Der Autor (Wikipedia): Der am 17. Mai 1962 in Hamburg als Mathias Halfpape geborene Heinz Strunk (weiteres Pseudonym: Jürgen Dose) ist ein deutscher Entertainer und Autor. Zusammen mit Jacques Palminger und Rocko Schamoni bildet er das humoristische Trio "Studio Braun". 2004 erschien sein stark autobiografisch gefärbter Roman "Fleisch ist mein Gemüse", in dem er über seine Erlebnisse als Heranwachsender mit der Showband „Tiffanys“ reflektiert und das Schicksal eines ambitionierten Musikers in einer drittklassigen Tanzkapelle mit skurrilen Milieu-Beschreibungen der norddeutschen Provinz schildert. Seitdem erschienen sieben weitere Bücher, die bis auf „Der goldene Handschuh“ zumeist autobiografisch gefärbt sind, u.a. „Die Zunge Europas“ (2008) und „Junge rettet Freund aus Teich“ (2013). Außerdem moderierte er 2003 bis 2004 die VIVA-Sendung „Fleischmann TV“ sowie die Jürgen-Dose-Show auf „Radio Fritz“, spielte an der Seite des Satiriker-Duos „Stermann & Grissemann“ 2007 in dem Spielfilm „Immer nie am Meer“ von Antonin Svoboda und 2012 in der Musik-Mockumentary „Fraktus“ von Lars Jessen, ist Mitglied der PARTEI, nicht verheiratet und hat keine Kinder.
Inhalt (nach Verlagsseite): Der schreckliche Held dieses phantastisch düsteren, grell komischen und unendlich traurigen Romans heißt Fritz Honka, ein Frauenmörder aus der untersten Unterschicht, der 1976 in einem spektakulären Prozess schaurige Berühmtheit erlangte. Honka, ein Würstchen, wie es im Buche steht, geistig und körperlich gezeichnet durch eine grausame Jugend voller Missbrauch und Gewalt, nahm seine Opfer aus der Hamburger Absturzkneipe „Zum Goldenen Handschuh“ mit.
Strunks Roman taucht tief ein in die infernalische Nachtwelt von Kiez, Kneipe, Abbruchquartier, deren Bewohnern das mitleidlose Leben alles Menschliche zu rauben droht. Mit erzählerischem Furor, historischer Genauigkeit und ungeheurem Mitgefühl zeichnet er das Bild einer Welt, in der nicht nur der Täter gerichtsnotorisch war, sondern auch alle seine unglücklichen Opfer. Immer wieder unternimmt der Roman indes Ausflüge in die oberen Etagen der Gesellschaft, zu den Angehörigen einer hanseatischen Reederdynastie mit Sitz in den Elbvororten, wo das Geld wohnt, die Menschlichkeit aber auch nicht unbedingt. Am Ende treffen sich Arm und Reich in der Vierundzwanzigstundenkaschemme am Hamburger Berg, zwischen Alkohol, Sex, Elend und Verbrechen: Menschen allesamt, bis zur letzten Stunde geschlagen mit dem Wunsch nach Glück.
Der Roman "Der goldene Handschuh" von Heinz Strunk (auf dem Umschlag wird "golden" kleingeschrieben) erschien 2016 im Rowohlt Verlag. Eingeleitet wird der Roman von einem längeren Zitat des Serienmörders Jürgen Bartsch. Die hartgebundene Ausgabe umfasst 254 Seiten. Den Umschlag ziert eine Zeichnung des belgischen Künstlers Dave Decat.
"Der goldene Handschuh" ist ein drastischer Roman mit Szenen aus dem Leben des Hamburger Serienmörders Fritz Honka, wobei das Augenmerk nicht auf der Darstellung diverser Tötungsszenarien liegt, sondern auf dem absolut trostlosen Alltag eines asozialen, völlig vom Leben und der Gesellschaft abgehängten Alkoholikers. Drastisch wird der Roman nicht durch Blut (tatsächlich kommen Mordszenen eigentlich erst zum Ende hin vor), sondern durch Pisse und Verwahrlosung, durch eine sehr explizite Fäkalsprache und den widerlichen Umgang der Menschen untereinander: Jede Gemeinschaft ist ein Witz, Sexualität ein Mittel, um einander fertig zu machen. Ein Roman voller Menschen, die leiden und andere leiden lassen.
Der Roman verzichtet völlig auf jede Art von Identifikationsfiguren, schaut eher zu bei dem Treiben der Gestalten. Er musste mich auch viele Seiten lang erst davon überzeugen, dass die Figuren nicht nur vorgeführt werden wie Tiere in einem Zoo, dass er nicht nur einen geilen Blick in eine Parallelwelt riskieren will, der einen anrüchig schaudern und erregt zurücklässt. Ganz habe ich den Gedanken auch bis zum Ende nicht verwinden können. Was mich dennoch für den Roman einnimmt, ist die Einladung, Mitgefühl für die Figuren zu empfinden; nicht gesteuert mittels billiger melodramatischer Tricks, sondern einfach durch das Vor-den-Latz-knallen – der Dreck, das Gebrülle, das besinnungslose Gesaufe, die unmöglichen Zecher in der Absturzkneipe mit ihren unmöglichen Ansichten, die nur durch Lautstärke und Prügel eine Lebendigkeit vorgeben, die die aus Erfahrung stillen, beschädigten und geprügelten Gestalten in den Ecken, zusammengesunken in dreckigen Kneipenklos oder eingesperrt in vermüllten Bruchbuden längst nicht mehr aufbringen: Sterbliche Überreste.
