James Canton - Biografie einer Eiche / The Oak Papers

  • Der Autor (Quelle: DuMont): James Canton leitet seit 2009 den Studiengang „Wild Writing“ an der University of Essex. Er unterrichtet Kreatives Schreiben mit besonderem Schwerpunkt auf narrativer Non-Fiction. Zudem schreibt er für Zeitungen und ist regelmäßiger Gast im britischen Fernsehen und Radio. Bislang hat er vier Bücher veröffentlicht. „Biografie einer Eiche“ ist das erste seiner Bücher, das auf Deutsch erscheint.


    Weitere Werke: From Cairo to Baghdad: British Travellers in Arabia (2011), Out of Essex: Re-Imagining a Literary Landscape (2013), Ancient Wonderings: Journeys Into Prehistoric Britain (2017)


    Kurzbeschreibung auf Buchdeckelrückseite (Quelle: DuMont): Die mächtige Honywood-Eiche steht schon seit achthundert Jahren in Essex. James Canton beobachtet sie zwei Jahre lang. In „Biografie einer Eiche“ erzählt er von ihrer Geschichte, ihrer Präsenz und Ausstrahlung und von den zahllosen Tieren und Pflanzen, die an und von ihr leben. Aber auch von den Legenden, die sich um Eichen ranken, handelt diese außergewöhnliche Hommage, in der James Canton persönliche Erfahrungen mit unserem kulturellen Erbe verbindet.


    Klappentext (Quelle: DuMont): James Canton besucht die achthundert Jahre alte Honywood-Eiche in Essex. Sie war ein Schössling, als die Magna Carta unterzeichnet wurde und König Johann England regierte. Heute bildet sie ein eigenes Ökosystem, in dem unzählige Insekten, Vögel und Fledermäuse, Moose, Farne und Pilze leben. Eichen sind zu Mythen und Legenden geworden. In vielen Religionen spielen sie eine besondere Rolle, und für die Entwicklung der menschlichen Zivilisation waren und sind sie von großer Bedeutung. Wir bauten unsere Häuser und Schiffe aus ihrem Holz, schürten unsere Feuer damit und mahlten ihre Eicheln in Zeiten der Hungersnot zu Mehl. ›Biografie einer Eiche‹ ist ein Buch über die Lehren, die wir aus der Natur ziehen können, wenn wir nur langsam genug zuhören.


    Englische und deutsche Ausgaben:

    • Die englische Erstausgabe erschien im Juli 2020 unter dem Titel „The Oak Papers“ als Hardcover im Verlag Canongate Books in Edinburgh (256 Seiten), neu veröffentlicht im Juni 2021 ebendort als Taschenbuch, sowie im Februar 2021 bei HarperOne in San Francisco.
    • Die deutsche Übersetzung aus dem Englischen von Sofia Blind erschien am 16. Juli 2021 unter dem Titel „Biografie einer Eiche: Was alte Bäume uns lehren (wenn wir nur langsam genug zuhören)“ als Hardcover mit Lesebändchen im DuMont Buchverlag in Köln (208 Seiten).


    Inhalt:

    • Anfänge (OT: Beginnings) -6 Seiten
    • Die Eiche sehen (OT: Seeing the Oak) - 38 Seiten
    • Die Eiche verstehen (OT: Knowing the Oak) - 56 Seiten
    • Mit Eichen leben (OT: Being with Oaks) - 92 Seiten
    • Epilog (OT: Envoi) - 4 Seiten
    • Anmerkungen (OT: Endnotes) - 4 Seiten


    Mein Eindruck:
    Der deutsche Titel lässt womöglich Erwartungen aufkommen, die das Buch nicht erfüllen wird, ist es doch eher ein biografischer Bericht des Autors, eine Art Tagebuch, eine Zettelsammlung mit vielfältigen Eindrücken, Recherchen und Gesprächen, über die sich der Literaturwissenschaftler James Canton der Faszination von Eichen nähern möchte, die die Menschheit schon seit Jahrtausenden befällt. Über weite Strecken wiederholen sich sogar die Beschreibungen, wenn Canton immer wieder seine häufigen Besuche bei der 800-jährigen Honywood-Eiche beschreibt, die im Gegensatz zu hunderten Brüdern in den 1950ern auf dem Anwesen nicht gefällt wurde: Es sind literarische Versuche in Worte zu fassen, welche körperlichen und seelischen Wirkungen die reine Anwesenheit, das Verweilen an und in einer Eiche auf den Autor hat.


