Die Autorin:
Julianna Baggott, geboren 1969, studierte Literatur in North Carolina und lebt heute mit ihrem Mann und drei Kindern in Newark, Delaware. Publikationen von Kurzgeschichten, Erzählungen und Gedichten in Literaturzeitschriften, Zeitungen und Anthologien, etwa in der 'Best American Poetry 2000'. "Die Kunst der Lüge" war ihr erster Roman. (Quelle: Amazon.de)
Klappentext:
Eine amerikanische Stadt, neun Jahre, nachdem die Bomben fielen. Majestätisch thront die Kuppel des Kapitols über den Trümmern - in ihr leben die Reinen, die Makellosen. Sie wurden auserwählt, eine neue, bessere Menschheit zu begründen. Unten in der Stadt kämpfen alle Übrigen ums Überleben. Auch die 16-jährige Pressia hat es schwer, sich und ihren Großvater durchzubringen. Und dann soll sie auch noch eingezogen werden, um für das grausame Militärregime zu arbeiten, das Angst und Schrecken in der Stadt verbreitet. Als sie den Verschwörungstheoretiker Bradwell kennenlernt, scheint das zunächst ihre Rettung zu sein. Er kennt den Untergrund und hilft ihr, unterzutauchen. Doch dann wird sie erwischt ...
Inhalt:
Im Davor war alles anders. Da hatte Pressia eine Familie. Eine Mutter, die ihr jeden Abend dasselbe Lied vorspielte, Besuche in Disneyworld, Spielzeug, ein Pony auf ihrem Kindergeburtstag. Jetzt wird Pressia bald sechzehn und das bedeutet, dass sie sich verstecken muss, denn wie alle Sechzehnjährigen steht sie auf der Liste und wird von dem, was von der Regierung noch da ist, gesucht. Das kann alles Mögliche bedeuten, wahrscheinlich aber einfach ihren Tod. Pressia hat Angst und würde gern fliehen, doch wie alle “Unglückseligen” ist sie so einzigartig entstellt, dass man sie überall erkennen könnte, das Mädchen mit dem Puppenkopf anstelle einer Hand. Und außerdem müsste sie dann ihren Großvater allein lassen, und der alte Mann, der sich während des Angriffs gerade einen kleinen Ventilator an den Hals hielt, um sich Abkühlung zu verschaffen und dem nun der Ventilator im Hals festgewachsen ist, könnte sich ohne Pressia kaum noch selbst versorgen. Doch bleibt dem Mädchen überhaupt eine Wahl, wenn es überleben will? Pressia weiß nicht, was sie tun soll. Manchmal ist ihre Welt so trostlos, voller Gefahren, voller Angst und Not, die Menschen sind entstellt und leiden unter den Verwachsungen mit den Gegenständen, die sie bei sich hatten, als der Anschlag kam. Aber sterben? Das will Pressia auch nicht.
Im Kapitol wäre das Leben anders, denkt sie. Dort kann man unbesorgt leben, dort haben sich wichtige Menschen verschanzt – angeblich um zu warten, bis die Erde sich von dem Anschlag erholt hat, und dann dort neu anzufangen. Skrupellos sind zumindest einige der wichtigsten Männer dieser Gesellschaft, und gerade das kann Partridge, der Sohn eines dieser Männer, nicht ertragen. Das Leben im Kapitol engt ihn ein und macht ihm Angst, denn hier wird alles kontrolliert und geregelt. Außerdem schöpft er Hoffnung, dass seine Mutter irgendwo außerhalb des Kapitols noch leben könnte – und Partridge sehnt sich danach, sie wiederzusehen. Doch ein “Reiner” in der Welt der “Unglückseligen”? Seine Reise wird nicht ungefährlich, auch nicht, als er Pressia über den Weg läuft.
Meine Meinung:
Zunächst: schon wieder eine Reihe. Das ist jetzt aber wirklich mal ein Minuspunkt. Zwar haben wir hier irgendwie eine abgeschlossene Geschichte vor uns, andererseits bleiben aber auch wieder so viele Fragen offen, dass man eigentlich gezwungen ist, weiterzulesen. Das ärgert mich etwas, weil es gerade im Bereich der Dystopien keine Einzelbände zu geben scheint.
Dennoch: “Memento” ist ein wirklich lohnenswertes und sehr gut erzähltes Buch. Der Anschlag, der alles veränderte und die Unglückseligen erschuf (die wirklich zum Teil entsetlich beschrieben sind), scheint eine Art Atomschlag und politisch motiviert gewesen zu sein. Die Erde soll von vorne anfangen können – doch wie soll das gehen, wenn in den Trümmern und in dem immerwährenden Ascheregen Menschen, die schreckliche Qualen durch ihre Verwachsungen leiden, ums Überleben kämpfen? Und dabei schreckt Julianna Baggott vor nichts zurück. Pressias Puppenkopfhand ist da noch vergleichsweise harmlos, der Ventilator im Hals ihres Großvaters und die Vögel in Bradwells Rücken, El Capitáne, der mit seinem Bruder verwachsen ist, und Mütter, die mit ihren Kindern zu einer Person verschmolzen sind, sind da schon deutlich heftiger. Ja, Frau Baggott hat eine richtige Dystopie erschaffen, eine schlimmere Welt als ihre ist mir in diesem Genre noch nicht untergekommen – und dasselbe gilt im Prinzip für das hochtechnisierte Kapitol.
Die Geschichte ist entsprechend düster, beängstigend und traurig. Pressias Geschichte ist keine Geschichte um Liebe in einer fiktiven Welt, es geht ums Überleben und um Hoffnung, wo es eigentlich keine Hoffnung gibt. Die Figuren sind entsprechend keine strahlenden Helden, sie wirken jedoch authentisch und sind sympathisch genug, dass man mit ihnen hofft und bangt.
Ich muss gestehen, dass ich mich bei “Memento” wirklich frage, wie das mal enden wird – eigentlich kann es für Pressia und die anderen kaum ein zufriedenstellendes Ende geben… es bleibt hoffentlich spannend.