Original : Französisch, 2015
Junger französischer Student auf den Spuren von Pier Paolo Pasolini...
UM WEN GEHT ES ?
Pier Paolo Pasolini (* 5. März 1922 in Bologna; † 2. November 1975 in Ostia) war ein italienischer Filmregisseur, Dichter und Publizist. Am 2. November 1975 wurde Pasolini in der Nacht von Allerheiligen auf Allerseelen ermordet. Der Mord an Pasolini ist bis in die Gegenwart nicht abschließend aufgeklärt.
Ich setze diesen Spoiler nicht aus « Geheimnisgründen », sondern um die Länge des Freds nicht zu überfrachten… Eher Zusatzinfos:
Pasolini wurde 1922 als Sohn des Berufsoffiziers Carlo Alberto Pasolini und der Volksschullehrerin Susanna Colussi in Bologna geboren. Prägend wurde für den Jugendlichen das ländliche Städtchen Casarsa della Delizia, wo seine Großeltern mütterlicherseits lebten. Dort verbrachte er die Schulferien und lernte das friaulische Landleben kennen. Die Anfänge seiner schriftstellerischen Bemühungen seit seinem siebten Lebensjahr gehen auf diese Zeit und Umgebung zurück. Es entstand früh ein Lyrikband in friaulischer Sprache (Poesie a Casarsa, 1942). Studium der Kunstgeschichte.
Während der Kriegsjahre, die er gemeinsam mit seiner Mutter in Casarsa verbrachte, unterrichtete er als Lehrer die Kinder des Ortes im Raum des großelterlichen Hauses, das für die Lehrtätigkeit eingerichtet worden war. In dieser Zeit begann Pasolini seine Homosexualität zu entdecken
Nach Kriegsende begann Pier Paolo Pasolini in Casarsa als Volksschullehrer an einer staatlichen Schule zu unterrichten. Pasolini zeigte ein besonderes pädagogisches Geschick im Umgang mit den Kindern und Jugendlichen. Er schien intuitiv die Themen und Probleme, die die Heranwachsenden bewegten, zu erspüren und verknüpfte dieses Wissen um die persönliche Lebenssituation der Schüler mit schulpädagogischen und didaktischen Zielsetzungen. Seine pädagogischen und didaktischen Methoden waren in besonderer Weise flexibel, variabel und handlungsbezogen. Pasolini nahm auf diese Weise vieles von dem vorweg, was seit den 1970er Jahren als schülerorientierter Unterricht bezeichnet wurde. So gewann er schnell das Vertrauen der Kinder und Jugendlichen. Sie lernten gerne, insbesondere auch diejenigen Heranwachsenden, die zunächst gewisse Lernschwierigkeiten zeigten. Durch diese methodische Vorgehensweise erwarb sich Pasolini im Ort allgemeines Ansehen und Wohlwollen. Gleichzeitig gewann für ihn politisches Engagement immer mehr an Bedeutung. In der Folgezeit schloss er sich der Kommunistischen Partei Italiens (KPI) an. Drei seiner Schüler bezichtigten ihn unsittlicher Handlungen. Die Beschuldigungen erwiesen sich als falsch. Das Bekanntwerden und die öffentliche Diskussion seiner Homosexualität bewirkte, dass er trotz der Solidaritätsbekundungen und Petitionen der örtlichen Bevölkerung aus seinem Lehramt entlassen wurde. Die KPI schloss ihn, verbunden mit dem Hinweis auf „die verderblichen Einflüsse gewisser ideologischer und philosophischer Strömungen der diversen Gide, Sartre und anderer dekadenter Poeten und Literaten, die sich als Progressisten gebärden wollen, in Wirklichkeit aber die schändlichsten Seiten der bürgerlichen Verkommenheit auf sich vereinen“, aus ihren Reihen aus. Da Pasolini ohne seine Lehrerstelle keine ökonomische Lebensgrundlage mehr besaß, ging er 1950 mit seiner Mutter nach Rom.
