Wie konzipiere ich eine Figur, in die sich die Leser verlieben?

  • Marie, bitte sage nicht, dass die Kisses in meine Richtung flogen. Ich sehe mich nicht als Mann, sondern als männlicher Mensch.


    Hätte ich schreiben sollen:Das Ego beider Geschlechter wollen ja umworben werden.



    Klischees entspringen den geistigen Keimen und werden von emotionalen Pflegern gegossen.


    Sorry,- ich liebe die blumige Sprache. ;-)



    Ich nehme an, meine anderen Gedankengänge bleiben ungepflegt. Tja, aber mit einer klischeehaften Floskel treffe ich den Nerv der „lesenden Persönlichkeit“. Selbst ist das Ego, der Mann, die Frau und das Ich.



    Bitte als komischen Humor verstehen. ;-)

  • Ich versuche mal eine Antwort jenseits von „Das muss man alles individuell betrachten!“ und „Die Fragestellung ist doch nur was für Groschenromane!“:



    Was ist überhaupt „verlieben“?


    Verlieben ist nicht das Gefühl innigster Verbundenheit, das sich in einer Beziehung einstellt (das ist Liebe), es ist auch nicht die rein sexuelle Anziehung (das ist Lust). Meine Antwort ist zudem tausendmal kälter und negativer besetzt als das Gefühl es vermuten ließe:



    Verlieben ist die positiv empfundene, wachsende und übertriebene persönliche Verherrlichung einer anderen Person.



    Daraus (Begründungen für die Definition spare ich mir für eine eventuelle Diskussion) ergeben sich unmittelbar die Grundanforderungen, wenn man so etwas herbeischreiben möchte:


    1.) Da es wächst, muss es als Prozess gestaltet sein.
    - Es geht also nicht von jetzt auf gleich.
    - Er darf nicht mit dem Endprodukt „Liebe“ verwechselt werden und es darf auch nicht so lange dauern, „Verliebtheit“ zu erzeugen (allerdings muss der Prozess nicht sofort eingeleitet werden).
    - Da die Leser(innen) den Prozess freiwillig mitmachen sollen, muss er sich im Gegensatz zur kalten Definition (die voll negativ besetzter Begriffe steckt) grundsätzlich gut anfühlen.


    2.) Da es sich um persönliche Verehrung handelt, muss der Protagonist etwas an sich haben, das die Zielperson sehr bewundern kann.
    -Achtung, damit etwas bewundert werden kann, muss es nicht nur als positiv gelten. Es muss auch für das Publikum nachvollziehbar sein (Superkräfte scheiden also ebenso aus wie reine Verehrung als Machtmensch), es darf nicht identisch mit Fähigkeiten des Publikums sein (Selbstverliebtheit lässt sich schlecht projizieren und wenn der Charakter besser ist als das Publikum, fühlt sich dieses abgewertet). Es darf dem Charakter auch nicht in den Schoß fallen (davon lassen sich jedenfalls nur sehr primitive Gemüter beeindrucken), weil etwas einfaches nicht zur Bewunderung taugt und weil Alltägliches nicht bewundert wird (außer es wird als etwas Besonderes präsentiert – auch der Kontext ist daher wichig).


    3.) Damit es übertrieben wird, müssen psychologische Tricks verwendet werden.
    -Ja, man muss richtig manipulativ vorgehen und das auch noch, ohne dass der/die Leser/Leserin es zu sehr merkt. Man muss mit verschiedenen Emotionen spielen, Instinkte ansprechen, Bilder erzeugen. Sexuelle Spannung / Lust, Sehnsüchte, Ideale, Mitgefühl, Charisma, Ein gewisses Vertrauen, Sicherheit/Geborgenheit (auch: Schutz vor äußeren Gefahren). - Das sind die Begriffe, um die es hier hauptsächlich drehen dürfte. Allerdings keineswegs immer um alle davon.


