Alexander Gorkow - Die Kinder hören Pink Floyd

  • Kurzmeinung

    Marie
    Autobiografisch, Sprache braucht Einlesezeit, Fakten aus der Kindheit mit Wiedererkennung, Epilog überflüssig
  • Autor: Alexander GorKow

    Titel: Die Kinder hören Pink Floyd

    Seiten: 186

    ISBN: 978-3-462-05298-5

    Verlag: Kiepenheuer & Witsch


    Autor:

    Alexander Gorkow wurde 1966 in Düsseldorf geboren und ist ein deutscher Schriftsteller und Journalist. Er studierte Mediävistik, Germanistik und Philosophie und war von 1995-1998 Landtagskorrespondent bei der Süddeutschen Zeitung. 2002 übernahm er deren Samstagsausgabe und ist seit 2009 Leiter der Seite Drei der SZ. Im Jahr 2003 veröffentlichte er seinen ersten Roman, 2007 den zweiten und erhielt den Deutschen Reporterpreis für seine 2012 erschienee Reportage "USA", zusammen mit dem Fotografen Andreas Mühe.

    2017 erschien sein Roman "Hotel Laguna".


    Inhalt:

    Die 70er Jahre. Eine Vorstadt. Das Westdeutschland der letzten Baulücken, der verstockten Altnazis, der gepflegten Gärten. Die Kriegskräuel sind beiseite geschoben, zum Essen geht es in den Balkan Grill, die Einbauküche daheim überzeugt durch optimale Raumnutzung. Für den 10-jährigen Jungen aber ist es eine Welt der Magie, der geheimen Kräfte, des Kampfs des Bösen gegen das Gute.


    Der Leitstern des Jungen in diesem Kampf ist die große Schwester - das Kind Nr. 1 der Familie. Sie ist herzkrank und sehr lebenshungrig. Mit trockenem Humor und großer Aufsässigkeit stemt sie sich gegen alle Bedrohungen, nicht zuletzt mithilfe der vergötterten Band Pink Flyd aus dem fernen London, den Kämpfern gegen das Establishment, deren Songs alles zum Glänzen bringen. (Inhaltsangabe des Verlags)


    Rezension:

    Vor einem großen Teller Leckereien zu sitzen, sich da und dort etwas herauszunehmen, zum Mund zu führen und plötzlich aus einem wunderschönen Traum geholt zu werden. Wer kennt dieses Gefühl nicht? Der Wecker holt einem zurück aus dem Schlaraffenland und daheim wartet nur der geschmacklose Kaffee und das pappige Toastbrot. Was für ein Start in den Tag. So in etwa erging es mir hier beim Lesen einer Geschichte, bei der das Positivste der Klappentext ist. Dann folgt lange nichts.


    Geschichten vom Aufwachsen, von Selbstfindung, Verwirklichung, dieses Coming of Age, funktionieren an sich immer. Protagonisten aus dem Alltag gegriffen, wie Du und ich, ein wenig langweilig zwar, aber gerade das macht sie sympathisch, leben ihren Alltag und die Leserschaft begleitet sie auf ihrem Weg. Ein wenig "Stand by me" (Stephen King), ein wenig Biografie, gegossen in einem schönen Roman, der zudem ein wenig davon wiedergibt, wie die Gesellschaft, das Leben, zu jener Zeit ausgesehen hat, irgendetwas Undefinierbares, was einem beim Lesen in den Bann zieht. Solche Erzählungen machen glücklich, nachdenklich, traurig, zu weilen Spaß.


    Hier hat man sie, die Protagonisten, die allesamt langweilig in einem aufregenden Jahrzehnt vor sich herleben, deren Alltag man ein Stück begleiten darf und eine Hauptfigur, die nicht weniger als das alte, oder junge, Ego des Autoren sein dürfte. Zutaten für einen Roman, die sonst immer funktionieren. Nur, hier nicht.


    Die Sprache spröde, der Erzählstil sehr trocken, selbst der Titel dient nur der Einordnung im Zeitcholorit. Ersetze den Band-Namen und du weißt, in welchem Jahrzehnt der Roman spielt, was in jedem Jahr sein könnte. Passieren tut nichts. Es gibt hier keinen Dreh- und Angelpunkt, wie etwa die Mondlandung als erste, der Selbstfindungsprozess als zweite Ebene im Roman "Der Sommer meiner Mutter", von Ulrich Woelk, der hier einmal als positives Beispiel herhalten darf. Diese Erzählung liegt bei mir schon länger zurück und ich erinnere mich an Einzelheiten, Details. Hier beginne ich schon jetzt zu verdrängen.


