Liam O‘Flaherty - Ich ging nach Russland / I went to Russia

  • Autor: Liam O‘Flaherty
    Titel: Ich ging nach Rußland, aus dem Englischen von Heinrich Hauser

    Originaltitel: I went to Russia, erschien erstmals 1931
    Seiten: 234 Seiten in 16 Kapiteln
    Verlag: Diogenes
    ISBN: 9783257200164


    Der Autor: (Klappentext)
    Liam O‘Flaherty, 1897 auf Irlands verlassenen Aran Islands geboren, wurde - zum Priester bestimmt - von Dubliner Jesuiten erzogen, bis ihn die britische Armee einzog. Nach dem Ersten Weltkrieg trampte er als Gelegenheitsarbeiter und Matrose durch die Welt, kämpfte im irischen Bürgerkrieg auf republikanischer Seite und schrieb mit dem Roman „Die Hungersnot“ ein klassisches Werk irischer Geschichte und Literatur.


    Inhalt und Meinung:
    1931 schrieb Liam O’Flaherty bereits im ersten Kapitel dieses Buches, dass Literaten heutzutage der Mode unterworfen seien. Wolle man von Literatur leben, müsse man dem Geschmack des Publikums entgegenkommen. Und derzeit (um 1930) seien nun mal «Autobiographien und Bücher über Bolschewiken» beliebt. Und um eben nicht zu verhungern, und weil er es noch mehr hasst Biographien zu schreiben, macht sich Liam O’Flaherty am 23. April 1930 per Schiff auf den Weg nach Moskau. «um sich der großen Horde Dummköpfe, Lügnern und Betrügern anzuschließen, um die Büchermärkte der Welt mit weiteren Büchern über Bolschewismus zu überschwemmen». Man merkt schon nach den ersten Sätzen, dass Liam O’Flahertys es unter seinem Niveau empfindet, als «Müllkehrer» nach Bauwerken zu schielen, komische Leute zu treffen und für gelehrte Gesellschaften Informationen zusammenzutragen.


    Zu Beginn liest sich das ja noch interessant und witzig, aber diese Geringschätzung hält der Autor doch tatsächlich über 200 Seiten durch. In seinem Reisebericht schreibt er zwar, er sei offen und unvoreingenommen den Menschen und dem Bolschewismus gegenüber, aber die zahlreichen Verallgemeinerungen und Vorurteile sind dann doch offensichtlich. Klar, sind die Matrosen auf dem Schiff trinkfreudig, der Russe tanzt halt gerne. Natürlich ist es fremd und ein unglücklicher Versuch, Frauen auf dem Schiff in Führungspositionen zu haben. Sie Ist wohl die Freundin von irgendeinem Parteikader, ansonsten macht man sich hinter ihrem Rücken lustig. Natürlich fragt er scheinbar objektiv, was macht den Erfolg des Bolschewismus aus, er sucht nach den Errungenschaften, spricht mit vielen Leuten, aber am Ende differenziert er in seinem Resumé nicht allzu sehr. «Eine Armee voll Hausmeistern und Pfarrern, die sich ausschließlich für Jazz, Schokolade und sinnlose Hurerei interessiert.» Die Welt sei dem Untergang geweiht, die Masse an Bauern wird die Errungenschaften der westlichen Zivilisation vernichten. Von den Juden mal ganz zu schweigen. Seine Begegnungen und Beschreibungen auf seiner Reise in die Sowjetunion sind sicherlich nicht unparteiisch, aber ich befürchte, dass er teilweise auch sehr nach dem Geschmack des damaligen Publikums schrieb und daher den aufkommenden Antisemitismus bediente. Es gibt ein paar sehr pointierte Stellen, super beschrieben und mit lakonischen Humor, aber es gibt zahlreichere Stellen, bei denen sich dem heutigen Leser die Haare sträuben. Abfällig, verallgemeinernd, ja feindlich eingestellt den Juden und dem Bolschewismus, macht dann die Lektüre wirklich keinen Spaß. Vermutlich wird auch deshalb das Büchlein nicht mehr aufgelegt. Obwohl der Schriftsteller super beobachten und schreiben kann, als reisender Berichterstatter war er mir wahnsinnig unsympathisch. Insofern kann ich dieses Buch wirklich nicht empfehlen, werde mir aber sicherlich noch seinen Klassiker «Hungersnot / Zornige grüne Insel» oder Kurzgeschichten von ihm besorgen.