Evamaria Engel - Die deutsche Stadt im Mittelalter

  • "Stadtluft macht frei",

    ist ein Slogan, der einem mittelalterlichen Rechtsbrauch entsprang. ( Vgl. Sachsenspiegel, Schwabenspiegel, Mühlhauser Rechtsbuch, etc)

    Der Leibeigene, dem es gelang, ein Jahr und einen Tag in einer Stadt zu verbringen, durfte von seinem Leibherrn nicht mehr zurückgefordert werden, er war " frei" im Sinne des Erwerbs städtischen Bleiberechts.

    Eine fast beschwörende, magische Formel war das allerdings nicht, de facto einigten sich viele Grundherren mit von ihnen abhängigen Städten auf " klammheimliche" Rückführung entflohener Leibeigener. Auch Zahlungen wurden dementsprechend geleistet, bisweilen sogar Pauschalen.

    Dennoch entstand aus diesem unzulänglichen Brauch im Laufe der Zeit festes Recht, umso solider, je mächtiger die Städte selbst wurden. Das beschleunigte der Übergang von Tausch zu Geldhandel und die wirtschaftliche Autonomie der Städte.

    " Geldhandel macht frei" ,wäre also das etwas provokative Pendant.

    In der Tat bleibt die Frage, ob der Adel sich mit den im Hochmittelalter inflationär zunehmenden Stadtgründungen einen "Bärendienst" erwiesen hat, indem die wirtschaftlich schnell an Macht gewinnenden städtischen Gebilde letztlich die Kontrolle durch den Adel abzulegen bestrebt waren.

    Zu den Stadtgründungen im Mittelalter gehörte also der Vorsatz des jeweiligen Landesherrn, eine wirtschaftliche Wertsteigerung der eigenen Ländereien vorzunehmen, in dem er "Märkte" schaffte, d.h. Bauern und Handwerker - Siedlungsgemeinschaften mit Markt und damit Stadtrechten ausstattete.

    Das bedeutete Zoll, Münz und Warenverkehrprivilegien, Stapelrechte und zunächst niedere Gerichtsbarkeit.

    Die wirtschaftliche Prosperität der erfolgreichen neuen Städte setzte diese bald in die Lage, die noch verweigerten Rechte selbst zu erwirken. Ein Prozess, der einmal in Gang gesetzt, kaum mehr umkehrbar war.

    Die Rechts und Gedautonomie führte somit ab dem Hochmittelalter auch zum Ausbau der Selbstverwaltung mit Stadtrat und Bürgervertretungen, die aus Handwerkern und Kaufleuten bestanden und bei denen im Zuge zunehmenden Geldhandels, sich die Macht in Richtung der Kaufmannschaft ( Patriziat) verschob.

    Der Dualismus hieß also zunehmend Adel (Klerus) - Kaufmannschaft, anstatt Adel - Bauern.

    Der Paradigmenwechsel führte zur Gestaltung der deutschen Länder, wie sie noch am heutigen Bild erkennbar wird, von der karolingischen 'civitas' zur modernen Großstadt.


    Fazit:

    Das vorliegende Buch schließt eine wichtige Lücke in der historischen Wertung der Prozesse der Stadtgründungen im Mittelalter. Hier lag bisher keine schlüssige und verknüpfende Systematik vor. Evamaria Engel hat in souveräner Beherrschung der kaum noch überschaubaren Flut von Stadtgründungsdokumenten eine solche Verknüpfung hergestellt, den fehlenden " roten Faden " nachgewiesen im Bildungsprozess der deutschen Stadt.

    Topologie und Recht, könnte man verkürzt sagen, machen die mittelalterliche Stadt aus, das war zu beweisen.

    Ein wissenschaftliches Buch, aber kein Handbuch für das historische Seminar, sondern verständlich und in flüssigem Stil für jeden Interessierten geschrieben.

    Alleine das Kapitel über die städtischen Gesellschaftsformen geriet mir etwas zu kursorisch. Aber dazu gibt es schließlich genügend Einzekpublikationen.

    Dem HistorikerIn ist ja der Blick auf das große Ganze leider selten vergönnt. Der Fokus liegt meist auf den speziellen Einzelphänomenen, die Gesamtdeutung ist selten die eigentliche Aufgabe.

    Hier ist eine Synthese gelungen, eine kybernetische Sicht und das ist viereinhalb Sterne wert. :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:


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    Evamaria Engel ( geb.1934) in Greifswald, promovierte als Assistentin bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften zum Thema " Lehensherrn und Lehnbürger" an der HUB.

    Später leitete sie das Mittelalterressort der Akademie und arbeitete in ihren letzten Berufsjahren an der Edition der "Constitutiones" bei der Monumenta Gemaniae Historica. Bis 1990 leitete sie die Redaktion des " Jahrbuch für die Geschichte des Feudalismus" und der Vereinigung für mittelalterliche Geschichte.