Kapitel 16 bis Ende

  • Zitat

    Original von Rosalita Nachdem schon öfter der Vergleich mit dem Steppenwolf erwähnt wurde - ich sehe da schon sehr große Unterschiede.
    Ja, beide sind Außenseiter. Doch Hans Schnier hat ja eine Perspektive, bzw. hatte er eine. Er weiß, was er will, aber er ist seinen Prinzipien treu. Und gerade das wird ihm zum Verhängnis. Er will seine Frau, das ist seine Perspektive. Und er ist bei Gott nicht der Erste, der an einer gescheiterten Beziehung selber scheitert.


    Harry Haller hingegen wusste ja eigentlich nicht, was er will. Er probierte alles aus, hatte aber überhaupt keine Perspektive und war eigentlich nur auf der Suche nach einer. Er ist für mich viel labiler, viel passiver als Hans Schnier.


    Jetzt darf ich mich mal bedanken bei dir, denn vor lauter Vorurteilen sah ich den Wald nicht mehr :rolleyes:


    Danke!


    Ja, da hast du vollkommen Recht, er bleibt sich treu und geht konsequent seinen Weg.

  • Nur noch zwei Kapitel. Trotzdem an dieser Stelle eine Zwischenbemerkung. Die Geschwindigkit der Handlung nimmt jetzt rasant zu. Wenn ich jetzt keine Pause mache, werde ich schnell und oberflächlich bis zum Ende durchlesen. Das hat das Buch nicht verdient.


    Zitat

    Rosalita schrieb:
    Ich habe vielleicht einen anderen Zugang zum Buch. Wenn ich mir eure Beweggründe so lese, dann glaube ich, dass ich mit mehr Distanz zum Buch lese bzw. mit mehr Distanz zu den Personen. Auch wenn mir in einem Buch Leute unsympathisch sind, wenn ich mir denke, "ach, mit dem könnte ich nie und nimmer zusammenleben, den würd ich ja überhaupt nicht aushalten", dann kann mir sehr oft das Buch sehr wohl gefallen.


    Darauf wollte ich noch antworten:
    bei "Sturmhöhe" ging es mir wie bei diesem Buch:
    ich verstehe die Wichtgkeit des Buches für seine Zeit und weiß das sprachliche und stilistische Können der Verfaser zu schätzen, aber die Handlung selbst spricht mich nicht genug an, um sie für mich zu etwas "Besonderem" zu machen.


    Hans ist ein Träumer, der viele Wahrheiten findet. Er hat so recht damit, wenn er sagt, man könne Augenblicke nicht wiederholen und mitteilen, da solche Bestrebungen "Selbstmord" seien - existierende Erwartungen werden unweigerlich enttäuscht.
    Und obwohl er theoretisch so klug ist, durchlebt er freiwillig immer wieder seine private Hölle voller Erinnerungen.


    So, auf zum Endpurt. :D

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • Hallo Zusammen


    Ich habe mich eben längere Zeit mit Rosalita im Chat unterhalten. Dieses Gefühl: Herrgotthimmel!, bleibt bestehen und ist sehr ausgeprägt.


    Allerdings hat dieses Werk einige sehr gute Aspekte bei mir hinterlassen, dieser ganz scharfsinnige, spitzfindige Humor oder Ironie, der mich teilweise sehr zum Lachen gebracht hat. Z. B. die Telefongespräche mit dem Mönch. :lol:
    Überhaupt dieser fast schon bösartige Umgang zu seiner Umwelt. Die Genauigkeit mit der Böll diese wohl Scheinheilige Welt betrachtet.


    Böll schreibt in seinem Nachwort 1985, dass dieses Werk für die Nachkommen, die ab der 60 er Jahre geboren wurden, eigentlich ja schon ein historischer Roman ist. So schnell-lebig ist das Leben geworden.


    Also, so richtig warm geworden bin ich mit dem Buch nicht, doch das liegt eher an mir als an Böll. (Hi, Rosalita, bei Döblin würde ich das andersherum formulieren :wink: [das lag an Döblin, nicht an mir!])

  • FERTIG!!