    Der derart spröde Erzählstil macht den Eindruck nicht unbedingt besser. Man neigt dann zum Abschweifen, zum Überfliegen, zum Gähnen, verdrängt das Gelesene. Mich beschleicht das Gefühl, aus der Geschichte hätte man mehr herausholen können. Vielleicht gefällt so etwas Verlässliches aber auch vielen. Toastbrot halt. Schmeckt nach nichts, bleibt aber im Magen.

  • findo

    Hat den Titel des Themas von „Alexander Gorgow - Die Kinder hören Pink Floyd“ zu „Alexander Gorkow - Die Kinder hören Pink Floyd“ geändert.
  • Oh je, das verschwindet dann wohl besser ganz schnell wieder vom Wunschzettel ...


    Ich liebe solche Bücher, wenn sie gut gemacht sind, aber blutleer dürfen sie natürlich nicht sein.

  • Oh je, das verschwindet dann wohl besser ganz schnell wieder vom Wunschzettel ...


    Ich liebe solche Bücher, wenn sie gut gemacht sind, aber blutleer dürfen sie natürlich nicht sein.

    Ich muss für das Buch dann doch noch eine Lanze brechen.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb: Sterne waren es für mich.


    Lieber findo , da Marie momentan nicht mehr aktiv im Forum teilnimmt, muss ich sie jetzt vertreten (ich erinnere mich gerade an „Die Blechtrommel“ und „Die hellen Tage“, die uns beiden Damen ja gefielen…) :wink: :).


    Aber im Ernst, hier meine Begründung:

    Von der Unmenge an 70 er - und 80 er - Jahre - Nostalgieromanen ist dieser bei mir bei den besten angesiedelt. Die handelnden Hauptpersonen und ihre Geschichte (die Familie des Autors) sind an realen Ereignissen angelehnt.


    Den Erzählstil empfand ich nicht als dröge, mich erinnerte der trockene Humor vielmehr an Max Goldt, den ich ja auch sehr schätze. Man muss natürlich ergänzen, dass sowohl Goldt als auch Gorkow einen speziellen Humor haben :loool:.

    So bringt es zum Beispiel die Teenagerschwester Gorkows fertig, ihm durch die irrsten Geschichten eine unglaubliche Angst vor Heino einzubläuen, so dass der kleine Junge nachts nicht nur ihn, sondern auch Rainer Barzel unter seinem Bett vermutet, der ja auch wie Heino, laut Schwester, ein Nazi und damit ein Monster sei. Ganz zu schweigen von der Band „The Sweet“ die kleine Kinder entführe und koche.

    Nichtsdestotrotz ist die Schwester für Alexander eine wichtige Bezugsperson.


    Der rote Faden, der durch das Buch führt, sind nämlich die Alben und Songs von Pink Floyd, die sie ununterbrochen hört, analysiert und den kleinen Bruder damit infiziert, auch wenn er im Grunde noch nicht wirklich versteht, nur fühlt, welche Bedeutung diese Musik hat, vor allem eben auch für die schwer herzkranke Schwester…


    Das Nebenpersonal wie Schulkameraden, Nachbarn oder die Betreiber des örtlichen Kinos sind schön skurril und dennoch lebensnah gezeichnet. Beim Rückerinnern an die Lektüre muss ich gerade wieder unwillkürlich über das ein oder andere geschilderte Ereignis grinsen :loool:.


    Das letzte Kapitel des Buches führt übrigens in die Gegenwart und man erfährt im dokumentarischen Stil wie es Alexander Gorkow und Pink Floyd mittlerweile ergangen ist.


    In den letzten Wochen ging das Buch in der Familie von Hand zu Hand und wurde jeweils gern gelesen. Daher wäre es für den einen oder die andere vielleicht doch noch einen Versuch wert :wink:.

  • Vielen Dank für deinen Eindruck. Ich mochte z. B. Ulrich Woelk, der in "Der Sommer meiner Mutter" das Lebensgefühl Ende der 60er Jahre beschreibt, viel mehr, um mal diesen Vergleich zu nennen. Vielleicht ist es der spezielle Schreibstil oder Humor, der mir das Buch verkleidet hat, vielleicht bin ich zu jung, um das Gefühl für Pink Floyd zu begreifen. Könnte noch nicht mal einen Song oder so was benennen und habe auch nichts im Ohr. Vielleicht muss mandas, damit es funktioniert.

