Verlagstext:
Rika, eine junge Journalistin in Tokio, recherchiert über die Serienmörderin Manako Kajii, die Männer mit ihren Kochkünsten verführt und anschließend umgebracht haben soll. Manako behauptet, sie verabscheut nichts mehr als „Margarine und Feministinnen“ und hat eine ausgeprägte Leidenschaft für hemmungslosen Genuss und insbesondere Butter. Jetzt, wo sie im Gefängnis sitzt, empfängt sie Rika, unter der Bedingung, nur über ihre Kochkünste zu reden. Für Rika werden die Begegnungen mit Manako zu einer Meisterklasse der Lebenskunst. Ein Roman, der Genuss, Essen und Trinken feiert, vor allem aber die unmöglichen Erwartungen thematisiert, die an Frauen in patriarchalen Gesellschaften heute gestellt werden.
Quelle: amazon.de
Meine Meinung:
Aufgrund von Erkrankungen in den japanischen Milchkuhbeständen kommt es zu länger andauernden Lieferengpässen bei Butter - was schiere Verzweiflung und absurd wirkende Diskussionen unter backfreudigen Hausfrauen auslöst, die nun auf Rezepte ausweichen müssen, die auch mit Rapsöl gelingen. Doch der Journalistin Rika Machida bietet die nationale Notlage eine ungeahnte Möglichkeit, an die inhaftierte mutmaßliche Massenmörderin Manako Kajii heranzukommen, die bisher jede Interviewanfrage ablehnte. Im Gefängnis bekommt auch Manako Kajii momentan keine Butter. Wenn es aber etwas gibt, wonach die bekanntermaßen koch- und essfreudige Frau, die angeblich regelmäßig sämtliche Luxusrestaurants des Landes besuchte, süchtig ist, dann ist es: Butter. Wenigstens über Butter reden, wenn sie schon keine essen kann… Sie empfängt die Journalistin Rika, um mit ihr nicht etwa über die Morde, sondern über Essen zu reden.
Dieser zunächst recht skurrile Einstieg führt die Leser*innen schnell in ein chaotisches, schwer durchschaubares Geflecht aus Rachezügen und Morden an Partnern und Exfreundinnen. Welche Rolle Manako Kajii hier gespielt hat, lässt sich zunächst nur wild mutmaßen; die Journalistin Rika braucht lange, bis sie ein paar Zehen auf den Boden bekommt, und auch dann wird der Boden immer wieder unter ihr schwanken.
Viel spannender als die Kriminalhandlung fand ich jedoch die schmerzhaften Einblicke in die japanische Arbeitswelt, wo man praktisch nie frei hat, sich an schier endlosen und unbeweglichen Hierarchien abzuarbeiten hat, wenn man insbesondere als Frau beruflichen Erfolg haben will. Hier nimmt die Autorin in Gestalt der zwar kritisch denkenden, aber angepasst handelnden Protagonistin die japanischen Rollenerwartungen an Frauen in die Kritik - stets schlank zu sein, lieber jungfräulich und naiv statt reif und selbstbestimmt zu sein, im Beruf hinter Männern zurückzustehen, dann für die Familie sowieso im Beruf zurückzustecken oder ihn ganz aufzugeben, dafür dem ach so eingebundenen Mann mit gutem Essen und Fürsorge seelisch beizustehen, das Heim und die Kinder für ihn präsentabel und angenehm zu halten… Die ganze Familie steht in Sippenhaft für die Karriere des Vaters, was zu manchen Spannungen und ungesunden Machtgefügen führt.
Die unsympathische mutmaßliche Serienmörderin Manako Kajii dagegen, die sich nimmt, was ihr gefällt, und ihr Leben bisher einfach auf Kosten Anderer genossen hat, durchbricht diese Erwartungen und wirbelt auch Rika ordentlich durcheinander: Rika beginnt erstmals, ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und auszuleben, auch wenn sie sich dabei den ungeschriebenen Erwartungen an sie entgegenstellen muss. Das hat ungeahnte Auswirkungen auf ihr privates und berufliches Leben und auf die Menschen um sie herum. Unter dem Einfluss von Manako Kajii und trotz derer teils unmöglichen Äußerungen verändern sich Rikas Gewohnheiten, Lebenseinstellungen, Beziehungen, und sie schlägt dabei etliche sehr interessante Richtungen ein. Mehr möchte ich zum Inhalt nicht verraten.
Mit nur recht wenigen Figuren, die aber intensiv dargestellt werden, sich entwickeln dürfen und für so einige Überraschungen gut sind, zeichnet die Autorin hier ein Bild der modernen japanischen Gesellschaft zwischen alten (Un-)Werten und Wandel, das ich höchst faszinierend fand. Nicht allen Wendungen konnte ich folgen, aber mir fehlte teilweise sicher auch das Hintergrundwissen zu bestimmten Gepflogenheiten in Japan. Manches habe ich mir nebenbei ergoogelt, anderes stehen lassen.
Und natürlich zieht sich durch den ganzen Roman, auch wenn dieser ganz sicher kein Kochbuch sein will, eine tiefe und ansteckende Faszination für das Kochen und Essen. Mit viel Butter.