Andreas Maier - Ich. Frankfurter Poetikvorlesungen

  • Der in Friedberg in Hessen geborene und dort auch aufgewachsene Schriftsteller Andreas Maier hat nach der Veröffentlichung von bisher drei Romanen im Juni 2006 die Frankfurter Poetikvorlesungen gehalten. Unter dem provokant-einfachen Titel „Ich“, dem Mittelteil des Wortes „nichts“. Legt Maier ein beredtes und auch beeindruckendes Zeugnis ab über die Quellen seines Schreibens, die er in seiner Biographie verortet.


    Er schreibt von den Schwierigkeiten des Suchens nach einer Form bis hin zu der Gewissheit, daß sich alles von selbst einstellt, wenn man aufhört danach zu suchen.


    Er berichtet von seinen literarischen und persönlichen Vorbildern, von Dostojewski, Lukrez und vor allen Dingen von Thomas Mann, aber auch vom Friedberger Autor Wolf Schmidt, Schöpfer der „Familie Hesselbach“, eine Serie, die in den siebziger Jahren im Hessischen Fernsehen lief und die ihn bei seinen Romanen inspiriert hat wegen der absoluten Aneinandervorbeikommunikation der dort auftretenden Personen.


    Ganz besonders aber hat es ihm der Autor des Matthäusevangeliums angetan:


    „Ich bin nur ein Mensch auf der Suche nach Worten, die längst schon gefunden sind, die im Matthäusevangelium schon alle dastehen, in perfekten logischen Sequenzen, schärfer, als Wittgenstein es je gekonnt hätte, eine erschöpfende Analyse dessen, warum wir falsch sind und warum wir dadurch schuldig werden vor allem und vor jedem, nämlich bloß kraft unseres wahrheitsfernen Tuns. Eine literarische Form dafür zu finden ist sehr schwer, ich glaube, man kann keine Form dafür finden, daß wir falsch sind, keine ernste, denn eine Form, die sich vom Einverständnis des Lesers verabschiedet, ist keine Form, sondern für den Leser eine Zumutung, wie ja auch das Matthäusevangelium. Das größte philosophische Werk des Abendlandes. Das uns nichts sagt als bloß: Seid nicht. Das uns sagt: Wenn ihr aufhört, zu sein, dann seid ihr. Meine Damen und Herren ,wenn wir uns im Matthäusevangelium wieder finden, dann immer nur auf der Seite der Hohepriester, immer auf der Seite der Kleingläubigen, der Rechthaber, der Schriftgelehrten und Sophisten. Also auf Seiten derer, die sich verteidigen, die verteidigen, was sie haben, als sei das richtig, das ist unser tägliches Brot, die Selbstverteidigung, aber dieses Brot hat uns Gott nicht gegeben, und übrigens auch die Philosophie nicht, und die Literatur auch nicht. Und Sie begreifen vielleicht gar nicht , was das ist. Die Sie alles, was Sie haben und tun und wollen und erlangen, für natürlich und gut halten, und wenn Sie kurz nachdenken würden, aber im Ernst nachdenken, kehrten Sie um, aber das werden Sie nicht tun.“


    Und dann paraphrasiert er die Geschichte vom reichen Jüngling und wagt eine Übertragung auf die Literatur:


    „Ich wüsste nichts anderes, als dass Literatur den Zweck hat ( meine Literatur, die ich lese und die ich schreibe), die Wahrheit zu sagen, nicht explizit, sondern anders. Auch wenn die explizite Wahrheit vielleicht im Schweigen liegt und vielleicht sogar darin, dass ich immer nur erkenne, daß sie so niemand richtig sagen kann, und vor allem ich nicht. Die Wahrheit ist, dass wir falsch sind und richtig sein könnten und falsch allein kraft unseres eigenen Entschlusses, oder nennen wir es meinetwegen auch Trägheit, sind,. Die Wahrheit ist, dass wir uns alle als moralische Wesen darstellen, aber faul sind, roh, verschlagen und brutal noch in den unbeachtetsten Momenten. Aber alles das lässt sich in der Literatur kaum sagen, das kann ich Ihnen sagen.“


    Und doch versucht Andreas Maier es, immer wieder, auf eine Weise, die quer steht zum Literaturbetrieb, über den er einige aufschlussreiche Anekdoten erzählt.


    Seine mittlerweile vier Bände umfassende Serie über seine Kindheit in seiner Friedberger Heimat kann ich nur empfehlen.