Original: Englisch, 2017
INHALT:
Für den siebenjährigen Salim sind die Eckpfeiler seiner Existenz scheinbar unzerbrechlich: sein distanzierter Vater, sein geliebter Onkel, die geschätzten Bücher, die tägliche Routine... Doch in diesen 70iger Jahren weht ein Wind der Veränderung in Sansibar: plötzlich ist sein Vater verschwunden und am Vorabend der Revolution zuckt die Insel unter Gewalt und Korruption. Erst mit den Jahren wird Salim im fremden und feindlichen London zu verstehen lernen, was in seiner eigenen Familie brodelt(e) und passiert(e).
(Quelle: nach dem englischen Klappentext; Behelfsübersetzung von mir)
BEMERKUNGEN:
Salim ist auch der Ich-Erzähler. Er spricht jedoch aus ferner Zukunft, circa Mitte der 2000er Jahre, in 11 Kapiteln, die in drei Teile untergliedert sind, in Rückschau auf sein Leben. Erste Erinnerungen an seine Kindheit als Siebenjähriger (1974) auf Sansibar. Der Vater erscheint fern, fast streng. Nur in undeutlichen Früherinnerungen war er viel freundlicher und näher. Dann “ist er weg”. Was mag passiert sein? Ruinierte er sein Leben, weil die Mutter eventuell einmal fremdging? Er lebt von nun an zurückgezogen, ein “armer Kerl”, den Salim später schätzen lernen wird. Und ihm anstelle der Mutter täglich das Essen zubringt. Onkel Amir aber lebt von jeher in derselben Wohnung, für Salim lange Zeit ein toller Kerl, ein geliebter Verwandter, stets lachend, flocker-leicht! In den neuen Zeiten wird er Positionen bekleiden, schliesslich auch in London landen und als Anerkennung eines Dienstes seiner Schwester Saida, der Mutter Salims, diesem anbieten, in die englische Hauptstadt zum Studium zu kommen. Saida wiederum hat nach dem Weggang des Vaters und des Sohnes nach London erneut geheiratet und eine Tochter, Munira.
Im zweiten Teil befindet sich Salim in London, beendet die Schule, beginnt die Universität. Dem Onkel und dessen Frau Asha verpflichtet soll er Business studieren. Doch das ist gar nicht seins und später kommt es zum Bruch: er fängt mit Literatur an. Es ist ein hektisches, lautes Leben, anfangs total ungewohnt. Und er bewegt sich wohl eher in Kreisen von Auslandsstudenten etc. Wir erfahren gut, was es bedeutet, Fremder zu sein. Auch, ähnlich wie in vorausgehenden und kommenden Kapiteln, was Abhängigkeitsverhältnisse sind.
Die Jahre vergehen, und aus dem nur angestrebtem Intermezzo eines Studiums wird ein halbes Leben. Bis es dann irgendwann zur… Beerdigung der Mutter zurück geht.
Wird er bleiben? Kommt es zur Aussprache mit dem Vater? Dieser erzählt aus seiner Warte das Geschehene...
Es geht wohl eher als ganz ausführliche Beschreibungen vom konkreten Alltag, von Studium, Arbeit, Beschäftigungen, Freundschaften, um vielmehr immer mitschwingend die Frage der Ge- und Verbundenheit an die Heimat, das fremde Land, die Familie, Verpflichtungen und Familiengeheimnissen. Wird man selbst bei einer Naturalisierung Brite/Engländer?
Wie schon das erste von mir gelesene Buch des Autors “Paradise” ist auch dieses hier vielschichtiger wie es auf den ersten Blick scheint. Es gelingt mir nicht, auch um der Spoilergefahr willen, alle Themen anzuschneiden.
Erneut auch hier eine sehr elegante, flüssige Sprache. Dabei nicht verdreht oder gekünstelt. Ich brauchte keine Wörter nachzuschlagen. Von ganz Weitem füḧlte ich mich an die Spracheleganz von Ishiguro erinnert…?! Ein halblautes Lesen ist ein Genuss. Anlehnungen an “Mass für Mass” von Shakespeare sind nicht unbeabsichtigt.
Jedoch würde ich persönlich bemängeln, dass wir zu früh erahnen (oder wissen), wo die Fahrt hingeht, bzw was des Pudels Kern ist. Dann schien sich mir der andererseits vielleicht nötige dritte Teil doch etwas lang und kaugummiartig gedehnt.
AUTOR:
Abdulrazak Gurnah (* 20. Dezember 1948 im Sultanat Sansibar) ist ein tansanischer Schriftsteller, der in Großbritannien lebt und arbeitet und in englischer Sprache schreibt. 2021 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Er gehörte zur muslimisch-arabischstämmigen Minderheit in Sansibar; seine Muttersprache ist Swahili. 1968 kam er als Flüchtling nach Großbritannien und studierte zunächst am Christ Church College in Canterbury, dessen Abschlüsse damals von der Universität London verliehen wurden. Von 1980 bis 1982 lehrte Gurnah an der Bayero University Kano in Kano, Nigeria. Anschließend ging er an die University of Kent, wo er 1982 promovierte und bis zu seinem Ruhestand als Professor für Englisch und postkoloniale Literaturen lehrte.
Auszeichnungen:
2006 wurde Gurnah zum Fellow der Royal Society of Literature gewählt. Er war 2016 Juror beim Man Booker Prize, nachdem er 1994 mit Paradise auf der Shortlist und 2001 mit By the Sea auf der Longlist des Booker Prize gestanden hatte.
Im Jahr 2021 erhielt Abdulrazak Gurnah den Nobelpreis für Literatur „für sein kompromissloses und mitfühlendes Durchdringen der Auswirkungen des Kolonialismus und des Flüchtlingsschicksals in der Kluft zwischen Kulturen und Kontinenten“.
Publisher : Bloomsbury Publishing (17 May 2018)
Language : English
Paperback : 272 pages
ISBN-10 : 1408881306
ISBN-13 : 978-1408881309
Dimensions : 12.9 x 1.8 x 19.8 cm