    4.) Die Zielfigur muss (wie eigentlich ja jeder Charakter) eine Person sein.
    - Und wenn der Autor wollte, dass sich die Leser in eine Statue verlieben, müsste er sie immer noch erst zu einer lebendigen Person stilisieren.
    - Dieser Punkt scheint angesichts der Oberflächlichkeit mancher Verliebtheit vielleicht strittig. Aber um überhaupt einer Beachtung wert erachtet zu werden, sollte der Protagonist wohl zumindest real genug wirken und in irgendeiner Hinsicht interessant sein.


    So, ich denke, das wäre eine Arbeitsgrundlage, die sich ausbauen, kontrovers diskutieren und spezifizieren lässt.

  • Hi Martin,


    hui, das ist ja mal ne Antwort, mit der man arbeiten kann, danke!
    Mir sind inzwischen auch einige Dinge dazu eingefallen, die decken sich in vielen Teilen mit deiner Antwort. Was noch sehr wichtig ist, ist die Zielgruppe. Ich habe in meinem letzten Buch (Einen Cowboy küsst man nicht - ja, ich weiß, die meisten von euch finden sowas schrecklich....) eigentlich erwachsene Frauen als Leserinnen im Visier gehabt und der Heldin, die zwischen zwei Männern steht, am Ende denjenigen verpasst, mit dem sie glücklich werden kann. Zumindest wenn man die Männer realistisch betrachtet. Einer ist also der verantwortungsvolle nette Partner. Der andere aber ist sexy, ein harter Kerl Marke "lonesome rider", sehr archaisch, abweisend, egoistisch. Mir als alter Frau ist klar, dass die Heldin mit dem nicht glücklich werden kann, aber meine JUNGEN Leserinnen verknallten sich reihenweise in diesen Typen.
    Insofern habe ich in deren Meinung zwar den falschen Mann gewinnen lassen, aber ich habe es offenbar gut hinbekommen, dass die Leserin sich verliebt, zumindest der junge Teil davon.


    Gehen wir einen Schritt weiter. Auf Nummer eins aller amazon eBooks steht gerade "Ein Milliardär mit Herz". Jaja, schon gut, ich sehe euch die Nase rümpfen, weil "sowas" würdet ihr nicht mal mit de Beißzange anfassen. Ist für mich auch nicht gerade die Lieblingsliteratur, aber die Autorin, eine totale Newcomerin, verkauft immerhin 1000 eBooks am Tag. Wieso ist das so? Weil sie die Cinderella-Sehnsucht bedient. Es geht um eine arme Krankenschwester in New York, die will sich einen klapprigen Gebrauchtwagen kaufen, da kommt der Prinz ähhh Milliardär daher und kauft ihr einfach einen neuen. Ich persönlich würde so einen Mann ja zum Teufel jagen, aber den Leserinnen gefällt es, weil es ihre Sehnsucht erfüllt. Sie wünschen sich einen Mann, der ihnen alle Sorgen abnimmt und sie wie eine Prinzessin behandelt. Im Gegenzug dazu "retten" sie ihn aus seiner Einsamkeit oder aus einem alten Schmerz, den er mit sich herumträgt.
    Also die typische Pretty Woman story. Die zieht immer noch.


    Literarisch sehr gebildetes Publikum erreicht man mit sowas sicher nicht. Aber wie gesagt - das Buch ist auf Nummer eins gewesen, also scheint es für einen Großteil der eBook-Leserinnen zu funktionieren. Ohne das Buch gelesen zu haben (nur die ersten Seiten der Leseprobe), gehe ich davon aus, dass der Milliardär ein kühler, Macht ausstrahlender, eleganter Typ ist, an den man emotional nicht sofort rankommt. Man muss ihn erst knacken. Genau das gefällt den Leserinnen, denke ich.


    da greifen dann deine Punkte, Martin. Die Verliebtheit wächst langsam. Der Mann hat Charisma und ein Geheimnis. Er weckst Sehnsüchte. Auch wenn er hart wirkt, spürt die Leserin, dass er ein gutes Herz hat (das kann man nebenbei mal zeigen oder ahnen lassen). Sie identifiziert sich mit der Heldin und will diesen Mann haben.
    Wie man das erreicht, dazu gibt es viele Wege. Bei einem erwachsenerem Publikum kann das der düstere Musiker mit den schönen Händen sein, der nachts wie besessen Chopin spielt. Oder ein Außenseiter, den man interessant findet. Ich lese gerade Jane Austin, auch die arbeitet mit diesen "Tricks".


    Wobei man das meiste sicher aus dem Bauch macht. Man entwirft ja geistig eine Figur, die man interessant findet. Das Zeigen geht dann oft von ganz allein. Aber ich finde es halt gut, sich einfach mal darüber Gedanken zu machen.

  • Mir als alter Frau ist klar, dass die Heldin mit dem nicht glücklich werden kann, aber meine JUNGEN Leserinnen verknallten sich reihenweise in diesen Typen.

    Im Nachhinein ist das natürlich leicht zu sagen, aber damit, dass auch in Beziehungsfragen naive Leserinnen einen Roman in der Richtung lesen könnten, war eigentlich zu rechnen.Andererseits: Das ist ein sehr schöner Fall, der zeigt, dass man die Fragestellung auch umkehren kann und es manchmal auch tun sollte. Der "Lonesome Cowboy" hatte garantiert mächtig viele von den Zutaten, die in das "sich verlieben Rezept" passen, während sein Gegenspieler offenbar hauptsächlich "nett" anzubieten hatte, was gar nicht auf der Zutatenliste steht. Eher gehört es auf die Liste für "Liebe" bzw. im Spezialrezept für Leute, die auch beim Verlieben den Verstand nicht abschalten. In Büchern ist diese Zielgruppe aber noch begrenzter als im wirklichen Leben. Hier wollen sich auch viele Vernunftmenschen einfach fallen lassen, einmal etwas mehr von ihren "niederen" Instinkten leiten lassen.

  • Hallo Karin,


    auch wenn meine Antwort nicht so Deinen Vorstellungen entsprochen hatte, erhebe ich Einspruch:



    da greifen dann deine Punkte, Martin. Die Verliebtheit wächst langsam.


    NEIN, - Verliebtsein ist kein Prozess. Oder, - wenn wir es ganz kleinkariert sehen, - es ist ein blitzschneller Schlag mit 1000 Volt. Starkstrom. Der triebhafte bzw. treibende Strom in die Vernebelung. Was öfter vorkommt, ist das langsame ärgerliche Unerklärbare. Wenn man einen Menchen erst Mal nicht mag und irgendwie doch nett findet, unerklärlich. Die kleinen Macken. Sofern man nicht nur selektive schauen will. Dann, dann wird es knisternd und es wird sich gezofft. Das ist Prickeln und Erotik, wird sehr neckisch.
    Kommt drauf an, wie oberflächlich eine Frau ist! Gebildete Frauen sind umso unbewusster und wollen nicht wahr haben, dass etwas oder jemand interesant ist.
    Aber was erzähle ich. Wer schlecht schreibt und einen komplizierten Schreibstil hat, der wird nicht ernst genommen.
    Ich sage Dir aber nicht, dass ich der Neffe von Steven King bin. Der hat viele Bücher verkauft und deshalb kann er es gut. Warum, - weil er mich kennt und meine tiefere Sicht gerne annimmt.


    keep on kidding

  • Das ist meine Meinung zu diesem Thema. Aus einer eher männlichen Sicht - zugegeben - aber so denke ich über das Thema.


