Karl-Markus Gauß - Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer

  • Klappentext:


    Das handgeschriebeen Kochbuch der Großmutter, der alte Überseekoffer mit den eisernen Beschlägen oder der Brieföffner des mährischen Industriellen - das sagenhafte Reich der Gegenstände lädt ein zu Expeditionen durch ferne Zeiten und fremde Länder. Karl-Markus Gauß findet Abenteuer in nächster Nähe: auf einer Reise durch sein Zimmer.


    Eigene Beurteilung:


    Die Idee ein Zimmer - oder sogar nur einen Schreibtisch - zum Ausgang einer Reise durch die Welt und das Leben des Schreibers oder der Schreiberin zu machen, hat schon eine gewisse schriftstellerische Tradition in Europa, wovon Herr Gauß in diesem Buch auch zwei ineressante Beispiele vorführt - wobei er selbst eines dieser Beispiel nicht ganz so ergiebig findet. Ausgehend von einem Werbeartikel - einem Brieföffner - kommt er auf Eternit und Bata und von dort beginnt er nicht nur seinen Raum, sondern auch den Rest des Hauses, in dem er lebt, zum Ausgangspunkt unterschiedlicher historischer Exkurse zu nehmen, die auch immer wieder mit seiner Familiengeschichte verbunden sind. Dabei kann man einige interessante historische Figuren, die einem normalerweise kaum berühren würden, begegnen - und das ist stellenweise überaus spannend. So sind frühe Momente der patriarchialisch-industriellen Stadtplanung überraschend und erhellend, wie etwa auch die Wege, die Menschen durch die Geschichte nehmen und die im Nachhinein immer zielgerichtet wirken - was sie natürlich, wie auch Gauß bemerkt - in der Regel nicht sind.


    An einer Stelle dieses Buch erwähnt der Autor einmal, dass ein von ihm sehr geschätzter Kritiker festgestellt hatte, dass Gauß' Schreiben umso interessanter zu lesen ist, je weiter er innerlich von einem Gegenstand entfernt ist - bzw., wenn er mehr spekulieren muss, anstatt einfach Wissen wiederzugeben. Eine Tendenz, die sich auch in diesem Buch deutlich zeigt. Während er in den ersten zwei Dritteln des Buchs in erster Linie über Personen und Umstände berichtet, deren direkter Zeuge er nicht geworden ist, oder wozu er die Informationen aus zweiter bis fünfter Hand hat, liest sich dieses Buch für einen Geschichtsnerd wie mich ziemlich interessant.


    Im letzten Drittel kommt das Buch inhaltlich dem Autoren und seinem Schaffen immer näher - wobei er gleichzeitig immer wieder eine große Vagheit mit Bezug auf bestimmte Personen aufkommen lässt. Und Überlegungen dazu, warum es eine gute Idee sein könnte, regelmäßig in einer im wahrsten Sinne des Wortes weinseligen Stimmung zu sein, mögen für den Autoren als Individuum zutreffen, aber wer Erfahrung mit Suchtkranken hat wird beim Lesen dieses Abschnitts zumindest irritiert sein.


    So - um beim Wein zu bleiben -, eine interessante Farbe und eine komplexe Blume, wobei sich die Komplexität im ersten Mundgefühl fortsetzt. Der Abgang allerdings ist nicht ganz zufriedenstellend. Etwas durchwachsen.