Alice Hasters - Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten

  • Verlagstext:


    „Aber wo kommst du wirklich her?“, „Darf ich deine Haare anfassen?“ und „Schokobabys sind so niedlich“ – rassistische Gedanken sitzen tief. Darüber müssen wir reden. Alice Hasters beschreibt, was es bedeutet, heute als Schwarze Frau in Deutschland zu leben. Warum nicht nur Skinheads mit Springerstiefeln Rassisten sein können, was man gegen eigene blinde Flecken tut und wie ein offener Umgang miteinander aussieht, das beschreibt sie in diesem Buch.

    (Quelle: amazon.de)



    Meine Meinung:


    Wenn man sich mit dem Thema "Rassismus" beschäftigt, vielleicht selbst betroffen ist und / oder in dem Bereich schon ein wenig gelesen hat, stellt man schnell fest, dass dieses Buch von Alice Hasters - Tochter einer Afroamerikanerin und eines weißen Deutschen - nicht viel Neues bietet. Und genau das macht mich betroffen. Es gibt bereits seit langem Bücher, Blogs, youtube-Kanäle von Menschen, die ihr Umfeld für den ganz alltäglichen Rassismus in Deutschland sensibilisieren wollen - und anscheinend ist die Botschaft immer noch in so geringem Ausmaß bei der Allgemeinheit angekommen, dass auch Hasters' Buch notwendig ist, um einmal mehr den Fokus auf das Thema "Rassismus" zu lenken.


    Hasters bezieht sich oft auf früher erschienene deutschsprachige Bücher zu dem Thema, v.a. auf "Farbe bekennen" von Katharina Oguntoye und anderen - ein Werk, von dem sie sich wiederholt wünscht, sie hätte es bereits zu einem früheren Zeitpunkt in ihrem Leben gelesen - , aber auch auf Texte von Audre Lorde und anderen afrodeutschen oder afroamerikanischen AutorInnen. Anders als bei Oguntoye et al. stellen Hasters' Texte weniger soziologische und historische Abhandlungen dar. Sie pflegt eine lockere Sprache und einen eher assoziativen Stil, wobei ihr durchaus fundiertes Hintergrundwissen beispielsweise zur deutschen Kolonialgeschichte eher edutainmentmäßig in kleinen Bröckchen einfließt. Dabei lässt sich eine starke Konzentration auf die Themen "Körper" und "Beziehung" beobachten, weniger auf Beruf und Karriere. Diese Themen stehen der noch recht jungen Autorin vielleicht auch erst noch bevor.


    Ein Highlight des Buches bildete für mich der fiktive Brief an ihren neuen weißen Freund im Kapitel "Liebe".


    Mit diesem Fokus auf Liebe, Bodyshaming, aktuellen instagram- und tindertauglichen Beispielen und der assoziativen Erzählweise trifft das Buch wohl eher den Nerv einer jüngeren Generation als der, zu der ich mich zähle. Hasters bezieht, anders als frühere Bücher zu der Thematik, viel ausführlicher und emotionaler ihre Denk-, Erkenntnis- und Entwicklungsprozesse mit ein, nicht nur deren Ergebnisse; das Buch ist daher viel persönlicher und dafür weniger verallgemeinerbar als z.B. die Sammlung verschiedener Texte in "Farbe bekennen".


    Dass ich das Werk hier dennoch bei den Sachbüchern und nicht bei den Biografien einordne, ist dem Umstand geschuldet, dass Hasters allgemein über Rassismus berichten möchte, auch wenn sie dies sehr stark an ihren persönlichen Erfahrungen festmacht.


    Am Ende einer Rezi zu einem interessanten Buch schreibe ich oft, dass ich gern mehr von der Autorin oder dem Autoren lesen möchte. Das trifft auch auf Alice Hasters zu. Allerdings möchte ich es hier mit dem starken Wunsch verbinden, dass es Bücher zu anderen Themen sein mögen - weil es hoffentlich irgendwann einfach nicht mehr nötig sein wird, immer wieder über Rassismus zu schreiben, weil er endlich ausgemerzt sein wird.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: I. L. Callis - Doch das Messer sieht man nicht

    :study: Nadia Murad - Ich bin eure Stimme

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :montag: Deb Olin Unferth - Happy Green Family (Reread)





  • Ich habe die Liste "Der allgemeine Rassismus" mal ein bisschen gefüttert und möchte hier noch das häufig von Hasters erwähnte Buch "Farbe bekennen" verlinken, sozusagen den Klassiker unter den Sachbüchern zur afrodeutschen Geschichte und Gegenwart.

    :study: I. L. Callis - Doch das Messer sieht man nicht

    :study: Nadia Murad - Ich bin eure Stimme

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :montag: Deb Olin Unferth - Happy Green Family (Reread)





  • Mich hat Alice Hasters an der richtigen Stelle erwischt.


    An dem Buch bin ich bisher immer vorbei gelaufen. Erstens fand ich den Titel zu plakativ.

    Zweitens habe ich mich „natürlich“ sowieso nicht angesprochen gefühlt (man hält sich ja selbst für „weltoffen“, was immer das heißen mag).

