Kir Bulytschow - Der einheitliche Wille des gesamten Sowjetvolkes

  • Komisch und beklemmend


    Der Autor

    Der 2003 verstorbene Kir Bulytschow war ein in Russland sehr beliebter Autor von Science Fiction und Phantastik für Kinder und Erwachsene, von dem auch auf Deutsch einige Bücher und diverse verstreute Erzählungen veröffentlicht worden sind. Überwiegend war das in der DDR der Fall und teilweise als Kirill Bulytschow und bei zwei Sachbüchern unter seinem bürgerlichen Namen Igor Moshejko. Wer in den 1980er Jahren leseinteressiertes Kind in der DDR war, wird sich vielleicht an die Bücher mit den SF-Abenteuern des Mädchens Alissa erinnern, damals schon erwachsen gewesene SF-Freunde an den Erzählungsband »Ein Takan für die Kinder der Erde« (DDR 1976/BRD 1981), die zum umfänglichen Guslar-Zyklus gehörende Erzählung in Buchlänge »Das Mars-Elixier« (DDR 1980) oder den besonders empfehlenswerten Planetenroman »Überlebende« (dt. 1995). Illustrierte Übersicht über die deutschen Bücher Bulytschows


    Das Buch

    Das Buch enthält einerseits einen realistisch erzählten beklemmenden Katastrophenroman und andererseits drei aberwitzige satirische SF-Geschichten von durchaus dunklem Humor. Der gemeinsame Nenner all dieser Texte aus den Jahren 1988 bis 1991 besteht darin, dass derartiges vor der von M. Gorbatschow eingeleiteten Politik der Offenheit in der Sowjetunion nicht hätte erscheinen können.


    »Der einheitliche Wille des gesamten Sowjetvolkes« (1986/1991. Erzählung)

    Die witzige Titelerzählung mit der respektlosen Darstellung des greisen Breshnew und seiner Umgebung ist bereits 1986 entstanden. 1982: Außerirdische rufen die Bevölkerung eines jeden Landes dazu auf, durch gedankliche Abstimmung zu entscheiden, welche verstorbene Person wieder gesund ins Leben zurückgeholt werden soll. Als damals in der sowjetischen Führungsriege darüber diskutiert wurde, auf wen das Sowjetvolk eingeschworen werden sollte, da wäre sicher mancher gern Mäuschen gewesen. Diese einmalige Möglichkeit bietet Kir Bulytschow nun nachträglich. Der Leser erfährt, was damals in der Sowjetunion wirklich geschah.


    »Der Tod im Stockwerk tiefer« (1989. Katastrophenroman)

    Eine Momentaufnahme der gesellschaftlichen Verhältnisse des Jahres 1987, in dem die bislang uneingeschränkte Macht der Partei bereits etwas zu wanken begonnen hatte. Es geht um die Ignoranz der Verantwortlichen gegenüber den Warnungen der Wissenschaft vor einer sich abzeichnenden hausgemachten Katastrophe, die über eine große, aber fernab von Moskau liegende Stadt hereinzubrechen droht. Es geht um die Überlebens- und Rettungsbemühungen während der Katastrophe und darum, dass sich unter den Überlebenden recht bald durchaus unterschiedliche Ansichten darüber offenbaren, was unter „Schadensbegrenzung“ und „Aufräumarbeiten“ zu verstehen ist. Der einleitende Romanteil, in dem der Leser mit den handelnden Personen und den verschiedenen Interessengruppen bekannt gemacht wird, ist naturgemäß weniger dramatisch als das Geschehen ab dem Eintritt der Katastrophe. Spätestens dann jedoch nimmt die Handlung Fahrt auf und dank der glaubhaften und realistischen Erzählweise mit Blick für Details gelingt dem Autor die Schaffung einer beklemmenden Atmosphäre.


    »Der freie Tyrann« (1988. Erzählung)

    Eine Geschichte aus dem Zyklus um die Einwohner des Provinzstädtchens Guslar und deren phantastische Erlebnisse. Allerdings hat Kir Bulytschow seinem Guslarer Korneli Udalow Reisefreiheit gewährt. Der kommt mit seinem Raumschiff nicht so ganz zurecht, muss auf einem Planeten einen ungeplanten Zwischenstopp einlegen und landet ausgerechnet in einem Gefangenenlager, wo er alsbald neu eingekleidet wird. Er bekommt jedoch auch die Möglichkeit, den Herrscher des Planeten zu treffen und sich so ein Bild von den verblüffenden Verhältnissen auf dieser Welt zu machen. Eine Geschichte, die das Zeug zum Lesebuchtext hat.


    »Der alte Iwanow« (1989. Erzählung)

    Ein Mann im Hintergrund. Ein Problemlöser, der auch vor radikalen Ansätzen nicht zurückschreckte. Man sollte ihn kennen, denn die Spur seines Wirkens zieht sich durch die gesamte Sowjet-Ära bis in die - vom Zeitpunkt des Verfassens der Geschichte aus - nahe Zukunft. Und letztlich beeinflusste er unser aller Schicksal. Eine Erzählung, die man mit nicht nachlassendem Vergnügen durchaus mehrmals lesen kann, weil einfach jeder Satz sitzt.


    Ausstattung

    Der Band ist mit Textillustrationen versehen sowie mit einem informativen Nachwort und einer detaillierten deutschen Bulytschow-Bibliographie. Hervorzuheben ist ferner die besondere Buchgestaltung (Titelseite, Inhaltsverzeichnis, Textanfänge etc.). Neben der regulären Ausgabe als Klappenbroschur und der eBook-Variante ist direkt auf der Homepage des Memoranda-Verlags auch eine gebundene Vorzugsausgabe (Fadenheftung, Lesebändchen, farbiger Vorsatz) erhältlich.


    Fazit

    Ein nicht durch diese Zeilen vorbereiteter Leser wird nach der vergnüglichen Lektüre dieser heiteren Erzählungen über ernste Dinge und nach dem Umblättern der letzten Seite des im Band enthaltenen fesselnden Katastrophenromans vielleicht verblüfft feststellen, dass es in diesen mehrere Jahrzehnte alten Texten überwiegend um Probleme geht, die nicht gemeinsam mit der Sowjetunion verschwanden, sondern die heute sogar akuter denn je sind. Science-Fiction-Freunde wie auch Leser, die mit SF eigentlich nichts am Hut haben, will ich gleichermaßen darauf hinweisen, dass die SF-Elemente in den Erzählungen nur Mittel zum Zweck sind. Zu dem Zweck, satirisches Feuerwerk abbrennen zu können. Der Roman ist ohnehin - so man nicht gewollt etwas hineininterpretiert - keine SF. Somit dürfte dieses Buch des namhaften russischen SF-Autors, das mehr in der sowjetischen Vergangenheit als in der Zukunft spielt, wahrscheinlich nicht den Geschmack eines jeden SF-Interessierten treffen, dafür andererseits aber auch so manchen Leser von außerhalb des SF-Ghettos köstlich und spannend unterhalten können, sofern er sich auf diese Reisen in die fremde, untergegangene Sowjetwelt einlässt.

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Kir Bulytschow: Der einheitliche Wille des gesamten Sowjetvolkes“ zu „Kir Bulytschow - Der einheitliche Wille des gesamten Sowjetvolkes“ geändert.