsprechend lang habe ich für die Lektüre dieses Buchs gebraucht. Man erfährt sehr viel über die Mentalität der Menschen, die Geschichte des Landes und die Beziehung zu Russland. Ich fand es interessant zu erfahren, dass es in der Ukraine gang und gäbe ist, sich mit manchen Menschen auf Ukrainisch und mit anderen auf Russisch zu unterhalten! Obwohl dieses Buch vor dem gegenwärtigen Krieg beendet wurde, sind die Parallelen zu 2014 unübersehbar. Es ist schmerzlich zu lesen, dass Orte, die jetzt aufgrund von Greueltaten in den Nachrichten genannt werden, einst für ihre blühenden Kirschgärten berühmt waren.


    Ein Buch, das vor allem für politisch und historisch Interessierte von Interesse ist. :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Viktoria Belim schrieb die Geschichte ihrer Familie auf und trifft unerwartet auf eine große, interessierte Leserschaft, die die Geschichte, die Beziehung zu Russland sowie die Kultur der Ukraine verstehen will. Genau aus diesem Grund habe ich mich dazu entschieden, mehr über die Ukraine und die Hintergründe des aktuellen Krieges erfahren zu können. Da ich am liebsten etwas durch die Lektüre von Romanen oder das Hören des entsprechenden Hörbuchs lerne, kam dieses Buch für mich wie gerufen.


    Da die Kultur und das Miteinander in der Ukraine sich größtenteils von denen in Westeuropa unterscheidet, ist es von Vorteil, dass die Autorin in den USA gelebt hat und mittlerweile Belgien ihre aktuelle Heimat nennt. So weiß sie selbst über die Unterschiede Bescheid und kann gut die jeweils wichtigen Aspekte für ein besseres Verständnis aufzeigen. Durch Gespräche mit ihrer Großmutter und ihrem Onkel wird Viktoria neugierig, mehr über ihre Vorfahren und weitere Verwandte zu erfahren. Und so begibt sie sich an verschiedenen Orten auf die Suche. Nebenbei bringt sie dem Leser Eigenheiten sowie die Geschichte des Landes näher.


    Einerseits fand ich die Erklärungen der geschichtlichen Hintergründe und das Aufzeigen der kulturellen Unterschiede sehr spannend. Auch im Hinblick auf das aktuelle Geschehen konnte ich vieles besser nachvollziehen. Andererseits springt Viktoria Belim für meinen Geschmack mitunter etwas wirr durch die (Familien)Geschichte, was es an einigen Stellen schwierig macht, der Handlung gut folgen zu können. Dies liegt zum Teil auch daran, dass sie die Vergangenheit nicht ganz so chronologisch aufrollt, wie es zum Verständnis besser geeignet gewesen wäre.

    Darüber hinaus waren manche Details für meinen Geschmack ein wenig zu ausführlich. Aber darüber kann man sicherlich streiten. Durch die gute und flüssige Lesestimme der Sprecherin, habe ich mich jedoch sehr gut unterhalten gefühlt.


    Trotz der mitunter etwas wirren zeitlichen Sprünge finde ich das (Hör)Buch sehr lesens- bzw. hörenswert. Es hat mir die wichtigen kulturellen Hintergründe sowie der Geschichte der Ukraine interessant und verständlich erklärt.