Der Autor (Quelle: Verlag Freies Geistesleben): Der Schweizer Schriftsteller Jakob Streit (1910 – 2009) veröffentlichte über dreißig Kinder- und Jugendbücher. Ein Fokus seiner literarischen Arbeit lag auf Tiergeschichten, Märchen, Legenden und Nacherzählungen biblischer Geschichten, die sich unter Kindern und jugendlichen Lesern großer Beliebtheit erfreuen. Neben seiner literarischen Arbeit war er lange Zeit als Lehrer tätig. Darüber hinaus arbeitete der vielseitig interessierte Künstler unter anderem als Theaterschauspieler und Opernregisseur und widmete sich als tätiger Naturfreund leidenschaftlich der Bienenzucht. Zu seinen erfolgreichsten Werken zählen neben dem Bienenbuch auch die Zwergengeschichten „Tatatucks Reise zum Kristallberg“ und „Liputto“ sowie „Louis Braille“, ein biografischer Roman über den Erfinder der Blindenschrift.
Klappentext (Quelle: Verlag Freies Geistesleben): Jakob Streit hat die Lebensbilder christlicher Heiliger – der Heiligen Martin, Georg, Franziskus, Odilie, Sebastian, Mauritius, Placidius, Elisabeth, Meinrad, Christophorus, Beatus und Rochus – neu erzählt. Seine Erfahrungen als Pädagoge haben ihm dabei geholfen, anschaulich und schlicht und doch eindrucksvoll die Taten und Schicksale dieser herausragenden Menschen darzustellen.
Deutsche, französische, ukrainische und rumänische Ausgaben:
- Die deutschsprachige Originalausgabe erschien 1979 (und in weiteren Auflagen 1980, 1983, 1987 und 1989) unter dem Titel „Ich will dein Bruder sein. Die schönsten Legenden neu erzählt von Jakob Streit“ im Verein Freies Geistesleben in Stuttgart (143 Seiten). 1993 erschien die sechste erweiterte Auflage mit Scherenschnitten von Roland Marti ebendort (148 Seiten), Einbandgestaltung: Christiane Lesch.
- Als Neuauflage im Jahr 2010 erschien die achte Auflage (zuletzt 2019 die zehnte Auflage) mit anderer Einbandgestaltung von Henriette Sauvant unter dem leicht geänderten Titel „Ich will dein Bruder sein. Die schönsten Heiligenlegenden erzählt von Jakob Streit“ ebendort (150 Seiten).
- Eine französische Übersetzung von Bernard Hucher und Sophie Vinson erschien 1990 (und zuletzt 2005) unter dem Titel „Je veux être ton frère. Les plus belles légendes racontées par Jakob Streit“ mit Illustrationen von Herbert Holzing im Verlag Éditions Iona in Paris (102 Seiten).
- 2010 erschien eine ukrainische Übersetzung im Verlag Nairi in Kiev und 2015 eine rumänische Übersetzung von Mihaela Țoțu bei Editura Univers Enciclopedic in Bukarest.
Inhalt:
1. Martin (11 Seiten)
Wie er zu seinem Namen kam / Die Tierquäler / Im zwölften Jahr / Der harte Weg / Die Begegnung / Im Zeichen des Fisches / Traum und Reise / Martin von Tours / Martin (Gedicht)
2. Ritter Georg (8 Seiten)
Ritter Georg (Gedicht)
3. Odilie (12 Seiten)
Die Rückkehr / Die Flucht nach Arlesheim
4. Sebastian (5 Seiten)
5. Mauritius und die Thebäische Legion (9 Seiten)
6. Beatus, ein irischer Glaubensbote (31 Seiten)
Der Drache von Sundlauenen / Die Jugend des Sualtach (Beatus) / Die wilde Schlucht / Der neue Ritter / Die Fahrt über das Meer / Die Botschaft / Die armen Leute von Sundlauenen / Der Drachenkampf / Beatus und Justus am Thuner See / Beatus' Tod / Die Schatzgräber /
7. Placidus (12 Seiten)
Leiden und Abenteuer / Was mit den Knaben und der Mutter geschah / Der Kaiser lässt Placidus suchen / Wie die Brüder sich fanden / Placidus - Eustachius
8. Elisabeth von Thüringen (7 Seiten)
9. Meinrad, der Waldbruder von Einsiedeln (12 Seiten)
10. Christofferus (9 Seiten)
Christofferus (Gedicht)
11. Rochus (9 Seiten)
12. Franziskus von Assisi (22 Seiten)
Franz als Bruder Lustig / Franziskus und die Bettler in Rom / Der Aussätzige / San Damian / Da gab er sein Kleid / Franziskus baut / Angelo und die drei Räuber / Der Berg La Verna / Mit dem Sonnengesang sterben / Sonnengesang des Fanziskus (Gedicht)
Nachwort (2 Seiten)
Christofferus-Lied - Musik und Text: Jakob Streit (2 Seiten)
Meine Einschätzung:
Die Legendenerzählungen berichten in griffiger Sprache von dem beispielhaften Verhalten von zwölf inzwischen als katholische Heilige verehrte Gestalten, die für ihren christlichen Glauben ihr Leben riskierten, sich für andere aufopferten oder starke, vermeintliche Einbußen an Lebensqualität hinnahmen. Der Tonfall ist für Kinder verständlich, aber nicht anbiedernd und klingt leicht antiquiert - vor allem durch das häufige Anhängen eines Endungs-es an Wörter wie Tür, Haus oder Bach, aber auch durch altertümliche, aus Märchen bekannten Wörtern wie Gestade, Graus, Greis oder Mordbube. Landschaftliche Ausdrücke finden sich vielerorts, vor allem, wenn die Legenden in der Schweizer Gegend spielen: Jungen sind meist Knaben, ein Männchen ist ein Mannli, Ziegenkäse ein Gamskäslein, ein Felsgrat eine Fluh.
Die Legenden sind nicht nach Spektakel ausgewählt, wenn auch manche stärker in Richtung Heldenerzählung zielen als andere, etwa wenn leibhaftige Drachen bekämpft werden wie bei Georg oder Beatus. Manche haben märchenhafte Züge, etwa wenn Kinder sich gegen die autoritären Regeln und Verbote der Eltern oder die Christenfeindlichkeit ihres Umfeldes auflehnen, wie das sehr melodramatische Schicksal Odilies aus dem Elsass, ebenso von Franziskus von Assisi oder von Elisabeth von Thüringen, deren Nächstenliebe dem Bruder ihres gefallenen Mannes ein Dorn im Auge war. Da ist das Schicksal des römischen Offiziers Mauritius aus Theben, dessen Christusglauben den Römischen Kaiser aufbrachte, und ihn mitsamt seiner Thebäischen Legion töten ließ. Oder da ist der römische Feldherr Placidus, der ein Kreuz im Geweih eines Hirsches gewahrte, und in der Folge durch viele Leiden ging, lange Zeit getrennt von seinen Söhnen und seiner Frau. Solche sehr greifbaren Hürden und Schicksalsschläge im Leben der Heiligen sorgen selbstverständlich für eine aufregende, fesselnde Lektüre, die manche stillere und andächtigere Erzählung an den Rand treten lässt, auch wenn diese überraschende Akzente beleuchten: der Riese Offerus (der zu Christofferus wird), der dem größten König dienen will, den Teufel links liegen lässt und in einer Lichtgestalt seinen wahren König findet - ein Kind, das er über einen Fluss trägt, wobei es immer schwerer wird und den Riesen fast unter Wasser drückt. Auch die Schatzgräber, die in der Schweizer Höhle über dem Thuner See, wo der irische Wandermönch Beatus starb, nach Schätzen suchen wollen und dort eine sehr traumgleiche, magische Jenseitserfahrung haben: ein unendlicher Ozean im Berg, befahren von Schiffen, wo Drachen und weißhaarige Greise in Ruhe und Ewigkeit leben. Oder all die Heilkundigen, die mit Kräutern und Medizin ihre Mitmenschen heilen, die die Aussätzigen waschen und speisen, die Kapellen renovieren und das Leben für alle besser Menschen machen wollen.
Es sind Geschichten, die einen, jede für sich, Staunen machen können, und faszinierende Beispiele für die Größe und den Wagemut des Menschen geben, die mit Treue zu einer menschenfreundlichen Haltung stehen. Mein achtjähriger Sohn war doch sehr in den Bann gezogen, so als spürte er unmittelbar den gewissen Ernst und die Erhabenheit der Legenden (wie es auch alte Märchen vermögen), die ein Loblied auf Prinzipientreue, Standhaftigkeit, Nächstenliebe und – ja natürlich auch – Gottergebenheit anstimmen. Zu wissen, warum man an einer bestimmten Haltung und Lebensweise auch gegen Widerstände festhält, scheint mir für junge Schulkinder in Form beispielhafter Menschenschicksale nicht der schlechteste Lektüreinhalt zu sein, um zu einem Gespür für moralisches Verhalten zu finden. Ein rundum schönes Vorlesebuch für Freunde von Märchen, Sagen und Legenden, wenn einen der - ja im Grunde nicht überraschende - ständige Bezug auf das Christentum nicht stört.