Jayrôme hat früher als weiße Französin gelebt. Dann zieht er nach Berlin, beginnt Testosteron zu nehmen und erlebt eine zweite Pubertät. Ihm wächst ein dunkler Bart – und plötzlich wird er auf der Straße auf Arabisch angesprochen. Ob im Café, in der Umkleide oder bei der Passkontrolle, er merkt, dass sich nicht nur seine Identität, sondern vor allem das Verhalten seiner Umwelt ihm gegenüber radikal geändert hat. Er kann vergleichen: Wie werde ich als Mann, wie als Frau behandelt? Und was bedeutet es, wenn sich nicht nur das Geschlecht ändert, sondern augenscheinlich auch Herkunft und Alter? Mitreißend erzählt er von seinem queeren Alltag und deckt auf, wie irrsinnig gesellschaftliche Wahrnehmungen und Zuordnungen oft sind.
Jayrôme C. Robinet, geboren 1977 in Nordfrankreich, ist Spoken-Word-Künstler, Autor und Übersetzer. Zuletzt erschien von ihm Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund (Hanser Berlin). Jayrôme C. Robinet wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet. Er lebt in Berlin.
Eigener Eindruck:
Grundsätzlich war es einfach und flüssig zu lesen, nur diverse Ausdrücke musste ich immer wieder nachgoggeln. Ich habe mich zwischendurch manchmal gefragt, ob es wirklich von Vorteil ist, soviele Anglizismen dabei zu verwenden. Es hat den Anschein einer "eingeschworenen Gruppe". Einerseits verbindet das zwar innerhalb der Gruppe, andererseits separiert es etwas von jenen, die sich noch nicht so ausführlich damit befasst haben.
Jayrôme nimmt einen in seiner autobiografischen Schilderung mit auf seinem Weg von der "weißen Französin" die in Berlin lebt, zu einem Mann (als der er sich fühlt) und beschreibt dabei seine Erlebnisse rund um diese einschneidende Veränderung.
Wie lange schauen sich Männer in die Augen? Wie wird das gedeutet, ohne schüchtern oder aggresiv zu wirken? Was wird von ihm als Mann jetzt erwartet? Welche Rollenbilder hat die Gesellschaft?
Wie läuft es ab mit den psychologischen Gutachten? Wie demütigend ist das Verfahren? Wie läuft es in der Praxis mit dem Ergänzungsausweis (ursprünglicher Pass mit weiblichem Bild und behördlich ausgestellte Bestätigung, die ihn als Mann definiert....bei jedem Abholen eines Paketes, Einreisen in andere Länder, etc. ....immer die gleichen indiskreten Fragen, da niemand etwas mit dem Ergänzungsausweis anfangen kann)?
Wie sieht es mit neuen Beziehungen aus, vor allem in der Zeit vor der OP? Ist der Besuch eines Darkrooms wirklich etwas für ihn, oder sucht er eigentlich nach der romantischen Liebe?
Wie reagiert das Umfeld darauf? Wann sagt er seiner Familie die Wahrheit und wie wird diese darauf reagieren?
All das beschreibt er und gibt nicht zwangsläufig auf alles eine Antwort, sondern belässt es bei der Schilderung und dem Leser bleibt die Feststellung, dass es doch so nicht ablaufen darf. Man nimmt teil und schüttelt oftmals den Kopf, fragt sich aber auch selbst, wie es besser gemacht werden könnte.
Ich persönlich fand dies als eine durchaus positive Herangehensweise. Sie macht vor allem auch nicht-queeren Menschen wie mir zumindest ansatzweise bewusst, welche Herausforderung es für Menschen wie Jayrôme ist, einfach nur "ganz normal" leben und glücklich sein zu wollen, hinterfragt Rollenbilder, die auch von nicht-queeren hinterfragt werden sollten (zb. warum es kein Problem darstellt, wenn eine weibliche Reinigungkraft im Fitnesscenter die Umkleiden der Männer reinigt, umgekehrt aber ein Auftauchen einer männlichen Reinigungskraft in der weiblichen Umkleide zu ganz anderen Reaktionen führen würde).
Zusammenfassend hat mir das Buch gut gefallen und erhält 4 Sterne und bekommt eine Leseempfehlung.
-
Verlag: Hanser Berlin