    Bis zum Schluss bleibt es spannend, wie es mit Hans Schnier weitergeht.
    Er sitzt zum Schluss als Bettler am Bahnhof und spielt dort auf seiner "Guitarre" (schrieb man das damals wohl echt so?) kritische Lieder, seine Zukunftsaussichten sind düster, er ist von der Welt enttäuscht und er ist innerlich tot.


    Mir blieben folgende Fragen:
    Ist das ein Dauerzustand? Seine Vorstellungen davon, wie sein Leben aussehen wird: Süppchen bei Sabine Emonds, betteln am Bahnhof, gelegentliche Zuwendungen vom Opa, Edgar Wieneken und "Peanuts" von Leo und seinen Eltern?
    Oder wird er eine Möglichkeit finden, mit etwas mehr Würde durch das Leben zu gehen? Eine andere Option: der Selbstmord?
    Mich spricht das offene Ende sehr an. Es passt auch zu Hans' Wesen: das Leben für den Augenblick.


    Ist euch aufgefallen, dass sowohl Leo als auch Hans keinerlei Beziehung zu Geld haben? Leo ist fromm, wendet sich vom weltlichen Leben ab und kommt mit 6,70 Mark für zwei Jahre aus. Hans hingegen musste sich nie um die Verwaltung seines Geldes kümmern. Von den Eltern kleingehalten, konnte er diesen Umgang wohl auch nie lernen. Während seines Clownengagements verwaltete Marie die Finanzen. Und als er nur noch eine Mark hat, lässt er sie aus dem Fenster fallen, und schaut ihr beim Fallen zu. Erst später kommt die Reue, die aber nicht stark genug ist, um sich die Mark wiederzubeschaffen.
    So treffen beide ihre Wahl sich von dem Familienvermächtnis zu befreien.


    Leos Glaube an die Regeln seines Konvents haben mich geschockt. Der liebe, süße Leo, der sich immer um andere gesorgt und gekümmert hat, ist innerhalb kurzer Zeit zu einem regelhörigen Wesen geworden, das seine menschliche Liebenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft abgelegt hat, um "ordentlich" zu leben. Was für ein Schlag für Hans! Spätestens jetzt muss er erkennen, dass beide Geschwister für ihn gestorben sind. :cry:


    Die politische und kirchliche Kritik ist sehr ausgeprägt im Buch. Zurecht! Die 50er und 60er-Jahre in Deutschland müssen schon schlimm gewesen sein. Eine Zeit in der Rechtschaffenheit, Ehrbarkeit und harte Arbeit groß geschrieben wurden, um auf diese Weise die böse Vergangenheit zu verdecken und das Wühlen in derselben zu vermeiden muss grausig gewesen sein. Es ist auch heute noch wichtig, sich vor Augen zuführen, dass die Entnazifizierung Deutschlands kein klarer Schnitt war, indem die Guten auch wirklich erkannt und die Bösen bestraft wurden.
    Wahrscheinlich könnte man lebende Vorbilder für einzelne Charaktere erkennen, wenn man sich mit der damaligen Geschichte besser auskennen würde... zu dem immer existierenden Generationenkonflikt zwischen Eltern und Kind kam in der damaligen Zeit eine zusätzliche Reibungsstelle dazu, die wir uns heutzutage nicht mehr vorstellen können: die Schuldfrage der Eltern und Großeltern während des Nationalsozialismus. Eine Frage, die gerne unter den Tisch gekehrt wurde. Jeder, der Skrupel hatte und diese publik machte und beschuldigte, musste unweigerlich auffallen.
    Gut, dass es diese mutigen Menschen gab!


