Leonie March - Mandelas Traum

  • Autorin: Leonie March

    Titel: Mandelas Traum - Meine Reise durch Südafrika

    Seiten: 300

    ISBN: 978-3-7701-8289-3

    Verlag: dumont / mairdumont


    Autorin:

    Leonie March wurde 1974 geboren und arbeitet als freie Journalistin in Südafrika und berichtet von dort von diesem und den Nachbarländern Simbabwe, Mosambik und Sambia. Sie ist Mitglied eines weltweiten Korrespondenten-Netzwerkes und erarbeitet für Zeitungen wie die Frankfurter Rundschau und verschiedenen Rundfunksendern Reportagen. Sie lebt mit ihrem Partner in Durban.


    Inhalt:

    Was hält Südafrika im Innersten zusammen? Wie nah am Ideal der Regenbogennation des Übervaters nelson Mandela ist das Land heute tatsächlich? Leonie March begibt sich auf eine große Erkundingsreise: von der Beachfront Durbans über die Drakensberge, vom Eastern bis zum Western Cape und durch die pulsierenden Metropolen Johannesburg und Kapstadt. "Mandelas Traum" ist das Porträt eines faszinierenden Landens am Scheideweg. (Klappentext)


    Rezension:

    Wo Widersprüche sich in großer Anzahl sammeln, Kontraste größer nicht sein könnten, die Hautfarbe oder das Wohnviertel ausschlaggebend ist für Erfolg oder Misserfolg, dort ist Südafrika nicht weit. Das Land am Kap steckt über zwanzig Jahre nach dem Ende der Apartheid noch immer in alten Konflikten fest, neue sind bis heute hinzugekommen. Doch, warum sind die Menschen dort immer noch voller Hoffnung, verfolgen unbeirrt ihre Pläne und suchen weiter nach den Weg zur Regenbogennation, die der erste schwarze Präsident Nelson Mandela sich für sein Land erträumte? Die freie Journalistin Leonie March begibt sich auf Spurensuche durch ihre Wahlheimat und entdeckt bisher unbekannte Facetten von Südafrika.


    Reiseberichte können nie alle Aspekte und Ansichten innerhalb eines Landes wiedergeben, und so stellt auch dieser nur eine Momentaufnahme der detaillierten Beobachtungen der Autorin dar. Mehr möchte Leonie March auch nicht, muss sie auch nicht, denn alleine ihr Sammelsurium an Geschichten, die sie aufgetragen hat, vermag Faszination zu wecken. Anhand von zwei Karten auf den Innenseiten des Umschlages und einer klaren Reiseroute hat sie viele Aspekte dieses Landes aufgefangen, die in keinem Reiseführer so zu finden sind. Klar, kaum jemand würde touristisch wohl in ein aktives Bergwerkgebiet fahren oder sich in die verrufensten Wege der Townships verirren, aber March gelingt es hiermit, mit den unterschiedlichsten Menschen aus verschiedenen Schichten ins Gespräch zu kommen. In jedem Abschnitt wartet sie mit einer neuen Geschichte auf, und zeigt, dass es abseits der Klischees über Kriminalität, den üblichen touristischen Highlights und korrupten Politikern jede Menge Südafrikaner gibt, die mit Eigeninitiative Projekte führen, die ihnen und ihren Landsleuten eine Perspektive geben sollen.


    Nicht immer gleich spannend sind diese Geschichten, doch die Begeisterung der Autorin ist gleichwohl ansteckend. Wenn auch sie selbst sich nicht immer ganz von ihrer rosaroten Brille entfernt. Am Interessantesten wird es, wenn sie kritisch hinterfragt, Überlegungen zur Geschichte oder Zukunft ihrer Gesprächspartner anstellt oder sich bei ihrer Reise einfach treiben lässt. fast beduert man es, dass die Fotos allesamt eher kleinformatig und in Graustufe gehalten sind, und von ihrer Anzahl eher gering. Gerne hätte man noch mehr bildliche Eindrücke, kann sich aber dank der guten Beobachtungsgabe der Autorin alles wunderbar vorstellen.


    Noch ein paar Seiten mehr hätten "Mandelas Traum" jedoch gut getan. Die Autorin konzentriert sich, zwar nicht ausschließlich, bei ihren Besuchen vor allem auf abkömmlinge der Stämme und Urvölker Südafrikas, um den entgegengesetzten Kontrast zu haben, hätte ich mir noch mehr Einblicke in die Geschichte des Landes gewünscht, die auch vorkamen. aber hätten mehr ausformuliert werden müssen. Natürlich fraglich, in wie weit man das in einer solchen Art Bericht umsetzen kann, aber ein Versuch wäre es wert gewesen. Ansonsten jedoch die faszinierende Momentaufnahme eines großen Landes und seiner Bevölkerung.