Nach anfänglicher Erwerbslosigkeit und mit erheblicher Sorge um den sozialen Statusverlust seiner Mutter gelang es Pasolini, zunächst durch gering vergütete Lehrtätigkeiten und erste freiberufliche schriftstellerische Arbeiten (u. a. Mitarbeit an Drehbüchern für Luis Trenker, Mauro Bolognini und Federico Fellini), in Rom Fuß zu fassen. Erste Kontakte mit Intellektuellen und Künstlern (u. a. zu Laura Betti und Alberto Moravia) bahnten sich an.
Daneben fühlte sich Pasolini aber stets auch zum Milieu der römischen Vorstädte (borgate) hingezogen. Wie zuvor schon in der bäuerlich geprägten Gesellschaft des Friauls, entdeckte er in den borgate eigenständige kulturelle Traditionen und Wertvorstellungen, die sich von den kleinbürgerlichen Vorstellungen seines eigenen Umfeldes deutlich unterschieden. Für diese einfachen Leute in ihren wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen empfand er eine tiefe Sympathie, mit ihnen fühlte er sich wohl. Er entwickelte ein engagiertes Interesse am Aufzeigen und der Änderung der sozialen Missstände.
Sein Romandebüt Ragazzi di Vita (1955) ist denn auch in diesem Milieu angesiedelt. Pasolini verwandte darin eine für das Italien der 50er Jahre ungeheuer realistische, ja radikale Sprache, eine Art „Slang von realistischer Unmittelbarkeit“. Mit Ragazzi di Vita schilderte er nicht nur das vitale, raue, teils kleinkriminelle Leben der Jugendlichen in den Vorstädten, er idealisierte und überhöhte dieses Leben. Er setzte den ragazzi di vita ein Denkmal, zugleich beleuchtete Pasolini die (bürgerliche) Doppelmoral der italienischen Nachkriegsgesellschaft. Neben Anerkennung trug ihm der Roman auch scharfe Kritik aus Politik, Kirche und Gesellschaft sowie mehrere Gerichtsverfahren ein.
Eine Variation der literarisch verarbeiteten sozialkritischen Analysen jugendlicher Lebenswelten in den römischen Vorstädten legte Pasolini mit seinem Roman Una vita violenta (1959) vor. Mittlerweile verschaffte ihm seine umfangreiche schriftstellerische Tätigkeit, die auch kontinuierliche Kolumnen für linksgerichtete Zeitungen umfasste, eine schrittweise Besserung seiner finanziellen und materiellen Umstände. Pasolini strebte diese Verbesserung zugleich mit Blick auf seine Mutter und den aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Vater an.
Entdeckung des Films
In den 1960er Jahren entdeckte Pasolini mehr und mehr den Film als Medium für seine poetischen und sozialkritischen Zielsetzungen. Die angestrebte Zusammenarbeit mit der Filmgesellschaft Federico Fellinis scheiterte an dessen Ablehnung. Mit Accattone – Wer nie sein Brot mit Tränen aß (1961) und Mamma Roma (1962) lieferte Pasolini eine bedeutsame filmische Umsetzung seiner Vorstadtstudien, die ihm zum Teil internationales Lob der Filmkritik einbrachte. In den Filmen setzte er sich besonders mit den Missständen der italienischen Gesellschaft, mit subtil faschistoiden Strukturen und destruktiven Mechanismen in autoritären Systemen im Allgemeinen sowie mit den Unmöglich-/Möglichkeiten zwischenmenschlicher Beziehungen auseinander. Seine Charaktere sind häufig sozial ausgegrenzt und rebellisch. Durch die Sujets, die technische Ausführung und den Einsatz von Laiendarstellern aus dem dargestellten Milieu erscheinen seine frühen Filme als ein (höchst selbstständiger) Beitrag zum italienischen Neorealismus. Seine Figuren changieren zwischen Profanität und Transzendentalität, bewusst inszeniert Pasolini diesen Zwiespalt. So wird Ettore Garofano, der Hauptdarsteller von Mamma Roma, am Ende durch eine wiederholende Montage und raffinierte Lichtführung zum Christus überhöht. In Das 1. Evangelium – Matthäus (1964) ist Jesus ein Heiliger, aber eben auch eine subproletarische Figur. Mit diesem Film setzt ein langsamer Wandel in Pasolinis filmischem Werk ein.
