Corinna Seifert - Die Jagd nach dem Feuer

  • Zweihundert Jahre liegt der Bürgerkrieg nun zurück; der Frieden brachte Stabilität, Fortschritt und ein Zeitalter der beginnenden Moderne. Bis fremde Soldaten einmarschieren und begannen, das fruchtbare und rückständige Land für sich zu beanspruchen. Lunas Familie verschwindet in den Wirren des Krieges, sie hingegen zieht es ins Zentrum der Geschehnisse, doch nicht etwa an die Front, sondern der Spur der Auserwählten nach. Längst vergessene Mythen und Legenden von Drachen und Magie folgten den Soldaten und werfen nun die Heimat der Chronistin zurück in heidnische Zeiten, in denen der Umbruch noch das Leben der Menschen bestimmte - eine längst vergessene Katastrophe, die Zeit und Raum in ihren Konstanten zerstörte, technischen und gesellschaftlichen Fortschritt unmöglich machte.


    "Lois war umgeben von blendendem Weiß. Schnee legte sich über Trümmer, dämpfte die glatte Oberfläche von Rüstungen, stumpfte die scharfen Kanten der Waffen ab und verbarg die Toten. Wie ein Schleier legte sich alles über das Geschehene und begrub es als Vergangenheit. Der Schnee dämpfte die Geräusche und hinterließ nichts als Stille. Lois zitterte am ganzen Körper, obwohl sie keine Kälte spürte. Der Schock saß tief, trübte ihren Blick und machte eine erste Orientierung unmöglich. Sie erkannte ihre Schule nicht wieder, die sie seit Jahren ihr zweites Zuhause nannte und die nur noch aus Asche und Knochen bestand. Langsam kamen die Geräusche zurück: Das Rattern von Panzerketten, entferntes Gebrüll von Männern, die versuchten ihre eigenen Maschinen zu übertönen, welche stoßweise Salven auf die Reste einer Zivilisation abfeuerten. Flammen fauchten neben dem Mündungsfeuer, hier und da schlugen noch ein paar Kugeln ein, zersprengten Gestein und Schnee. Sie kroch hinter eine eingefallene Wand; Malerei und Stuck waren kaum noch auszumachen. Mit tauben Händen berührte sie den rauen Sein, der noch mehr Wärme aus ihren zitternden Händen zog. Eine Zeit lang war nur ihr Keuchen zu hören und sie sah die Schwaden ihres Atems, durchdrungen von Schnee, an der steinernen Wand emporkriechen. Die Stille hielt an, die Maschinen und die Männer waren verstummt. Dann brüllte einer etwas, doch seine Worte rissen abrupt ab und es kehrte erneut Stille ein. Vorsichtig schob Lois sich durch den Schnee, lugte um die verfallene Ecke und starrte ins Gestöber. Einige Schritte entfernt stapften schwarze Gestalten durch die verschneite Landschaft, mühsam unter dem Gewicht ihrer Gewehre und Ausrüstung und gegen den Wind gestemmt. Sie verschwanden lautlos hinter Wind und Eis. Sie hörte wieder nur ihren Atem, hektisch sah sie sich um, wieder war eine Zeit lang nichts von den Truppen zu hören oder zu sehen. In der Ferne krachte Stahl, es ächzte unter enormem Gewicht und zerriss misstönend. Ihr Gesicht und ihre Ohren schmerzten vor Kälte, Hände und Füße spürte sie schon gar nicht mehr. Einige Schritt weit entfernt lag der leblosen Körper eines Soldaten, der beinahe komplett von Schnee begraben war; die sich ständig bewegenden Luftmassen hatten ihn wieder für eine Zeit lang freigelegt. Sobald Lois die schützende Wand verließ, erfasste sie der Wind, schleuderte ihr die Kälte ins Gesicht und riss an ihrer Bluse. Sie flog so schnell wie möglich über den weißen Boden, stolperte über den Körper und landete in einer Woge aus schmerzender Kälte. Sofort stand sie auf und legte den Toten mit schaufelden Bewegungen ihrer Hände frei. Der Wind heulte um die Ruinen. Mehrmals hob sie den Kopf, um nach Soldaten Ausschau zu halten oder was sie getötet und vertrieben hatte, sah aber nichts als Weiß und die Überreste ihrer Schule, die sich dunkel gegen den weißen Himmel abhoben. Hektisch begann sie, dem Soldaten die Springerstiefel auszuziehen, fädelte so eilig die Schnüre auf, dass sie sich daran verbrannte. Der Mann packte sie am Arm. Erstarrt vor Schreck schaute Lois in sein Gesicht. Die Augen waren kaum noch zu erkennen, der Mund bewegte sich rhythmisch, als würde er kauen. Schwach fiel der Arm wieder in den Schnee und sie machte weiter mit noch mehr Angst im Herzen als zuvor, Ekel und Abscheu für das, was sie hier tat. Die Schülerin nahm ihm auch die Jacke ab, wobei sie seinen Körper auf die Seite drehen und Weste mit Munitionstaschen ausziehen musste, um an die darunter liegende Jacke zu kommen. Sie war nicht gefüttert, hatte aber wenigstens eine Kapuze und war ihr mehrere Nummern zu groß, sodass sie sich darin einwickeln konnte. Es war schwer, sich so schnell wie möglich Schuhe anzuziehen, wenn man Hände und Füße nicht mehr spüren konnte. Die Stiefel schnürte sie so fest sie konnte, um nicht herauszurutschen. Anstatt kostbare Zeit für das Einfädeln der Schnürsenkel zu verschwenden, umwickelte sie damit stramm das Leder und knotete sie festgezurrt zusammen. Das würde halten, bis sie Schutz gefunden hatte. Das Gefühl in Händen und Füßen kehrte zurück und damit auch der Schmerz. Zitternd griff Lois mit den Fingern in die Innenseite der langen Ärmel. Angst kroch ihr den Rücken hinauf und drohte sich in Panik zu verwandeln. Wo sollte sie hin? Überall war nur Schnee, doch sie würde erfrieren, wenn sie nicht in Bewegung blieb.

