Gail Jones - Ein Samstag in Sydney / Five Bells

  • Verlagstext

    An einem strahlenden Sommertag kreuzen sich die Wege von vier Menschen am Hafen von Sydney, in der Nähe der berühmten Oper. Scharen von Touristen vermischen sich hier mit Einwohnern der Stadt. Alle vier tragen an ihrer Geschichte: Ellie erinnert sich an ihre Liebe zu James als Vierzehnjährige in der kleinen Provinzstadt, in der sie aufwuchsen. James ist besessen von einer Tragödie, für die er sich verantwortlich glaubt. Catherine trauert um ihren Bruder Brendan, der vor einigen Jahren in Dublin starb. Und Pei Xing fährt jeden Samstag nach Sydney, um einer einstigen Lageraufseherin aus Pasternaks Doktor Schiwago vorzulesen. Gail Jones folgt diesen Figuren durch Sydney, auf ihren eigenen und doch verbundenen Wegen, eingehüllt in Erinnerungen, Schuld und Bedauern, während die Stadt um sie herumwirbelt. Aber es ist eine fünfte Figur, ein Kind, dessen Anwesenheit am Hafen diesen Tag bestimmt. »Ein Samstag in Sydney« ist ein tief berührender Roman über Liebe, Verlust und die Last der Vergangenheit. Das Buch ist auf den Shortlists für den Victorian Premiers Literary Award 2012 und den australischen Festival Award for Literature 2012 und auf der Longlist für die Australian Literary Society Gold Medal 2012.


    Die Autorin

    Gail Jones, geb. 1955 in Westaustralien, hat bisher zwei Erzählungsbände und fünf Romane veröffentlicht. Ihre Bücher sind im englischsprachigen Original mehrfach ausgezeichnet. Ihr erster Roman, "Black Mirror", wurde mit dem Nita B. Kibble Award ausgezeichnet und war für weitere Auszeichnungen nominiert. Ihr zweiter Roman "Sixty Lights" (Sechzig Lichter) erschien 2004 und war für den Booker Prize nominiert. "Perdita" (engl. Sorry) stand 2008 auf der Shortlist des Miles Franklin Award und auf der Longlist des Orange Prize. Ihren neuesten Roman "Ein Samstag in Sydney" schrieb sie nach einem erstmals ausgeschriebenen Stadtschreiber-Stipendium in Schanghai. Derzeit lehrt sie als Professorin für Kreatives Schreiben an der University of Western Sydney und forscht über die sozialen Dimensionen des Lesens und Schreibens.


    Inhalt

    Vier Personen treffen im Hafen von Sydney ein und jeder erlebt den strahlenden Tag im australischen Sommer anders. Die Beschreibung des Lichts über dem Meeresspiegel vermittelt eine heitere, optimistische Stimmung. Den Fixpunkt Opernhaus interpretiert jeder der Ankömmlinge anders. Eine sieht in dem Gebäude einen Stapel ineinandergestellter Pozellanschälchen, eine andere ein aus Papier gefaltetes Objekt, Blütenblätter und ein geöffnetes Hai-Maul. Schon an ihrem Schritt würde man als Ohrenzeuge das unterschiedliche Temperament der Ankömmlinge erkennen. Ellie wird förmlich vom Zug ausgespuckt. Ihre kindliche Vorfreude auf das Treffen mit ihrem Jugendfreund James hat mich augenblicklich in die Geschichte hineingezogen, Ellies Lebensfreude und Lebhaftigkeit fand ich so ansteckend, dass ich alles über ihr Schicksal wissen wollte. James, den Ellie seit der Grundschule kennt und der ihr erster Liebhaber war, leidet dagegen spürbar an den Menschenmassen am Fähranleger und an seiner Vergangenheit.


    Pei Xing wirkt aufgrund ihrer grauen Haare alt. Doch sie fühlt sich in der Masse wohl, kennt den Fahrkartenverkäufer und den Eismann gut, weil sie ihren Weg jeden Samstag geht. Die Einwanderin aus China nimmt die fremden Schriften an den Geschäften auf und empfindet ihre neue Heimat als asiatisch. Pei Xings Eltern kamen während der Kulturrevolution ums Leben und wurden erst Jahre später nachträglich rehabilitiert. Sie selbst wurde während ihrer Haft misshandelt. Pei Xing besucht ihre ehemalige Gefängniswärterin, die nach einem Schlaganfall hilflos im Rollstuhl sitzt, um ihr aus dem Roman Dr. Schiwago vorzulesen. Seine Kenntnisse von Fremdsprachen und ausländischen Autoren hatten zur Maozeit Pei Xings Vater das Leben gekostet. Trotz ihres schweren Lebens hat Pei Xing sich Erinnerungen an eine glückliche Kindheit bewahrt. Die vierte Person ist die irische Journalistin Catherine, die für ein Jahr einen Job in Sydney angenommen hat. Catherine, die noch immer um ihren verstorbenen Bruder trauert, wirkt abenteuerlustig. Sie genießt die fremde Stadt und ihr Leben wie einen Lottogewinn. Die Besucherin aus Irland nimmt besonders die Sprachenvielfalt der Einwanderergesellschaft wahr. Allmählich stellt sich die Frage, ob die Personen zufällig in Sydney eintreffen oder ob eine Verbindung zwischen ihnen besteht. James und Ellie verbindet ein besonderes Vertrauensverhältnis miteinander, die Erinnerungen beider münden in ihrem Treffen in Sydney. Das Leben aller kreist um die Vergangenheit. Während Ellie Kraft aus den Erinnerungen an ihre Lehrerin bezieht, obwohl sie um ihren Vater trauert, wirkt James gebeugt unter seinem Scheitern und unter Schuldgefühlen. Pei Xings Schicksal dagegen zeigt, wie subjektiv die persönliche Einschätzung sein kann, von einem schweren Schicksal getroffen zu sein, es schlechter angetroffen zu haben als andere Menschen. Die Chinesin, die von der Kulturrevolution um ihre Familie und ihre Jugend gebracht wurde, scheint zu den Menschen zu gehören, die die Vergangenheit bewahren und sich trotzdem nicht von ihr zu Boden drücken lassen.


    Fazit

    Gail Jones hebt vier durchschnittliche Menschen aus der Masse einer Großstadt hervor und entfaltet aus den Ereignissen eines gewöhnlichen arbeitsfreien Tages die Sicht in die Innenwelt ihrer Figuren, die stellvertretend für die australische Gesellschaft stehen könnten. Jones feine Wahrnehmung von Außen- und Innenwelt hat alltägliche Ereignisse zu einem Roman der leisen Töne gefügt.


    Zitat

    "Und als endlich der Schnee kam, zunächst unbeständig, versprengt und enttäuschend, aber dann - oh ja - über Nacht dicht, hielt sie [Pei Xing] sich irgendwie persönlich dafür verantwortlich. Sie war aufgewacht, und da war er, bedeckte Dächer und Bäume, die Griffe der Fahrräder und türmte sich an den Wegrändern, sammelte sich auf den Abdeckungen der Marktstände und im Hof der Grundschule. Weißer als Reismehl, mit einem bläulich-malvenfarbenen Schimmer. Weicher als fallendes Laub und windgetriebener. Man konnte ihn schmecken. Man konnte ihn trinken. Man konnte den Himmel schlucken. Flocken setzten sich in ihren Mund und auf ihre geblendeten Augen." (S. 98)


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