Was den Roman stark macht, sind die der Wirklichkeit abgelauschten Dialoge, auch wenn man die Dinge, die gesagt werden, und die Weltanschauung, die oft dahinter steckt, eigentlich nicht kennen will. In ihnen veräußern sich die Menschen, die so sind, wie sie eben sind. Warum sie so sind, ist eher nebensächlich.
Das Schöne an dem Roman sind nicht eine hochliterarische Sprache oder ein besonders cleverer Aufbau, sondern zunächst, dass völlig auf jedes kriminalliterarische oder psychologische Klischee verzichtet wird. Es gibt keine Erlösung durch die Strafverfolgung, keine Einfühlung in die Psyche der Hauptfigur oder Erklärung seines Tuns, nichts, was einen Ausweg oder Hoffnung versprechen könnte. Hier werden keine Dämonen gebannt.
Interessant ist auch die Einarbeitung einer Parallelgeschichte rund um drei Generationen einer bald bankrotten Reederfamilie. Auf diese Weise verhindert es der Autor, jede Degeneration, jeden Menschenhass und jeden Hang zum Asozialen einer bestimmten Gesellschaftsschicht zuzuschreiben. Es sind nicht „die da unten“, die die Umstände ihres Lebens in die Asozialität und in die Ablehnung jedes menschlich Schönen treiben. Nein, für unterschiedliche Menschenschläge gibt es unterschiedliche Ursachen, zu verrohen und abzustürzen. Jeder, ob arm oder reich, hat seine eigene Gewaltphantasie. "Der Schmerz, den du fühlst, ist das Geld, das dir fehlt", scheint dabei auf alle zuzutreffen. Und alle Figuren müssen höllisch aufpassen, nicht die Kontrolle über das ihnen entgleitende Leben zu verlieren. Etlichen gelingt es in diesem Roman ja leider nicht ...
Schön sind vor allem die vielen Kleinigkeiten an Beschreibungen, die eben nicht durch die ausführliche Archivrecherche, die der Autor im Vorfeld betrieben hat, in den Roman gekommen sind, sondern die auf der Menschenkenntnis und der Einfühlung des Autors in die abgehängten Gestalten des Buches basieren: Wie sich Honka, der sprachlich keine Leuchte ist, Sätze zurechtlegt, um sie im Gespräch mit seinem neuen Arbeitsgeber anzubringen („Sie können sich ganz auf mich verlassen“), wie sich über die unterschiedliche Street Credibility von Spitznamen ausgelassen wird (Honka wird "Fiete" genannt, ein Spitzname zweiter Klasse, gleichwohl ist er ganz froh, klingt "Fiete" doch irgendwie pfiffig und sympathisch; besser sind allerdings Doppelnamen wie Bulgaren-Harry oder Soldaten-Norbert), wie der hässliche und erniedrigte Teenagersohn der Reederfamilie die ungewohnt freundschaftlichen Gefühle einer attraktiven Mitschülerin gedanklich auslegt, wie Menschen, denen es richtig schlecht geht, sich andere suchen, auf die sie herabschauen und die sie herumschubsen können. Das geht soweit, dass der sadistische Honka (Sadist, und doch ein armes Würstchen) aufgegabelte Alkoholikerinnen, die ohne Bleibe und Auskommen sind, bei sich wohnen und „Verträge“ unterschreiben lässt, sie haben es noch nie so gut gehabt wie in seiner Obhut - und werden, solange sie bei ihm sind, darauf verzichten eine eigene Meinung zu haben.
Als schöne, fast erschreckende Herausforderung an den Leser empfand ich es auch, dass etliche Gedanken Honkas, dieser niederträchtigen und unmenschlichen Type, die er über seine Mitmenschen und das menschliche Miteinander äußert, vernünftig und wahrhaftig scheinen. Findet man Honka seitenlang nur widerlich, entwickelt er sich in anderen Kapiteln zu einer verlässlichen, schon fast sympathischen Figur, einer Stimme der Vernunft, mit einer zugeschütteten Menschlichkeit samt Hoffnungen und Ambitionen, die über das Überstehen eines Tages hinausgehen, dann, wenn er sich erträumt, seinem desaströsen Leben und seinem Umfeld zu entfliehen.
Auch wenn der Roman tatsächlich eine ziemliche Zumutung darstellt (wenn man so will: eine Kreuzung aus Houellebecq, Hubert Fichte und Bret Easton Ellis, Fips Asmussen und "Henry - Portrait of a Serial Killer"), und es etwas dauerte, mich für ihn einzunehmen, ist er am Ende dann doch eine bemerkenswerte Schilderung der Enge menschlicher Sehnsüchte und der Grenzen der Menschlichkeit.
Obwohl ich etwas wacklig vier Sterne vergebe, kann ich keine allgemeine Empfehlung aussprechen, da sich den Roman nur solche Leser vornehmen sollten, die mit Unflat, Kraftausdrücken, Gewalt und Verrohung keine Probleme haben.