    Diese Naturbetrachtung strahlt eine große meditative Kraft aus, ohne esoterisch zu verschwurbeln. Cantons Gespräche mit Menschen, die mit Bäumen leben oder mit Holz arbeiten, mit Förstern, Naturschützern oder Tischlern, mit dem Maler Stephen Taylor, der 50-mal in einem Zeitraum von drei Jahren die selbe Eiche malte, oder auch mit einem Psychologen, der die Umwelteinflüsse auf unser Seelenleben erforscht, zeigen die allgemeine Faszination altehrwürdiger Baumriesen und – was im Grunde schön ist – auch die letztliche Unwissenheit der Fachleute, woher die Faszination herrührt. Darunter "gestandene Männer", die schüchtern gestehen, dass sie die Nähe und die Berührung von Bäumen brauchen. :uups:


    Das Buch liefert auch eine Vielzahl an literarischen Referenzen, von Plinius dem Älteren bis Martin Buber, von Ralph of Coggeshalls Bericht über die „Grünen Kinder“, von John Milton, John Keats und Richard Corbet, Edmund Spenser und William Shakespeare, Thomas Hardy und Robert von Ranke-Graves, T.S. Eliot und W. H. Davies, Italo Calvino und Gary Snyder, John Fowles und Virginia Woolf, Thoreau, Tolstoi und Tolkien; außerdem Anregungen aus wissenschaftlichen Texten von u.a. Monica Gagliano, Paco Calvo, Suzanne Simard und Q. Li, die zeigen, wie fein austariert das Zusammenleben von Eichen mit anderen Pflanzen und Tieren ist, mit Informationen über Gallwespen und wilde Bienen, unterirdische Mykorrhizennetzwerke, Käfer, die jedes Jahr genau im richtigen Moment das Licht der Welt erblicken, und das komplexe, modrige Ökosystem der Kernfäule im Stamm alter Eichen, die obendrein – so paradox es klingt – auch für die Standhaftigkeit von Eichen Bäumen sorgt.


    Was ist das Heilsame, das Beruhigende, Ausgleichende an der Nähe zu Eichenbäumen, die die Menschen über ihr langes Leben gewissermaßen auch mit ihren Vorfahren verbinden? Ist es mehr als das zeitweise Ausscheren aus dem stressigen Alltag, das der Städter bei seinem Besuch in der Natur erlebt? James Canton beobachtet an sich, dass er sich durch seine langwährende „Freundschaft“ zu dem Baum langsam zu einem Menschen entwickelt, vor dem die Tiere nicht mehr instinkthaft Reißaus nehmen. O:-)


    Mir hat diese Mischung aus Selbstreflexion, Naturbetrachtung und literarischen Belegstellen gut gefallen. Sie liefert kein erschöpfendes biologisches oder ökologisches Kompendium über die Eiche, aber eine intime Annäherung an den unerklärlichen Einfluss, die fast magische Faszination und die symbolische Kraft, die von diesen Bäumen ausgeht. Ein lyrisches, suchendes Tagebuch, in dem der Autor – fast verschämt –seine „Freundschaft“ mit Eichenbäumen kundtut, die ihm Stärke und Gemütsruhe beschert. Eine Einladung zum Innehalten. Ein Buch zum immer wieder dahin Zurückkehren. :flower:

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    White "Die Erkundung von Selborne" (115/397)

    Kellendonk "Buchstabe und Geist" (83/170)

    Figura/Mizielińscy "Wölfe" (89/262)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińscy (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 59 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Kuhl "Helenes Familie" (23.04.)

  • Die englische Erstausgabe erschien im Juli 2020 unter dem Titel „The Oak Papers“ als Hardcover im Verlag Canongate Books in Edinburgh (256 Seiten), neu veröffentlicht im Juni 2021 ebendort als Taschenbuch, sowie im Februar 2021 bei HarperOne in San Francisco.

    White "Die Erkundung von Selborne" (115/397)

    Kellendonk "Buchstabe und Geist" (83/170)

    Figura/Mizielińscy "Wölfe" (89/262)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińscy (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 59 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Kuhl "Helenes Familie" (23.04.)

  • Mir hat das Buch auch großteils gut gefallen. Leider wurde es - speziell im 3. Drittel - etwas langweilig. Wer sich ein wenig mit Meditation beschäftigt weiß, dass sein Aufenthalt bei den Eichen nichts anderes ist, als eine Form der Meditation. Eine Gesprächspartnerin hat ihm das auch so gesagt, warum muss er es dann im Folgenden ständig in Frage stellen?

    Seine Empfindungen lassen sich mit fast allen Formen der Meditation "erzielen". Das ist nichts spezifisches für Eichen ...

    Aber als Erfahrungsbericht war es ganz okay.