    Fazit:
    Ich bin froh, mich mit dem Buch auseinandergesetzt zu haben. Sehr positiv auch die Leserunde mit euch beiden. Ich fand es sehr beruhigend, es nicht allein zu lesen und euch meine Fragen hier stellen zu können.
    Es ist sicher nicht mein letztes Buch von Henirich Böll, aber den Sprung in meine TopFifty schafft es nicht.
    Spprachlich fand ich es übrigens hervorragend. Abgesehen von den Fremdworten, die in Bezug auf den Katholizismus fallen, ist das Buch in einer allgemeinverständlichen Ausdrucksweise geschrieben. Innerer Monolog und direkte Rede wechseln sich kontinuierlich ab. Auch die Sprünge zwischen Gegenwart und Erinnerung sind gut nachzuvollziehen.
    Dass ich mit dem Buch nicht so richtig warm wurde liegt sicher daran, dass es in stark in seiner Entstehungszeit eingebunden ist und die Welt sich inzwischen weiterentwickelt hat. Es kann heutzutage nicht mehr die gleiche Beseutung haben wie damals. Die einzelnen Parteien gleichen sich einander zu stark an, die Religionen sind sehr viel offener geworden und es ist inzwischen akzeptiert, ohne Trauschein zu leben.
    "Ansichten eines Clowns" ist ein Stück Zeitgeschichte.


    Puh, das ist aber ein langer Eintrag geworden. Ich bitte etwaige Rechtschreib. und Grammatikfehler zu verzeihen. :silent:

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • Hallo ihr beiden!


    Ich bin auch heute fertiggeworden und will noch ein paar Gedanken anbringen.


    Beim Gespräch mit dem Vater kommt ja dann doch ein bisschen ans Tageslicht, woher Hans' Haltung rührt. Er hat solch eine Verlogeneheit, eine Heuchelei und Scheinheiligkeit in seinem Elternhaus erlebt, dass er wohl genug davon hat, bis an sein Lebensende. Ihm fehlte einfach die "ganz normale Kindheit", alles war vernünftig, war organisiert, der Schein wurde gewahrt.


    Für mich ist seine Person eine sehr zwiespältige. Einerseits hat er seine ganz eigene Vorstellung von Moral und lebt diese in aller Konsequenz (und verlangt sie auch von seinen Mitmenschen) andererseits hintergeht er auch diese Moral, wenn er es für richtig hält (er "stiehlt" bei seinen Eltern ganz offenkundig Zigaretten, etc.). Dieses Verhalten erscheint sehr egozentrisch, aber trotzdem würde ich Hans nicht als Egoisten bezeichnen.


    Für mich ist er einer, der irgendwo in der Pubertät stecken geblieben ist. Er ist nie "erwachsen geworden", wie es so schön heißt. Auslösendes Moment ist wohl der Tod seiner geliebten Schwester Henriette, wo ihm wohl zum ersten Mal so richtig klar wurde, mit welcher Familie er es da zu tun hat. Den Verlust der Schwester hat er nie verarbeitet und nie verwunden.


    Aufgefallen ist mir auch, dass Hans jene Menschen, die er mag, absolut gut und verständnisvoll behandelt, und jene, die ihm zuwider sind, zu denen ist er richtiggehend sadistisch und verbal grausam. Er zeigt auch ein sehr soziales Herz und Gewissen, hier möchte ich nur die Stelle mit der Witwe des Generals erwähnen.


    Ja, und dann ist da noch Marie. Ich glaube, dass sie es gut gehabt hätte bei ihm. Es war ja nicht so, dass er ihr den Katholizismus verbot - im Gegenteil, aus Liebe zu ihr respektierte er ihre aktive Glaubensausübung (er weckte sie sogar, damit sie pünktlich zur Messe kommt). Und ich habe auch den Eindruck, dass sie sich doch sehr wohl bei ihm gefühlt hat und ihr auch die Herumreiserei nichts ausgemacht hat. Sie waren sich doch so einig in allen Belangen, ein so harmonisches Paar und ich denke, auch ideell auf einer Ebene, schade dass dies an einem Stück Papier scheiterte.


    Ich habe trotzdem den Eindruck, dass sich Marie von ihren "Kirchenfreunden" zu sehr unter Druck gefühlt hat, dass sie sich doch bemüßigt gefühlt hat, sich den katholischen Regeln unterzuordnen und deshalb Hans verlassen hat. Sie verschwand sozusagen über Nacht - hat alles mitgenommen und sich nie wieder bei ihm gemeldet. Das sieht mir schon ein bisschen nach Flucht aus.


    Das Ende finde ich, wie schon Fezzig erwähnte, ebenfalls recht gut. Es passt zu Hans, und er wird schon wieder irgendeinen Weg finden.