    Die Autorin

  • Seit Leonie March 1990 als Austauschschülerin in Südafrika war, hat das Land sie gepackt. Verbunden war sie dem südlichen Afrika sicher bereits vorher; denn ihre Großeltern waren Farmer in Angola. March war 16 Jahre alt und erlebte das schicksalsträchtige Jahr mit, in dem Präsident de Klerk ankündigte, das Verbot von ANC, PAC, SACP u. a. Gruppen aufzuheben und mit ihnen ernsthafte Friedensverhandlungen zu beginnen. Inzwischen lebt March als Journalistin in Durban und ist mit einem Südafrikaner verheiratet.


    Ihre aktuelle Reise führt sie im großen Bogen durch Südafrika, zu vertrauten Kontaktpersonen, die erstaunlich offen mit ihr drüber sprechen, warum fast 25 Jahre nach der Wahl Mandelas der Vielvölkerstaat seine Probleme noch immer nicht bewältigt hat. Eine für 2018 ermittelte Arbeitslosenquote von 28% (die in einigen Regionen jedoch eher 70% beträgt) zwingt die Bevölkerung dazu, als Händler auf dem Markt oder in gering bezahlten Dienstleistungsberufen zu arbeiten. Gleich an Marchs erster Station ihrer Reise wird deutlich, dass der Staat kaum Infrastruktur für Händler bereitstellt und selten Organisationstalente zum Aufbau von Gemeinschaftsprojekten zu finden sind.


    Warum Familienstrukturen, die den Menschen zur Zeit der Apartheid aufgezwungen wurden, noch heute nachwirken, begreift man als Europäer erst, wenn man sich die Entfernungen verdeutlicht. Männer arbeiteten in den Goldminen Johannesburgs, während ihre Familien gezwungen waren, nach Volksstämmen getrennt, teils 1000km entfernt in Townships zu leben. Die fehlenden Vorbilder der abwesenden Väter wirken bis heute in den Familienstrukturen nach.

    Marchs (schwarze) Gesprächspartner äußern unverblümt, dass mangelnder Respekt der Volksgruppen untereinander, ebenso wie von der Regierung gegenüber der Bevölkerung, und eine Mentalität des Handaufhaltens und Hilfeforderns bis heute verhindern, dass das Land mit den 11 offiziellen Landessprachen wirtschaftlich auf die Füße kommt. Auch Korruption und überflüssige Bürokratie könnte man als Respektlosigkeit gegenüber der Leistung anderer Menschen ansehen. Eine ansehnliche To-Do-Liste hat sich am Ende des Reiseberichts angesammelt, sie reicht von Gewaltkriminalität, Gewalt durch die Polizei, dem nach 20 Jahren noch immer mangelhaften Bildungssystem, der geforderten Gleichstellung der San als First People bis zu Umweltschäden, die der Allgemeinheit zur Last fallen, obwohl die Gewinne in privaten Taschen der Verantwortlichen landeten. Die Kleptokratie und Misswirtschaft von Mandelas Amtsnachfolgern lässt sich vermutlich nur mit bissigster Ironie ertragen, die sich im Vorwort andeutet.


    Mit u. a. dem ehemaligen Diamantensperrgebiet des Konzerns De Beers an der Grenze zu Namibia, dem ehemaligen Bantu-Homeland Transkei und dem Königreich Swaziland fährt March Ziele an, die für Besucher nicht gerade am Weg liegen und die Probleme des Vielvölkerstaates veranschaulichen. Meine eigenen Erlebnisse in Südafrika und was Einheimische ihren Gästen gegenüber unverblümt äußern, fügt sich beim Lesen mithilfe von Marchs engagiertem Bericht zusammen zu einem farbigen Mosaik der derzeitigen Lage in Südafrika.


    Das Patentezept für gute Reportagen beherrscht Leonie Marsch: Nimm ein Thema, für das du selbst brennst, triff aktive, vertrauenswürdige Interviewpartner und zeige deinen Lesern auf einer Landkarte deinen Reiseweg. Ein tolles Buch, das mir die Augen für Zusammenhänge geöffnet hat.

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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow