Richard Flanagan - Begehren / Wanting

  • Klappentext:

    1839: Der Gouverneur von Tasmanien und Polarforscher Sir John Franklin und seine Frau holen das Aborigine-Mädchen Mathinna zu sich ins Haus. Sie wollen »die Wilde« durch strenge Erziehung zivilisieren. Während Lady Jane ihre mütterlichen Gefühle unterdrückt, kann sich Sir Franklin Mathinnas »wilder« Anziehungskraft nicht entziehen. Als Franklin Jahre später nach England zurückbeordert wird, bleibt das Mädchen entwurzelt und zutiefst verstört zurück …

    Zwanzig Jahre später: Im Überlebenskampf im ewigen Eis soll Sir Franklin dem Kannibalismus verfallen sein. Als Charles Dickens dessen Ruf und Ansehen retten will, entdeckt er an sich plötzlich eine »wilde« unbezwingbare Seite.


    Autor:

    Richard Flanagan wurde 1961 auf Tasmanien geboren. Mit seinem Bestseller Goulds Buch der Fische, für den er 2002 den Commonwealth Writers’ Prize gewann, gelang ihm der internationale Durchbruch. Für den Film The Sound of one Hand Clapping, basierend auf seinem gleichnamigen Roman, schrieb er das Drehbuch und führte Regie. Auf der Berlinale 1998 war der Film für den Goldenen Bären als Bester Film nominiert. Für das Filmepos Australia von Baz Luhrman war er einer der Drehbuchschreiber. Flanagan lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Hobart, Tasmanien.


    Allgemeines:

    Erscheinungsdatum: 17. April 2011

    Seitenanzahl: 302

    Verlag: Insel Verlag

    Originaltitel: Wanting


    Eigene Meinung:

    Dies ist mein erstes Buch von Richard Flanagan. In diesem Roman geht es um verschiedene Personen und deren „Begehren“.

    Wir haben Lady Jane und Sir John, die das schwarze Mädchen Mathinna adoptieren wollen, um ihm die Chance zu geben sich auf englische Art und Weise zu zivilisieren. Sie soll es besser haben als die anderen ihres Volkes. Lady Jane will sie eigentlich mit Liebe überhäufen wie eine eigene Tochter, versagt sich dies allerdings aus Angst ihrem, wie sie es nennt „Experiment, zu schaden. Sir John dagegen merkt, wie er immer wieder von Mathinna verzaubert wird und hadert damit.

    Mathinna selbst setzt zuerst Hoffnung in die Adoption, wobei sie allerdings gar nicht genau versteht, was auf sie zukommt. Durch ganz viele traurige, zerstörerische Zusammenhänge wird ihr ganzes Leben dann zerstört…

    Wir haben dann noch die Beziehung von Lady Jane zu Charles Dickens, der einen zweiten Handlungsstrang bedient. Lady Jane bittet Charles Dickens darum, die Gerüchte, Sir John habe sich in der großen Expedition in der Arktis des Kannibalismus schuldig gemacht, durch einen Artikel aufzulösen. Doch durch diesen Artikel wird Charles Dickens besessen von seinem dem Thema verarbeitendem Theaterstück.


    All diese Personen sind von Flanagan sehr bildlich dargestellt. Ich konnte mich in jede dieser Figuren hineinversetzen und durch die intensive Erzählweise zum großen Teil nachvollziehen, wie die Protagonisten sich durch ihre Handlungen selbst zerstören.

    Im Grunde ist dieser Roman erschreckend, denn gerade auch der Schluss zeigt, dass unkontrolliertes Begehren alles Gute auslöschen kann.

    Richard Flanagan macht in seinem Nachwort deutlich, dass er keinen historischen Roman schreiben wollte. Dennoch lehnt er sich an sichere Fakten an und spinnt diese weiter. Sehr interessant waren für mich die Szenen, in denen Charles Dickens beschrieben wird.

    Mathinnas Schicksal hat mich sehr mitgenommen. Man wollte ihr ein besseres Leben bieten, doch es lief alles ganz anders, denn Mathinna verhält sich nicht so, wie sie es sollte und auch als sie versucht sich anzupassen ist es den „Weißen“ nicht genug.

    Was mich in fortschreitendem Verlauf jedoch gestört hat, waren die immer wiederkehrenden gedanklichen Zweifel und Gedanken, die immer wieder auf das innere Begehren hinweisen sollten. Da wäre weniger mehr gewesen. Die Handlungsstränge waren auch eher locker miteinander verbunden und ich musste jedes Mal, wenn ich eine Pause gemacht habe, wieder überlegen wie alles zusammenhängt.


    Fazit: Richard Flanagan hat mich mit dem Schicksal von Mathinna bannen können. Er zeigt mehr als deutlich wie gefährlich es sein kann von etwas besessen zu sein und wie etwas gut Gemeintes nach hinten losgehen kann. Am Ende gab es einen zu heftigen Schubser in Richtung der Botschaft, die Flanagan vermitteln wollte. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

  • Anscheinend scheint das Buch schon ein neues Cover zu haben, wir haben im Laden die Ausgabe mit dem momentanen E-Book Cover liegen, die mir persönlich sehr viel besser gefällt und auch besser zum Buch passt

  • Inhalt

    Auf das tasmanische Flinders Island wurden 1830 die letzten tasmanischen Ureinwohner zwangsumgesiedelt, die fast alle an Krankheiten oder Alkoholismus starben. Gouverneur von Tasmanien/Van Diemens Land war 1836-1843 Sir John Franklin, bekannt durch seine Arktis-Expeditionen (1818-1827, 1845 …). Lord und Lady Franklin kamen mit hochfliegenden Plänen auf die Insel, um den dort lebenden „Wilden“ europäische Kultur zu vermitteln. Vermutlich scheiterten sie auf der Spielwiese des Kolonialismus an ihrer Herablassung gegenüber fremden Kulturen und dem Unwissen der damaligen Zeit über den Verbreitungsweg ansteckender Krankheiten. Mit fast 50 Jahren nimmt die kinderlose Jane Franklin ein siebenjähriges einheimisches Mädchen bei sich auf, das sie im Text stets „ihr Projekt“ nennt und das sie zu „natürlichen weiblichen Tugenden“ dressieren will. Mathinna in einem roten Seidenkleid wird als Kind vermutlich von John Franklin missbraucht, für den sie sprachlich – in diesem Text – nicht zu existieren scheint. Als die Franklins wieder nach England zurückkehren, wird Mathinna in ein Waisenhaus gesteckt, in dem sich auch andere Familien ihrer unerwünschten Kinder entledigen, und stirbt bald darauf nach einem deprimierenden Abstieg in die Prostitution.


    Weil Lady Franklin sich später an Charles Dickens um Hilfe wandte, um den Kannibalismus-Vorwurf gegen ihren Mann auf seiner letzten Expedition zu entkräften, spielt ein Handlungsfaden in Dickens Familie und seinem neu gegründeten Theater in London. Flanagan schildert Dickens als Jammerlappen, der selbst am Zusammenbruch lavierend, darüber lamentiert, dass alle Frauen in seinem Leben an allem Schuld wären, besonders der ausgelaugte Körper seiner Frau nach 10 Geburten. Auch Franklin kommt schlecht weg bei Flanagan. Ihn erlebt man als Weichling, in dessen Ruhm sich Jane Franklin zu gern gesonnt hätte.


    Auf mehreren Zeitebenen kann man den Franklins nach Tasmanien und 20 Jahre später nach London folgen, Franklin auf seine letzte Expedition und Mathinna bei ihrem Absturz in die Prostitution. Flanagan versetzte mich in Wechselbäder zwischen Faszination und Abscheu. Fasziniert, wie scharfzüngig er Franklin und seine Zeitgenossen entlarvt in ihrer Scheinheiligkeit gegenüber den Ureinwohnern Australiens und zugleich abgestoßen von Franklin als lüsternem altem Knacker, der dem „Projekt“ seiner Frau Gewalt antut. Nach Überstehen dieser Wechselbäder finde ich Flanagans Kreisen um den Begriff „Begehren“ sehr treffend, da er die Gier der Kolonialmächte nach Ruhm und Reichtum ebenso umfasst wie die persönliche Habsucht einzelner. Auch bei Jane Franklins Sucht nach dem Schatten berühmter Männer handelt es sich um Begehren.


    Flanagan schreibt im Nachwort, dass viele Franklin betreffende Interpretationen pure Spekulationen seien und sein Roman kein historischer Text wäre. Fakt sind Dickens als rassistisch zu interpretierender Artikel und die reale Person der Mathinna.


    Fazit

    Als weitere Perspektive auf John Franklins Leben kann man den Roman lesen, aber auch als Blick auf die Kolonialzeit aus der Perspektive der südlichen Halbkugel. Schade finde ich, dass die Buchcover für Flanagans Romane kein gemeinsames Design mehr erhalten, wie man bei „Tod auf dem Fluss“ noch hoffen konnte.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

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