Ab Ende der sechziger Jahre behandelt er nicht mehr Geschichten des Subproletariats, sondern auch großbürgerliche und adlige Charaktere. Obwohl Pasolini mehrfach betont, dass er das Bürgertum derart hasse, dass er sich künstlerisch nicht mit ihm befassen wolle, entsteht 1968 der Film Teorema – Geometrie der Liebe, über eine bürgerlichen Familie, die nach dem Besuch eines charismatischen Gastes auseinanderbricht. Zudem befasst er sich mit Mythen und Legenden des abendländischen, aber auch des arabischen Kulturraumes: Edipo Re – Bett der Gewalt (1968), Medea (1969/1970) und „Trilogie des Lebens“, bestehend aus Decameron (1970), Pasolinis tolldreiste Geschichten (1972) und Erotische Geschichten aus 1001 Nacht (1974).
Pasolinis letzter Spielfilm entstand in seinem Todesjahr 1975: Die 120 Tage von Sodom verlagert die Handlung von de Sades gleichnamigem Roman aus dem Frankreich des 18. Jahrhunderts in die faschistische Republik von Salò am Ende des 2. Weltkriegs. Wegen der expliziten Darstellung sadistischer Gewalt zählt das Werk zu den umstrittensten der Filmgeschichte und ist bis heute in vielen Ländern verboten.
In seinem umfangreichen publizistischen Werk analysierte und problematisierte Pier Paolo Pasolini den Niedergang der sozialen und politischen Strukturen und Institutionen, wie er ihn in der italienischen Gesellschaft der sechziger und siebziger Jahre beobachten konnte. Hauptmerkmal dieses Verfallsprozesses sei das Verschwinden der Kultur des Volkes als Grundlage des gesellschaftlichen Fortschritts und das davon induzierte Fehlen von Werten und Inhalten des menschlichen Zusammenlebens. Auslöser und tragende Kraft dieses Prozesses sei eine neue Form von Faschismus, die – anders als der Faschismus der Vorkriegszeit – von den Individuen verinnerlicht werde und in der Auslöschung des Andersseins und der kulturellen Differenzen seinen Sinn finde. Seine Erscheinungsformen sind für ihn die konformistische Anpassung an das Entwicklungsmodell des neuen Kapitalismus und das Auftreten des entsprechenden kleinbürgerlichen Menschentypus als einziges nachahmenswertes Modell. Dieser Faschismus sei ein Phänomen, das alle Teile der Gesellschaft durchdringe: davon ausgespart bleibe weder die 68er-Generation noch das Subproletariat des Landes und der Großstädte.
1972, etwa zwei Jahre nach der Ermordung des italienischen Journalisten Mauro De Mauro, begann Pasolini für seinen von ihm unveröffentlicht gebliebenen Enthüllungsroman Petrolio (Erdöl) zu recherchieren und zu schreiben. Das Kapitel über den Mord an Enrico Mattei, einem italienischen Spitzenmanager des Erdölkonzerns Eni, wurde ihm später aus seinem Atelier gestohlen. Jahre später tauchte es wieder auf, als der frühere Berlusconi-Vertraute und Mafia-Angehörige Marcello Dell’Utri sich öffentlich dazu bekannte, Manuskriptteile von Petrolio gelesen zu haben.