    Fazit: Für mich ein ganz wunderbares Buch (bei mir ist es in den Top 5), das ich immer wieder gerne lese. Wunderbare Erzähltechnik (das Ganze "spielt" ja an einem Tag, durchwoben mit den vielen Erinnerungen bzw. Zukunftsvisionen), wunderbarer Stil, Humor, einfach toll!


    diesen Satz möchte ich auch noch hervorheben:


    Zitat

    Merkwürdigerweise mag ich die, von deren Art ich bin: die Menschen

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Endeindruck:



    Zunächst würde ich mal sagen, liegt die Liebesbeziehung zwischen Hans und Marie im Mittelpunkt. Doch an dieser ist ja schon etwas faul. Sie geht mit einem anderen Händchen, und lässt im nächsten Augenblick Hans eintreten. Als er bei ihr ankommt, ist sie weder erfreut oder erschrocken, sondern sie nimmt sich seiner an ohne großartige Gefühle.
    Sie ist katholisch aufgewachsen, und soll nun eine Ungläubige werden. Und obwohl Hans (natürlich durch Bölls Handschrift) das sehr gefühlsmäßig schildert, später dann, wie sie sich immer mehr und mehr von ihm zurückzieht, man kann die Trauer von Marie durchaus spüren, wenngleich sie nur von Hans beschrieben wird. Der Leser vernimmt es, Hans nicht.


    Dann die Frage, warum bekommen sie keine Kinder, obwohl sie sich diese so sehr wünschen?
    War die zweite Fehlgeburt wirklich eine, oder hat Marie aus Scham ihr Kind abgetrieben. Hans weiß ja von Frauendingen nichts. Mir kam es so vor. Auch die Frage, ein Kind ohne Taufe, ein Heidenkind, ich glaube, diesen Gedanken konnte Marie nicht ertragen.


    Also, so alles in Allem, führten diese Zwei eine schlechte Beziehung, nur Hans hat davon nichts mitbekommen. Das sie zum Schluss das Weite sucht, ist mir verständlich gewesen. Sie waren zu verschieden.


    Dann habe ich noch eine Frage zu Hans.


    Er hatte ja im Grunde genommen nur „Feinde“, oder Idioten, Scheinheilige, und Spießer als Kontaktpersonen, Freunde hatte er keine. Und somit kommen ich zu einem Punkt aus meinen vorigen Kommentaren. Warum läuft er überall gegen an, und ändert doch nichts (Selbst der eine Auftritt, der ja viel versprechend war, lässt er wegen dieser alten Frau fallen.) Er verkleidet sich als Clown, trägt also selber das zweite Gesicht, und rennt den ganzen Roman über durch, ich bin schon geneigt zu sagen, gegen die Pumpe, aber es soll die Scheinheiligkeit sein. Ich bekomme davon Bauchweh.
    So, und nun denke ich mal, dass vielleicht der Tod von Henriette dies alles bewirkt hat. Darüber haben wir noch gar nicht gesprochen, aber ich denke, dass das ein sehr wichtiger Faktor ist. Nicht der Geiz, oder sein armer Vater, der unterjochte Ehemann. Die „scheinheilige“ Mutter, die die Tochter in den Tod bringt, und später diese Scheinheiligen Komitees und dergleichen veranstaltet, das ist es, warum Hans später alles Scheinheilige, die Doppelmoral angeht, ununterbrochen, bis ins Kleinste hinein.


    Puh, das war jetzt aber viel, ich hoffe, es ist alles verständlich, manchmal schreibe ich ja so verdreht :lol:

  • Ich habe gestern Abend noch lange im Bett gelegen und überlegt.


    Es macht für mich mittlerweile wirklich Sinn, der Clown mit dem zweiten Gesicht, der der ganzen Welt auch nur etwas vorspielt und quasi "scheinheilig" ist. Hans ist eigentlich mit dem Tod der Schwester "gestorben", er hat das nie verarbeitet.


    Der Roman basiert für mich auf zwei Ebenen: Die Kritik zu allem, Gesellschaft, Politik, Katholiken usw., und eine viel tiefere Ebene, die Psychologie. Was treibt Hans zu all den Dingen. Und Erstere wird m. M. nach viel zu hoch bewertet, und verbirgt Dinge hinter der Maske.