    Drittens erinnerte ich mich an ein Interview mit Jackie Thomae und Iljoma Mangold, die an einer Stelle meinten, Alice Hasters übertreibe (Zitat Mangold „Ich habe Deutschland nie als rassistisches Land erlebt“).

    Was mich irgendwie in erstens und zweitens bestätigte.


    Jetzt bin ich froh, das Buch gelesen zu haben, denn für mich war es ein Augenöffner bezüglich vieler Dinge, über die ich mir bisher nicht wirklich viel Gedanken gemacht oder die ich leichthin abgetan hatte.

    So zB die Frage der „kulturellen Aneignung“ oder die Thematik der Romantisierung von Schwarzen in manchen sehr bekannten Hollywood - Filmen, die ich jetzt anders wahrnehmen würde.

    Dass nicht alle farbigen Menschen die gleichen Erfahrungen wie Alice Hasters gemacht haben (siehe drittens), ist m.E. kein Argument, sich in die Komfortzone zurückzuziehen.


    Sehr gut geeignet ist das Buch aufgrund seines lockeren Stils für junge Leser. Ich werde es definitiv noch verschenken.

  • Das Buch habe ich nicht gelesen, doch ich glaube, zum Thema Rassismus gibt es kein Patentrezept. Wenn man kleinlich wäre, könnten sich kaukasische Typen auch durch die "weißen" Menschen im Titel verletzt fühlen. Es gibt seit einiger Zeit eine Entwicklung im Sprachgebrauch, die es nicht nur Schriftstellern und Textern schwierig macht, um den heißen Brei zu reden, weil man das Kind nicht beim Namen nennen darf.


    Ich kenne persönlich dunkelhäutige Menschen, und alle, die ich gefragt habe, haben gegen die Bezeichnung "Schwarze" nichts einzuwenden, da es nun mal Tatsache ist, dass sie dunkler sind als Europäer. Verletzend wird es dann, wenn Vergleiche gezogen werden, was mir auch schon erzählt wurde ("Du bist so schwarz wie ich weiß bin.").


    Es ist eigentlich traurig, dass solche Bücher nötig sind. Ich frage mich bei der Rassismus/Gender-Debatte immer, warum es nicht möglich ist, auf den Menschen zu sehen statt auf die Hautfarbe und die Volkszugehörigkeit. Letzendlich sind wir doch alle gleich. Würde man einander so behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte, würde vermutlich auch noch das Zigeunerschnitzel auf der Speisekarte stehen.

  • Ich kenne persönlich dunkelhäutige Menschen, und alle, die ich gefragt habe, haben gegen die Bezeichnung "Schwarze" nichts einzuwenden

    Ich habe einen nigerianischen Kollegen gefragt, welche deutsche Bezeichnung er als Nicht-rassistisch empfinden würde, und er meinte, "Schwarzer" oder auch "Farbiger" wäre in Ordnung.


    Barack Obama bezeichnet die Schwarzen in seiner Autobiographie als "People of Colour".


    Ein katholischer Priester aus Kamerun erzählte mir, dass es in seinem Land auch rassistische Begriffe für Weiße gibt, eine Art Schimpfwörter, z.B. "Bunju", das entstanden ist aus dem französischen "Bonjour".

    (Ich hoffe, dass jetzt keiner auf die Idee kommt, meinen letzten Satz als Entschuldigung für den real existierenden Rassismus bei uns zu verstehen. [-( )

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Schwarz ist ja in diesem Kontext auch keine Farbe, sondern eine soziale Kategorie. (Wird daher auch groß geschrieben, auch als Adjektiv.) Und es sagt auch niemand, dass nicht auch Weiße diskriminiert werden können. Rassismus setzt aber ein System der Unterdrückung voraus, weshalb man üblicherweise nicht von "Rassismus" gegen Weiße spricht, sondern von "Diskriminierung". (Ebenso, wie Männer eben auch durchaus Diskriminierung erfahren können, aber keinen Sexismus, zumindest in patriarchalischen Gesellschaften.)


    Es empfiehlt sich dennoch, das Buch (oder ähnliche) zu lesen, weil man so eine andere Perspektive bekommt. Als Weiße*r in Deutschland sagt es sich immer so einfach, dass Begrifflichkeiten doch keine Rolle spielen sollten und dass doch die Hautfarbe egal sein sollte. Fakt ist aber leider, dass die Hautfarbe sehr wohl eine Rolle spielt. In anderen Ländern/Nationen vielleicht noch mehr, aber auch hier in Deutschland. Und den Luxus "aber wir sind doch alle gleich" können sich People of Colour eben nicht leisten.


    Ebenso wie bestimmte Begriffe. Wenn ich nicht betroffen bin, erlaube ich mir da kein Urteil. Klar, mich stört das "Zigeunerschnitzel" nicht, aber wenn es andere stört? Mir nimmt doch keiner was weg, nur weil man die Bezeichnungen meiden sollte. Sprache ändert sich laufend. Und sicher, es wird auch immer irgendwo Sinti und Roma geben, die sich an dem Begriff nicht stören, aber eben auch viele, die das nicht in Ordnung finden. (Ich beziehe das jetzt übrigens nicht alles auf Deinen Beitrag, @Yael , nur so generell. Und weil ich mich in letzter Zeit ein wenig mit dem Thema beschäftigt habe.)

  • Naraya Ich verstehe, was du meinst. Und obwohl du nicht explizit meinen Beitrag hervorhebst, möchte ich darauf antworten.


    Ich gehöre selbst zu einigen Randgruppen und habe Verletzungen erlebt, in "religiöser" und auch persönlicher Hinsicht, die mich auf negative Weise geprägt haben und schwer abzuschütteln sind. Vielleicht denke ich daher etwas naiv und stelle mir vor, wie schön es wäre, wenn niemand diese Unterschiede - allgemein oder individuell - verspottet, sondern sie nicht als so maßgebend erachtet. Unter den Äußerlichkeiten und hinter unserer Geschichte steckt für mich in erster Linie ein Mensch, der das Recht hat, sich selbst zu sein und nicht verurteilt wird für das, was er nicht ist. Dazu kommt, dass die Debatte über Befindlichkeiten diverser Gruppen für mich nicht verständlich ist. Gerade in Büchern und Filmen findet heuer eine Zensur statt, die mich glauben lässt, dass der gutgemeinte Schuss eher nach hinten los geht.

  • Rassismus setzt aber ein System der Unterdrückung voraus

    Daher fand ich es auch wichtig, dass in dem Buch der historische Kontext Erwähnung fand. Damit meine ich nicht nur die Kolonialisierung als solches, sondern zB auch das Gedankengut der Aufklärer wie Kant oder Hegel. Die Einteilung in „Rassetypen“ entspricht sowieso schon lange nicht mehr dem Stand der Wissenschaft.


    An anderer Stelle erwähnte ich bereits, dass eine befreundete Historikerin letztes Jahr ein Seminar über Kolonialismus hielt und mich immer wieder mit Infos und Quellen versorgte, durch die ich auch einen neuen Blick gewann. Deshalb kann ich diesen Satz nur unterschreiben:

    Es empfiehlt sich dennoch, das Buch (oder ähnliche) zu lesen, weil man so eine andere Perspektive bekommt.

  • Vielleicht denke ich daher etwas naiv und stelle mir vor, wie schön es wäre, wenn niemand diese Unterschiede - allgemein oder individuell - verspottet, sondern sie nicht als so maßgebend erachtet. Unter den Äußerlichkeiten und hinter unserer Geschichte steckt für mich in erster Linie ein Mensch, der das Recht hat, sich selbst zu sein und nicht verurteilt wird für das, was er nicht ist.

    Das ist sicherlich eine schöne Sichtweise und grundsätzlich sehe ich das auch wie Du. Es ist nur leider auf der Welt alles andere als Realität.


    Gerade in Büchern und Filmen findet heuer eine Zensur statt, die mich glauben lässt, dass der gutgemeinte Schuss eher nach hinten los geht.

    Ja, darüber kann man sicherlich geteilter Meinung sein. Da kann es auch helfen, sich einmal wirklich damit auseinanderzusetzen, was andere an bestimmten Begriffen stört, sofern man das möchte. (Und das eben fernab von den Bildzeitungs-Zigeunerschnitzel-Artikeln. In den (sozialen) Medien werden solche Diskussionen ja sehr aufgeladen.)


    Für mich persönlich ist Sprache etwas, das immer im Wandel begriffen ist. Und das mit der Zeit manche Begriffe dann nicht mehr verwendet werden sollten, das ist für mich eine ganz normale Entwicklung. Ich möchte auch nicht, dass mich jemand mit "Weib" anspricht, bestimmte Redewendungen aus dem Nationalsozialismus beispielsweise müssen auch nicht mehr sein. Veränderung muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein und auch nicht zwingend Zensur bedeuten.

  • Es gibt Bücher, die legt mensch nach ein paar Seiten wieder zur Seite. Dann gibt es solche, von denen mensch so gefangen ist, dass das Buch in einem Rutsch gelesen wird. Und wiederum solche, bei denen mensch beim Lesen ins Grübeln kommt und beginnt sich Fragen zu stellen. Zu dieser dritten Kategorie gehört das hier zu rezensierende Buch von Alice Hasters. In diesem zeigt sie auf, welche Diskriminierungen cis - weiße Menschen durch ihre priviligierte Lebenssituation nicht sehen (wollen) und was stattdessen denen auffällt, die aus dem klassischen Raster der scheinbaren Normalität fallen.
    Der Schwerpunkt der Autorin liegt hier beim Rassismus, sie lässt aber auch andere Diskriminierungsformen wie aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Religion, des Körpers etc. immer mal wieder hineinspielen.
    Dieses Buch regt dazu an, sich der eigenen Privilegien bewusst zu werden, diese kritisch zu reflektieren und daraus folgend das eigene Verhalten zu ändern. Es ist nicht immer ein leichter Weg, aber ein notwendiger.