(Quelle : wikipedia)
INHALT :
Vierzig Jahre nach seinem Tod bleibt PPP weiterhin verstörend und faszinierend aktuell. Mit dreiundzwanzig Jahren in Italien auf den Spuren dieses unklassifizierbaren Genies setzt sich Pierre Adrian persönlich, poetisch und engagiert mit Pasolini auseinander und zeigt sich dabei selber als ausgezeichneter Beobachter, engagierter Schriftsteller und reifer Denker. Dabei geht es von PPPs Anfängen in Friaul nach Rom…, im Kontakt mit den gelesenen und gesehenen Werken des Autors, im Dialog mit Menschen auf der Reise und eigenen Fragen und Ahnungen. So ist dieses Buch Reisebericht, Schilderung, und sicherlich eine intensive Auseinandersetzung auf sehr persönlicher Ebene mit dem Werk, nein dem « Motor », den Intuitionen von PPP. Für Pierre Adrian ist dieser ein Art « Meister », der ihn inspiriert und vorantreibt. Und uns heute noch etwas zu sagen hat !
Und jeder, der mal in die Werke PPPs hineingeschnuppert (ich las vor vielen Jahren die « Freibeuterschriften ») oder seine rebellischen Filme gesehen hat wird ihn vielleicht verstehen ! Der Mann aus einer Kleinstadt im Friaulischen war früh als Lehrer sehr beliebt, wurde dann aber aufgrund seiner Homosexualität geächtet. Gleichzeitig blieb er in manchen Gedichten und Werken dieser seiner Heimat verbunden. Es trieb ihn voran. Früh engagiert bei den Kommunisten wurde er auch doch hinausgetrieben. Seine Filme wurden kritisiert, und trafen doch den Nerv der Zeit, und sind, darüber hinaus, weiterhin brennend aktuell, ja bewahrheiten sich heute erst. Kommunist, Atheist, gibt es einerseits keine Tabus und Grenzen. Andererseits ein Mann, der die Banalität anprangert und in gewisser Weise eine « andere Sakralität » für notwendig hält. Und gerade er wird die vielleicht beste Verfilmung des Matthäus-Evangeliums umsetzen und spricht auf faszinierende und « andere » Weise von der Anziehungskraft Jesu . Übrigens ein Film, der bei allem Unverständnis in den « guten Kreisen » (der Bigotten) für PPP, Papst Johannes XXIII gewidmet ist, und tatsächlich auf der Liste des Vatikans der « besten Filme » steht.
So entzieht er sich allen Einordnungen und stellt aktuelle Fragen, als Poet, Journalist, Regisseur.
Wie Adrian hier nicht passiv absolut im Hintergrund ist, sondern sich selber quasi « engagiert », hat garnichts mit einer Zurschaustellung seiner Selbst zu tun, sondern zeigt anhand seiner Fragen und Entdeckungen durch PPP, wie dieser auch heute zu uns spricht. Das Buch lag schon zwei Jahre auf meinem SUB, und inzwischen ist das nächste erschienen (das ich mir natürlich sofort besorgen musste!). Er zeigt sich direkt in diesem seinen Erstlingswerk als echter Stern am französischen Jungschriftstellerhimmel ! A suivre...
Ein ganz tolles Buch, das mich begeistert, und aus dem man viel zitieren könnte !
AUTOR :
Pierre Adrian ist 1991 geboren und ein französischer Schriftsteller. Er wuchs im Pariser Umfeld auf. Er studierte Geschichte und Journalismus.
Amateur von Fussball und Radsport ist er auch Chronist bei « L’Equipe », der grössten franz Sportzeitschrift.
Er erhielt für dieses hier rezensierte Buch auf Anhieb zwei Preise : 2016 den Prix des Deux Magots und den Prix François-Mauriac der Académie française. Er war auch auf den shortlists des Prix Renaudot und des Décembre 2015.
Taschenbuch
Verlag: Editions des Equateurs (1. Oktober 2015)
Sprache: Französisch
ISBN-10: 2849904287
ISBN-13: 978-2849904282