    Ja, mittlerweile gefällt mir das Werk auch sehr gut :thumleft:
    Denn ich kann jetzt etwas damit anfangen :thumright:

  • Zitat

    Original von Rosalita


    Für mich ist er einer, der irgendwo in der Pubertät stecken geblieben ist. Er ist nie "erwachsen geworden", wie es so schön heißt.


    Den Eindruck hatte ich auch. Es gab ein Kapitel, in dem das sehr klar rüberkam. Er spricht da über den Feierabend und die Tatsache, dass Kinder keinen Feierabend brauchen. Erst wenn sie beginnen, sich den Ordnungsregeln der Erwachsenen anzupassen, dann wird es für sie notwendig, sich von den Strapazen des Alltags zu erholen. Hier ist die Kritik an der Ordnung mit den Händen zu greifen - Kinder leben naturgemäß und sobald sie erwachsen werden, wenden sie sich von ihren Instinkten ab.
    Er möchte dagegen ankämpfen, stößt dabei aber an seine Grenzen. Er steht zwischen den Stühlen. Einerseits wünscht er sich ebenfalls einen "Feierabend", andererseits klingt viel Wehmut beim Gedanken an eine glückliche Kindheit (die er nie hatte) durch.


    Im gleichen Kapitel geht es auch um Kinderfilme und seine Vorliebe für diese. Ich weiß den genauen Wortlaut nicht mehr, aber da ist mir aufgefallen, wie sehr er sich eine heile Welt wünscht. Er weiß nur nicht, wie er sie erlangen kann. Die Sehnsucht nach einer Kindheit steht hier im Vordergrund.


    Im 4. Kapitel sagt er:

    Zitat


    Seit dem Tod meiner Schwester Henriette existieren meine Eltern für mich nicht mehr als solche.


    Ab da an ist er allein auf der Welt, ohne erwachsene Bezugsperson oder ein Vorbild, an dem er sich orientieren kann. Kein Wunder, dass er immer in der Schwebe bleibt. Er weiß einfach nicht, wie man erwachsen wird, ohne sich selbst zu verlieren. So bleibt er passiv und während des Wartens passieren auch ihm widersprüchliche Dinge, die mit seinem Ideal nicht zusammenpassen.


    Zitat

    Heidi schrieb:
    Der Roman basiert für mich auf zwei Ebenen: Die Kritik zu allem, Gesellschaft, Politik, Katholiken usw., und eine viel tiefere Ebene, die Psychologie. Was treibt Hans zu all den Dingen. Und Erstere wird m. M. nach viel zu hoch bewertet, und verbirgt Dinge hinter der Maske.


    Genau das Gefühl hatte ich auch!
    Mir schien es so, als ob die Kritiker der damaligen Zeit nur den Anfang des Romans gelesen haben, davon entrüstet und schockiert waren und danach einfach das Buch abgebrochen haben und ein Pauschalurteil fällten. Oder aber nach wenigen Kapiteln so voreingenommen waren, dass ihnen ein objektives Lesen nicht mehr möglich war!
    Obwohl auch im zweiten Teil des Buch es noch an der Kirche Kritik geübt wird, ist sie doch nicht mehr so harsch. Und die "Katholiken" werden nicht mehr so häufig erwähnt. Seine Kritik ist breiter gestreut, ohne die "Katholiken" kontinuierlich als Beispiel anzuführen. Aber wahrscheinlich hatten da schon viele abgeschaltet und sich mit einer oberflächlichen Bewertung zufrieden gegeben.

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • Hallo ihr Beiden!


    :dance: ja, genau das liebe ich an den Leserunden, und v.a. an den Klassiker-Leserunden. Es gibt soviel zu diskutieren und man wird dann gegenseitig auf neue Gedanken gebracht. Das finde ich einfach schön!! :thumright:


    Ich komme auch viel klarer zu dem Schluss, dass der Tod von Henriette eine Schlüsselszene in Hans' Leben ist. Er lässt oft durchblicken, dass sie auf einer Wellenlänge waren, dass sie sich recht gut miteinander verstanden haben. Das macht den Verlust noch schlimmer.