    Also ich denke in Büchern kommt noch ein weiterer Punkt dazu, der bisher nicht - oder nur mangelhaft - beleuchtet wurde.
    Abgesehen von der sachlichen Lage kommt noch das Leitmotiv des Protagonisten dazu.
    Denn jegliche Beschreibung einer Person kann zwar individuell zu einem Bild im Kopf des Lesers werden, aber der Leser bewertet für sich selber jeweils die Handlung der Personen im Roman.
    Also je mehr der Leser das Leitmotiv einer Person akzeptieren kann, desto eher tritt der Effekt auf, dass der Leser sie mag und später (!) romantische Assoziationen verbindet.
    Ob es damit dann eine Sehnsucht bedient, daß ein Millionär oder Prinz tatsächlich Interesse am "gemeinen Volk" hat - oder in anderer Literatur einfach der Typ von Mann/Frau ist, den der Leser aufgrund seiner konsequenten Ausarbeitung (Leitmotiv) in sein/ihr Herz schließt.


    Es mag ein wenig einfältig sein, das Thema so zu marginalisieren (ich gebe es ja zu), aber für mich - der "nur" hobbymäßig schreibt - ist das Leitmotiv der wichtigste Punkt.

  • Eine interessante Ansicht. Allerdings hätte ich einige Einwände. Dass "Verliebtsein" ein Prozess wäre, hat niemand behauptet. Aber "sich verlieben" ist es schon. Und "Verliebtheit" ist ja nur ein Maß. Von dieser Wortklauberei einmal abgesehen kann ich auch nicht unterschreiben, dass "Verliebtheit" generell ein plötzlich eintretendes Ereignis sei. Ja, es kann sehr schnell gehen und den Satz "die Verliebtheit wächst langsam" würde ich auch nicht als generelle Beschreibung des Ablaufes unterschreiben (wie ich ja unter dem 2. Unterstrich von Punkt 1 schon gesagt habe).


    Einen Schriftsteller würde es auch vor ein unlösbares Problem stellen, wenn Verlieben ein Sekundenereignis wäre. Kein noch so knapper und brilliant formulierter Satz könnte es dann induzieren. Schon die Tatsache, dass sich Leserinnen und Leser bisweilen in Charaktere verlieben, zeigt also, dass das nicht die ganze Wahrheit sein kann.


    Damit will ich nicht sagen, dass es keine 1000V Starkstromereignisse gäbe. Aber um im Bild zu bleiben: Auch dazu müssen erst Kupferleitungen verlegt werden.


    Also ich denke in Büchern kommt noch ein weiterer Punkt dazu, der bisher nicht - oder nur mangelhaft - beleuchtet wurde.
    Abgesehen von der sachlichen Lage kommt noch das Leitmotiv des Protagonisten dazu.

    Also je mehr der Leser das Leitmotiv einer Person akzeptieren kann, desto eher tritt der Effekt auf, dass der Leser sie mag und später (!) romantische Assoziationen verbindet.

    Das halte ich für sehr hilfreiche Gedanken. Das Verständnis des Leitmotivs eines Charakters hat maßgeblichen Einfluss sowohl darauf, ob Leser(innen) in einem Protagonisten eine echte Person sehen können (Punkt 4 auf meiner obigen Liste), als auch die Frage, ob Vertrauen, Geborgenheit etc. mit dieser Person verbunden werden kann (vgl. Punkt 3. aus meiner Liste.) Ich denke, dieser Punkt ist so wichtig, dass ggf. sogar der eher egoistische Macho aus dem Beispiel mehr davon auf die Leserinnen ausstrahlen kann, als der eigentlich nettere aber schwerer zu durchschauende Typ.


    Es mag ein wenig einfältig sein, das Thema so zu marginalisieren (ich gebe es ja zu), aber für mich - der "nur" hobbymäßig schreibt - ist das Leitmotiv der wichtigste Punkt.

    So weit würde ich allerdings nicht gehen. Die Leserinnen und Leser hätten viel zu viel damit zu tun, sich in sämtliche Charaktere zu verlieben, deren Leitmotiv sie voll durchschauen. Eine wichtige, fast notwendige Bedingung für das Verlieben in Buchcharaktere dürfte es allerdings tatsächlich darstellen.