Judith Holofernes - Die Träume anderer Leute

  • Kurzmeinung

    PotatoPeelPie
    Judiths Umgang mit Worten ist einfach so schön zu lesen. Sprachlich + inhaltlich absolut überzeugend!
  • Als ich mich für das Buch beim Verlag bewarb, wusste ich gar nicht so genau, um was es sich dabei handelt. Ich wähle oftmals Bücher aus einer Laune heraus, lasse meinen Bauch die Oberhand gewinnen und verfalle optisch ansprechenden Covern. Die Kombination mit einem Signalwort im Titel lässt mich dann zugreifen und manchmal ist es ein Glücksfall, manchmal ein Reinfall.

    Als ich es nun in den Händen halte, weiß ich nichts über die Autorin, die Band „Wir sind Helden“ sagt mir nichts. Ich muss erst googeln, verstehe überhaupt nicht, wieso ich so rein gar nichts kenne, bis ich auf Markus Lanz stoße und dann fällt der Groschen.

    Nun also lese ich ein Genre, mit dem ich wenig anzufangen vermag, meist, weil ich das Leben der anderen nicht zwingend spannender finde als mein eigenes – und Probleme habe ich selbst genug.

    Judith Holofernes grenzt ihre Biografie auf den Zeitraum 2010 – 2019 ein. Sie steht im Mittelpunkt der Ereignisse und erzählt im ersten Teil von ihren körperlichen und seelischen Leiden, die das Ende der so beliebten deutschen Popband „Wir sind Helden“ bedeutete.


    Die Einzige, mit der ich nicht gerechnet hatte, war ich, mit meinen überraschenderweise doch nicht übermenschlichen Kräften.


    Sie erwähnt ihr Familienleben während und nach der „Wir sind Helden“ Zeit, erläutert und analysiert ihre Versuche einer Solokarriere und berichtet gegen Ende des Buches von ihren aktuellen Projekten.


    Nur fand er (der Manager Anm.) leider, ich sollte genau jene Projekte fallen lassen, die mir am meisten Spaß machten, die mich in Wallung brachten und meine Wangen glänzen ließen.


    Meine persönlichen Leseeindrücke

    Ich kenn das alles: das knallharte Durchkalkulieren von Tagesabläufen, das herzschwere Organisieren von Kleinkinderdasein, das Kind an die eigenen Bedürfnisse zu binden und nicht umgekehrt. Darin erkenne ich auch ein bisschen mein Leben. Und ich weiß auch, wie es sich anfühlt, wenn man trotz aller Anstrengung einsehen muss, dass der Kraftakt einen selbst, aber auch die Menschen, die einem am meisten bedeuten, an die Grenzen bringt. Dieser Teil der Biographie mit den Passagen, an denen ich an den körperlichen und seelischen Leiden teilhaben konnte, hat mir sehr gut gefallen. Sie hat dem Leser und somit mir eine Tür zu ihrem ganz privaten Ich geöffnet, und ich bin gerne eingetreten und habe mich gerne in ihrem Kosmos umgesehen.


    Du bist zu anfällig, zu beeinflussbar, zu unklar in dem, was du jetzt, ohne die Helden, sein willst.


    Womit ich hingegen weniger Freude hatte, waren die Abschnitte, bei denen es um ihre Musikgestaltung ging. Ich mag die vielen fremden Wörter nicht, wenngleich es sein kann, dass die Musikbranche gar kein deutsches Vokabular dafür anbietet. Das Funktionieren dieses Business‘ interessiert mich nicht, jedes Geschäft hat seine Sonnen- und seine Schattenseiten und von nichts kommt nichts. Das wissen alle in meinem Alter und insofern ging mir die Beschreibung ihrer Zweifel manchmal auf die Nerven.


    Fazit

    Judith Holofernes verarbeitet in ihrer Biographie das Ender der „Wir sind Helden“ Karriere und ihren weiteren künstlerischen Werdegang. Dabei gibt sie durchaus interessante Einblicke in ihr Musikerleben, wenngleich mir manchmal ihre Ichbezogenheit zu viel wurde. Am Ende des Buches erzählt sie über ihre aktuellen Projekte. Dabei denke ich, dass das nicht die schlechteste Art ist, um sich selbst zu promoten.


    Wie man es auch anstellt, Rockstar zu sein, ist nicht wirklich gesund, Erfolg macht auch nicht glücklich, und von beidem ist der Entzug unendlich schwierig.

  • "Guten Tag, guten Tag, ich will mein Leben zurück" sang Judith Holofernes zu Beginn ihrer Karriere mit Wir sind Helden, und der Satz könnte auch ganz gut über dem Abschnitt ihres Lebens stehen, über den sie in ihrem autobiographischen Buch schreibt, nämlich die Zeit nach der Band, nach der Geburt ihrer beiden Kinder und nach der Erkenntnis, dass sie nicht mehr weiß, wie sie alles unter einen Hut kriegen soll - die Kinder, ihre Ehe, ihre Gehversuche als Solokünstlerin und was das Leben noch so alles mit sich bringt. Als sich die Überforderung dann auch noch in Form beängstigender körperlicher Symptome Bahn bricht, ist klar, dass sie irgendwie die Reißleine ziehen und sich darüber klar werden muss, was ihr am wichtigsten ist und worauf sie sich konzentrieren möchte.


    Über diese Thematik hätte man auch ganz prima ein abgehobenes Jammerbuch schreiben können, in dem sich eine privilegierte Frau selber leid tut, doch Judith Holofernes wäre nicht Judith Holofernes, wenn das hier nicht gänzlich anders ausfiele. Es ist kein Mimimi auf hohem Niveau, sondern das, was viele Frauen tagtäglich erleben, nur dass hier die Protagonistin eben Künstlerin ist, die mit ihrer Band Anfang der 2000er Jahre einen Überraschungserfolg feiern konnte. Aber die ewige Müdigkeit, der Terminstress, das Gefühl, weder den Bedürfnissen der Kinder noch des Partners und schon gar nicht den eigenen gerecht zu werden, das alles dürften viele Leserinnen wiedererkennen, und Judith kommt extrem nahbar und bodenständig rüber. "Ungeschminkt" erscheint hier nicht als Marketingmasche, sondern man nimmt ihr jedes Wort ab. Das liegt mit Sicherheit auch an ihrem herrlichen Humor, der mal albern, mal bissig und vor allem immer selbstironisch ist, und an ihren gelungenen Wortspielen, die ich schon in den Songtexten der Helden immer so mochte.


    Vieles lernt sie auf die harte Tour, beginnt zu begreifen, dass sie nicht immer allen alles recht machen kann und es gar nicht nötig (geschweige denn möglich) ist, von allen gemocht zu werden, und sie versteht auch immer mehr, was sie als Künstlerin möchte und was nicht, selbst wenn das zu Lasten des schnellen Erfolgs geht. Das alles schildert sie mit einer wunderbaren Mischung aus Witz, Verletzlichkeit und leiser Ironie, die man (also ich zumindest) einfach mögen muss, offen und ehrlich, aber auch mit Feingefühl und Diskretion. Über ihre Familie gibt sie nur so viel preis, wie für das Verständnis ihres persönlichen Weges notwendig ist, das hat mir auch sehr gefallen.


    Ich hatte schon erwartet, dass mir das Buch gefallen würde, aber das war wirklich Liebe auf den allerersten Satz und ich war beinahe ein bisschen traurig, als ich es ausgelesen hatte. Auf jeden Fall ein, wenn nicht DAS Jahreshighlight für mich und in mein Bücherregal gekommen, um zu bleiben, um noch mal mit den Helden zu sprechen.

  • Judith kommt extrem nahbar und bodenständig rüber. "Ungeschminkt" erscheint hier nicht als Marketingmasche, sondern man nimmt ihr jedes Wort ab. Das liegt mit Sicherheit auch an ihrem herrlichen Humor, der mal albern, mal bissig und vor allem immer selbstironisch ist, und an ihren gelungenen Wortspielen, die ich schon in den Songtexten der Helden immer so mochte.

    Oh, das hört sich sehr gut an. Ich glaube, das will ich auch lesen. Vielen Dank Magdalena für deine tolle Rezi!

    Gelesen in 2024: 9 - Gehört in 2024: 6 - SUB: 626


    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark

  • Viel Spaß dabei - ich hoffe, es gefällt Dir so gut wie mir!


    Und ich hab mir jetzt endlich auch mal ihre beiden Soloalben besorgt und finde Nr. 1, "Ein leichtes Schwert", schon mal ziemlich klasse.


    Was ich übrigens zuvor nicht wusste: Judiths Mutter ist die Literaturübersetzerin Cornelia Holfelder-von der Tann, die mir in meinem Leseleben schon öfter begegnet ist. Kein Wunder, dass auch die Tochter so sprachverliebt ist :)