    Ich stimme mit euch überein, dass der Beruf des Clowns für ihn eine Maske, eine Flucht ist, und v.a., dass der seelische Zustand von Hans eine sehr bedeutende Komponente in diesem Buch ist.


    An mehreren Stellen sagt er über sich, er sei kein Realist, genauso wie auch sein Vater kein Realist sei.
    Und irgendwie habe ich immer so das Gefühl, er fühlt doch ganz im Innersten irgendwie die "Sicherheit" im Rücken, und kann sich so ziemlich alles erlauben. Hier bekommt er ein paar Groschen, dort ein Süppchen, und zur Not hat er ja die "Visitenkarte" - das Braunkohle-Briketts mit dem Namen Schnier drauf. Das klingt für mich ein bisschen nach "der Papa wirds schon richten", obwohl er ja an sich keine Hilfe annehmen will. Aber er hat vielleicht im Hinterkopf doch diese Tatsache, dass er - bevor er wirklich vor die Hunde geht - zumindest aus Pflichtgefühl der Gesellschaft gegenüber von den wohlhabenden Eltern irgendwas bekommt.


    Hier habe ich noch einen Interviewtext mit Heinrich Böll gefunden, er erzählt von der Entstehungsgeschichte des Romans:


    Zitat

    Im Gespräch: Böll mit Heinz Ludwig Arnold.
    Edition Text + Kritik, München 1971, S. 38f.


    Die Geschichte dieses Buches kann ich Ihnen ganz einfach erklären. Ich habe einige Zeit mit Freunden eine Zeitschrift gemacht, die hieß Labyrinth. Sie kennen die Geschichte vom Labyrinth, die Theseus -Ariadne -Geschichte. Wir mußten die Geschichte drangeben, nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch weil wir nicht wußten: wie weiter; und dann schrieb jeder der Herausgeber, es waren vier, eine kleine Erklärung des Scheiterns; die war nicht nominiert, wir schrieben alle untereinander - und meine Erklärung war eine Interpretation der Theseus-Sage, und diese Interpretation war der Plot für den Roman. Es ist eigentlich die Geschichte von Theseus und Ariadne: Theseus im Labyrinth, Ariadne schneidet den Faden ab und da sitzt er da. Und das Labyrinth, und das kann ich in diesem Fall wirklich sagen, weil ich den Zusammenhang, den Kontext kenne, ist der politische deutsche Katholizismus ...


    . Für mich war das der Einstieg in den Roman, es war eigentlich die Fortsetzung der Zeitschrift als Roman, ganz einfach ...
    Ich glaube, daß dieses Buch für sehr viele Katholiken eine große Bedeutung gehabt hat, politisch, gesellschaftspolitisch, bewußtseinsmäßig, seine Schwächen vorausgesetzt, die es tatsächlich hat, nicht nur seine gelegentliche Sentimentalität, sondern die Konstruktion ist schwach. Ein solches Buch kann man natürlich in der Bundesrepublik fast nur politisch sehen, und auch moralisch.


    Heidi: der vorletzte Satz in deinem letzten Posting, der freut mich, wirklich!! :dance:
    denn am Anfang hatte ich schon Befürchtungen .....

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Hi, Rosalita


    Weiß du was, ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass Böll dieses "Herrgotthimmel" bewusst gezimmert hat. Denn erst wenn man sich über Hans aufregt, und nach der Frage >Warum< sucht, kommt man auf diesen Schlüssel.


    Wenn man sich nicht ärgert, bleibt man an der Gesellschaftskritik kleben :-,


    Und deswegen gefällts mir jetzt :cheers:,
    weil ich den Zugang gefunden habe :P

  • Zitat

    ja, genau das liebe ich an den Leserunden, und v.a. an den Klassiker-Leserunden. Es gibt soviel zu diskutieren und man wird dann gegenseitig auf neue Gedanken gebracht. Das finde ich einfach schön!!


    ... ich wollte hier nur nochmal abschließend sagen, wie schön ich die Leserunde mit euch beiden fand! Obwohl wir nur zu dritt waren, haben wir doch viel gesagt!


    Es hat mir wirklich gut gefallen! :flower:

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +