Ich poste einfach mal einen Auszug (Buch 03), der nichts relevantes Spoilert, aber einen Einblick gibt, wie die Geschichte erzählt wird:
„Die Straßen quollen über mit Flüchtlingen. So viele verzweifelte Seelen auf einem Haufen, die alles hatten zurücklassen müssen. Kinder waren von ihren Familien getrennt worden und bettelten auf den Straßen. Nicht die organisierten Banden, wie man sie im Armenviertel findet, sondern wirklich verlorene Kinder. Doch noch war die Stimmung in der Hauptstadt gut, ja fast ausgelassen. Man war trunken von der Euphorie des Krieges und man zeigte sich gerne großzügig gegenüber jenen, denen es schlechter ging. Zumindest für eine Weile. Doch dann kam es wie immer.“
Sergeant Borsk, 919 n. D. (nach den Drachen)
Die Fähre, mit der die Rattenschwestern Barb’ra und Pippa in Dreistädten ankamen, war überladen. Auf dem Weg nach Norden hatten sie weitere Flüchtlinge vom Ostufer aufgenommen, die es nicht wagten, in diesen unsicheren Zeiten auf den Straßen zu reisen. Obwohl der Krieg gerade erst ausgebrochen war, gingen Gerüchte um, dass einzelne Räuberbanden und Strauchdiebe die Gelegenheit nutzten, um Reisende, die alles Hab und Gut bei sich trugen, um die mitgeführten Ersparnisse zu erleichtern. Einige berichteten auch von einer zweiten königlichen Streitmacht, die unter der Führung der Prinzessin nach Süden unterwegs war. Also gab es schon zwei Armeen, die zusammen die gesamte verfügbare Schlagkraft des Reiches umfassten. Barb’ra hatte keinen Zweifel, dass die Echsen ihren Angriff in kürze bereuen würden. Sie hielt zwar nicht viel vom Königshaus und der Reichsgarde, doch egal was man von den Greifen dachte, das waren wirklich gefährliche Gegner. Selbst, wenn es nur noch zwei sein sollten, würde nur ein Narr die Fähigkeiten und die Macht unterschätzen, über die sie verfügten.
Die kleine Pippa freute sich über die Nachricht. Sie hoffte für die Leute aus Swampasud, dass die Armee sie beschützen würde. Doch auch Barb’ra gefielen die Neuigkeiten, jedoch aus anderem Grunde: Die komplette Reichsgarde war in den Süden gezogen und würde vermutlich noch Wochen, wenn nicht gar Monate dort sein. Das hieß, dass die Stadtwache mit ihren Gendarmen und auch die Büttel in den Dörfern die Sicherung der Landstraßen übernehmen mussten. Was im Umkehrschluss bedeutete, dass die Sicherheit in den Straßen der Städte sinken würde. Sollen sie nicht unmittelbar ehrbare Beschäftigung finden, würde Barb’ra ihre beiden Bäuche mit weniger ehrbaren Taten füllen. Keine Verbrechen, wie sie der Schurke Jagger hatte begehen lassen, aber eine Handvoll Silber war schnell zusammengestohlen und erschwindelt. Noch hatte sie ein paar Münzen, doch sie wusste, dass diese Ersparnisse in kürzester Zeit aufgebraucht sein würden.
Den Anblick, den die Hauptstadt bot, als sie einliefen, würde Barb’ra nie vergessen. Telkar war eine gewaltige Metropole, die am Tag und in der Nacht mit Leben erfüllt war, mit kunstvollen Bauwerken und dem Stolzen Hafen, wie es keinen zweiten auf dieser Welt gab. Doch Dreistädten war um ein Vielfaches größer. Die Wehranlagen, die die Stadt umringten, waren mehr als doppelt so hoch wie der Ring um die Altstadt von Telkar. In Dreistädten waren sogar die Armenviertel durch die Stadtmauer geschützt. Die Brücken, die die Stadtteile über den Grun hinweg verbanden, waren über eine viertel Meile lang und bestimmt zweihundert Fuß hoch. Sie waren nicht in sich selbst tragenden Bögen gebaut, wie die Brücken in Telkar, sondern ruhten auf dutzenden gewaltigen Säulen aus massivem Stein. Über der westlichen Stadt ragte ein gewaltiges Felsmassiv empor, in das eine unglaubliche Festungsanlage eingearbeitet worden war: Greifenfels. Die Burg von Telkar, die Barb’ra bis zu diesem Tage als unglaublich mächtig erschienen war, nahm sich wie ein Wachhäuschen der Straßenwacht aus, im Vergleich zu dem Bollwerk, das über der Reichshauptstadt thronte. Wie viele Soldaten mochte man dort unterbringen können? Einhunderttausend? Eine halbe Million? Pippa staunte mit offenem Mund, als sie die Stadt betrachtete.
„Barbarella, schau doch nur! Die Burg ist mindestens eine Meile hoch! Wohnt da der König? Und die Prinzessin? Was meinst du, ist die Prinzessin da?“
„Nenn’ mich nicht so!“ sagte Barb’ra verärgert und sah sich dabei um, als ob Pippa etwas Unanständiges gesagt hätte. Nur Vater hatte sie so genannt und sie wollte nie wieder an den Mistkerl denken. Hätte sie Pippa doch nie ihren vollen Namen verraten. Sie war die Einzige, die es wusste, und so sollte es auch bleiben. „Aber ja, da wohnt der König und auch die Prinzessin. Die Burg ist aber keine Meile hoch, höchsten Tausend Fuß. Immer noch beeindruckend, muss ich zugeben, findest du nicht auch?“ Pippa nickte zustimmend, ohne den Blick von den düsteren Wehranlagen und den hellen Palastgebäuden zu wenden. Überall wehten Blau-Rote Fahnen über den Türmen, die den brachialen Bauwerken ein wenig Lebendigkeit und eine gewisse Würde verliehen.
„Ach ja, die Prinzessin ist nicht hier. Sie ist jetzt im Krieg. Meinst du, sie kommt bald zurück und fliegt über die Stadt? Fliegen muss so schön sein“, plapperte Pippa weiter und breitete dabei ihre Arme aus. „Wusch!“, rief Pippa in diesem Moment und tat nun so, als ob sie auf den Winden, die über den breiten Fluss strichen, gleiten würde. Als ob sie selbst die Prinzessin sei. Eine junge Greifin, die nichts fürchtete und der alles möglich war. In jenem Moment gehörte Pippa die Welt, doch sie wollte sie nur sehen, nicht besitzen. Wenn die Greife doch nur so denken würden.
Fliegen. Barb’ra, die als junges Mädchen einmal auf einem hohen Turm hatte fliehen müssen, wollte sich gar nicht vorstellen, wie es sein musste, eine Meile oder mehr über den Boden zu sein, mit nichts als Luft zwischen ihr und dem unerbittlich harten Grund. Sie erinnerte sich nun an jene Nacht. Sie war noch sehr jung gewesen, ihre Blume blühte damals noch nicht. Ein kleines Mädchen. Sie hatte ein wenig Essen erbettelt und war auf dem Weg zurück zur alten Brücke. Dort lebte sie mit ihrer Schwester, seitdem Vater sie verlassen hatte und sie aus der kleinen Wohnung herausgeworfen worden waren. Die anderen Bettler und Obdachlosen waren nicht unfreundlich zu ihnen gewesen und hatten ihnen einen großzügigen Platz zwischen den ihren gewährt. Barb’ra erschauderte kurz, als sie daran dachte, was mit ihnen beiden damals alles hätte passieren können. Doch der Schauder wurde zu einem Schatten der Angst, als sie sich an den Finsterling erinnerte. Der Kerl, der ihr damals nachgestellt hatte, war der unheimlichste Mann, den sie jemals gesehen hatte. Groß. Langgliedrig. Sehnig muskulös. Verunstaltetes, furchteinflößendes Gesicht. Augen wie grüne Karfunkelsteine. Geschmeidige Bewegungen, viel zu agil für seine Größe und Masse, geradezu unnatürlich. Wenn sie Katzen sah, musste sie an ihn denken, sie bewegten sich manchmal ähnlich. Fließend. Doch er hatte den Körper eines Elitesoldaten der Königswache. Sie dachte nun daran, wie es war, als er sie erblickte. Wie er sie gierig anstarrte und sofort auf sie zulief. Ohne ein Wort. Die Augen vollkommen auf die ihren fixiert. An das Gesicht des Kerls konnte sie sich nicht mehr erinnern, doch ein Blick in diese Augen ließ sie sofort erkennen, dass dieser Mann ihr wehtun wollte, oder schlimmeres. Etwas so schlimmes, dass sie es sich als zehnjähriges Kind nicht ausmalen konnte. Heute wusste sie, was Kinder manchmal angetan wurde. Ihr Instinkt hatte sie in dieser Nacht gerettet. Doch ihr Instinkt hatte bei Jagger und seinen Lügen und Blendwerk versagt. Andererseits wollet er ihr auch nicht das Leben nehmen. Der Mistkerl wollte ihr Leben für sich nutzen. Doch Jagger wirkte gegen diesen Unhold wie ein alberner Harlekin, scharfes Messer hin oder her.
Damals wäre sie vor Schreck fast an Ort und Stelle stehengeblieben. Doch sie rannte nach einem quälend lang wirkenden Augenblick los. Sie ließ die magere Ausbeute des Tages fallen und lief, so schnell sie nur konnte, vor dem Ungeheuer weg. Zu ihrem Glück kannte sie die Gassen und wusste, wo es ein kleines Schlupfloch zu den alten Wehranlagen gab. Sie hatte die Lücke entdeckt, als sie auf der Suche nach Abkürzungen zwischen den Vierteln gewesen war. Wenn sie dort hingelangen würde, könnte ihr dieser große Mann nicht folgen. Das kleine Tor, dass den Zugang auf die Mauer sicherte, war alt, aber massiv. Dort wäre sie in Sicherheit. Sie erreichte die in die Mauer eingelassene Tür. Sie hörte schnelle Schritte hinter sich. Viel zu flink und viel zu leise für so einen großen und breiten Mann. Das Holz der Tür war vom Alter ein wenig verzogen. Gerade so viel, dass sie sich mit ihrem mageren Körper durch den Spalt mit mühe hindurchzwängen konnte. Sie glaubte den Atem des Mannes auf sich zu spüren und erwartete jedem Moment an Beinen oder am Schwanz gepackt und wieder herausgezogen zu werden. Zu einem unbeschreiblich schrecklichen Ende. Doch sie schaffte es gerade noch durch den Spalt und zog vor Angst ihren Schwanz mit beiden Händen an sich, so dass der Kerl ihn nicht ergreifen konnte. So stand sie schwer atmend hinter der Tür in der Dunkelheit und lauschte. Nur ein Streifen fahles Mondlicht fiel durch den schmalen Spalt, durch den die gekrochen war. Sie wollte gerade aufatmen, da wurde die Tür von einem heftigen Schlag erschüttert. Barb’ra schrie vor Schreck auf. Der entsetzliche Kerl warf sich gegen das alte Tor. Nun kam es ihr nicht mehr so massiv und stabil vor. Es war alt und wurde schon seit Jahrzehnten nicht mehr gewartet. Auch wurde die Mauer in diesem Abschnitt seit Ewigkeiten nicht mehr von Gardisten bemannt. Obwohl Barb’ra sich sicher war, dass dieser Verbrecher jeden Mann, bewaffneter Soldat oder nicht, innerhalb von Augenblicken töten konnte. Sie tastete sich hektisch durch die Dunkelheit. Sie war sich sicher, dass er jeden Augenblick durch die Tür brechen würde. Sie wusste, dass niemand kommen würde, um zu sehen, woher der Radau stammte. Im Armenviertel mischte man sich besser nicht in Streitigkeiten ein. Vor allem nicht in der Nacht.