    Sie kannte das Gelände um die Schule herum ziemlich gut, auch den Wald, der am Campus angrenzte und in dem sie Schutz vor dem Wind und Holz für ein Feuer finden konnte. Die Schülerin zog die Kapuze tief ins Gesicht und schlang die weite Jacke um ihren Körper. Sie versuchte, nicht an den weiten Weg zu denken und daran, dass dort noch mehr als nur Soldaten lauern konnten, mal ganz abgesehen von der untergehenden Sonne, die - einmal hinter den Wipfeln verschwunden - nichts mehr übriglassen würde als Kälte und Tod. Mehrmals atmete Lois tief ein, sog die kalte Luft in die Lungen und machte sich auf den Weg, stapfend und gegen den Wind gelehnt.

    Sie kam nicht weit."


    "Die Jagd nach dem Feuer" ist mein Debütroman - 758 Seiten, davon 18 illustriert und innerhalb eines Jahres, beginnend Februar 2016, verfasst, wobei ich 3/4 des Romans innerhalb zweier Monate niedergeschrieben habe. Geplant war es nicht gewesen und nach kurzer Schreibphase kam auch die eigentliche Arbeit auf mich zu: Probelesen, Lektorat, Korrektorat, Layout, Illustration etc etc , nicht zu guter letzt dadurch erschwert, dass schon während des Schreibens mein Orthographie-Programm von Word zusammenbrach. Ich habe wie im Rausch gearbeitet, 10 Stunden am Tag waren gerade in den letzten beiden Monaten eher die Regel anstatt die Ausnahme.

    Es war ein langer Weg in so kurzer Zeit, letzten Endes mit einem Ordner an Notizen bezüglich Bilddaten, Schriftproben, Bildplatzierung, Stapelhöhe- und Umschlagberechnung, mit einem schweren Manuskript, welches durch mehrere Hände ging und schlussendlich zusätzlich zu ramponiertem Papier noch aus Kaffeeflecken und Himbeersaft bestand. Die Buchillustrationen finden ihren Platz an natürlichen Seitenumbrüchen, damit sie den Lesefluss nicht unterbrechen.

    Ein Verlag war in noch kürzerer Zeit gefunden, der meine unkonventionelle Gestaltung akzeptierte und im März 2017 hielt ich auch schon den Roman in der Hand.


    Bezüglich der Gestaltung des Romans gibt es von meiner Seite ein kurzes Statement, von Winfried Brumma auf Pressenet veröffentlicht, wo mein Werk vorgestellt wurde: LINK.


    Mit freundlichen Grüßen
    Corinna