  • Der Schriftsteller und Journalist GORKOW war und ist mit diesem Stimmungsbild aus den 70iger Jahren sehr erfolgreich. Trotz des motivierenden Titels hat es ein paar Jährchen gedauert, bis sein Roman mich schließlich erreicht hat.


    GORKOW berichtet so authentisch aus der Innensicht eines Kindes, dass der Verdacht einer autobiografischen Färbung nahe liegt. Sein Jahrgang (1966) lässt es problemlos zu, dass die Musik von Pink Floyd tatsächlich seine Kindheit begleitet hat. Allerdings ist der enge Bezug zu den unerreichbaren Stars, deren Musik und Texte im Roman als Ausdruck eines umfassenden gesellschaftlichen Umbruchs empfunden werden, der deutlich älteren Schwester zu verdanken. Einer lebensbedrohenden chronischen Erkrankung ist es zuzuschreiben, dass sie (meist “Kind Nummer 1” genannt) in dieser bürgerlichen Familie ihre extreme Lust an der – kulturellen und politischen – Provokation weitgehend unsanktioniert ausleben kann.


    Auch die anderen Familienmitglieder werden durchweg in ihrer Funktion (“der Vater”, “die Mutter”) angesprochen und in ihren typischen Charakteren gezeichnet. Genau wie bei den anderen kindlichen und erwachsenen Figuren werden die Konturen (die kleinen und großen Macken) scharf herausgearbeitet. So ergibt sich der Eindruck, dass die Menschen dieser Zeit irgendwie markanter und eigentümlicher waren, dass es noch mehr echte “Originale” gab.


    Das entscheidende Stilmittel dieser zeitgeschichtlichen Milieustudie aus dem Umfeld von Düsseldorf besteht darin, dass GORKOW den bruchstückhaften und ungeordneten Erlebens- und Verständnisfetzen eines 10jährigen Bewusstseins eine Stimme verleiht.

    Wir bekommen dabei nicht nur vermittelt, wie sich die genuin kindliche (soziale und schulische) Welt für “den Jungen” darstellt, sondern – was noch viel spannender ist – wie sich die oft fremden und absurden Aspekte des Erwachsenenlebens in seinen Empfindungen spiegeln – und wie er sie zu ordnen und mit Sinn zu versehen versucht.

    So entsteht für die Lesenden ein Kaleidoskop von Bildern, Verhaltens- und Sprachmustern, die sich insgesamt zu einem lebendiges und grell ausgeleuchteten Panorama zusammensetzen.


    Immer wieder wird deutlich, dass GORKOW nicht nur eine Art “Sittengemälde” der Zeit zeichnen, sondern auch tief in die Kiste der Nostalgie greifen wollte. Genussvoll nennt er immer wieder die Marken typischer Alltagsgegenstände und vertraut darauf, dass diese bei der Leserschaft wohlige Erinnerungen hervorrufen. Das wirkt allerdings in der Häufung ein wenig sehr “gewollt”.

    Es lässt sich wohl auch kaum übersehen (und sicher auch nicht vermeiden), dass sich oft in die vermeintlich authentisch-kindliche Wahrnehmung bzw. Bewertung doch die distanzierte rückblickende Reflexion mischt. Damit kann man gut leben.


    Es ist ein erfrischender und liebevoller Text, der eher assoziativ als chronologisch erzählt, der ein Gespür auch für kleine Details hat und dabei gerne aus dem Vollem schöpft: Es geht insgesamt eher heftig und deftig zu, in dieser Welt des Übergangs und Umbruchs. So dürfen dann tatsächlich die jeweils neuen Alben von Pink Floyd sogar auf dem heiligen “Thorens” des Vaters abgespielt werden. Da zeichnet sich eine erste Öffnung in der ansonsten festgefügten (spieß)bürgerlichen Weltsicht.


    Netterweise erfahren wir im Epilog, warum GORKOW ausgerechnet Pink Floyd die Rolle zugeschrieben hat, als roter Faden durch die Kindheit “des Jungen” zu führen: Der Autor hat sich zu einem extrem leidenschaftlichen Fan entwickelt und die Supergroup ist sogar eine Teil seines journalistischen Lebens geworden (bis hin zur persönlichen Bekanntschaft mit Roger Waters).


    Es wurde Zeit, dieses Buch mal endlich zu lesen…


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