The Power of the Dog, USA 2005
Suhrkamp 2010, 689 Seiten
aus dem Amerikanischen von Chris Hirte
Seit einigen Jahren lesen wir beinahe wöchentlich vom mörderischen Drogenkrieg in Mexiko, von Hinrichtungen, Massakern, verscharrten Leichenfunden – mehr als 15.000 Opfer sollen es allein im Jahr 2010 gewesen sein (Quelle:http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,739225,00.htmlhttp://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,739225,00.html).
Nun ist, 5 Jahre nach seinem Erscheinen in den USA, ein Roman zu den Ursprüngen dieser Tragödie erschienen. Ein Kriminalroman.
Inhalt:
Über einen Zeitraum von und 30 Jahren verfolgen wir anhand von 4 Hauptprotagonisten und unzähligen Nebenakteuren die Entwicklung des
Drogenhandels an der Mexikanisch-Nordamerikanischen Grenze.
Da wäre Arthur Keller, als ehemaliger CIA-Agent bei der Operation Phoenix in Vietnam (siehe hier:http://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Phoenixhttp://de.wikipedia.orgwiki/Operation_Phoenix) an Infiltation, False Flag Aktionen und natürlich Mord (in Vietnam und der gesamten CIA nennt man das euphemistisch "neutralisieren") geschult und Leiter des Mexiko Büros der DEA, der US Drogenbehörde. 1975 zerstört er mit Hilfe des Mexikanischen Bundespolizisten Barrera in der Operation Condor die Mohnanbaugebiete Nordmexikos, nur um feststellen zu müssen, dass eben jener Barrera ihn nur dazu benutzt hat, die Macht an sich zu reissen und ein noch viel gewaltigeres Drogenkartell aufzuziehen. Das Gefühl, sich schuldig
gemacht zu haben, lässt ihn entgegen der offiziellen US Politik gegen Barrera ermitteln, und als dabei sein Freund und Kollege Ernie Hidalgo zu Tode gefoltert wird, schwört er Rache an allen Beteiligten. Dieser obsessive Rachefeldzug bildet das Rahmenkorsett des gesamten Romans.
Kellers Gegenpart ist dabei der Neffe des genannten Bundespolizisten, der zusammen mit seinem Bruder Rául alsbald das Drogenkartell übernimmt und stetig ausbaut. Adan Barrera ist dabei ebenso geschickt im Taktieren wie im Handeln und abgesehen von seiner Familie und der hingebungsvoll geliebten behinderten Tochter vollkommen skrupellos. Er steht an der Spitze eines Kartells, dass den Drogenhandel entlang der US amerikanischen Grenze, von Baja California bis zur Mexikanischen Golfküste beherrscht. Geldwäsche, Bestechung, Korruption, Mord, Folter Erpressung und Entführung gehören zu seinen geläufigen Geschäftsgebaren. Er kauft ebenso Regierungsvertreter in Mexiko wie Grenzpolizisten in den USA, lässt linksgerichtete Kleriker hinrichten, handelt mit Waffen, den Kokainkartellen in Kolumbien und Chinesischen Waffenhändlern. Seine
Schwäche wird eine US amerikanische Prostituierte.
Dritte im Bunde der Hauptprotagonisten ist also Nora Hayden, aussergewöhnliche Schönheit, die schon als Teenager versteht, Vorteile (und Genuss?) aus ihren körperlichen Reizen zu ziehen. Sie gerät in die „Fänge“ einer eloquenten Puffmutter, wird zur Edelprostituierten ausgebildet und bildet im Laufe der Romanhandlung als Mätresse von Adan Barrera, Spitzel für Arthur Keller und Flüchtling an der Seite des Killers Sean Cullen ein intelligentes wie auch berechnendes Band zwischen den Protagonisten.
Schliesslich ist dann da der wortkarge Ire Sean Cullen, ein sich bereits als Teenager mehr zufällig als geplant empor mordender New Yorker Killer, der sich erst mit der örtlichen Mafia einlässt und ihren Patron ermordet, um die folgenden Jahre ziellos treibend sich der einen oder anderen Seite – Kriminellen ebenso wie US-Geheimdiensten - als Mörder/Söldner verdingt. Er macht sich trotz seiner vielen Seitenwechsel nie Gedanken um die politischen oder moralischen Umstände seiner Einsätze, erst die Ermordung eines liberalen Bischofs lässt ihn an seinem Lebensstil zweifeln. Aufgrund dieses Lebens ist er nicht bindungsfähig, findet aber bei Nora Hayden zu so etwas wie familiärer Wärme.
Keller verfolgt von 1975 bis 2004 mit nicht immer legalen Methoden und konsequent die offizielle US Außenpolitik missachtend die Barreras in immer stärker psychopathische Züge annehmender Beharrlichkeit. Er benutzt Unschuldige ebenso wie dunkle Kanäle, arbeitet beinahe mit den gleichen Mitteln wie seine Widersacher, die skrupellosen Drogenbosse Barrera. Im Lauf der rund 30 Jahre wogt der Kampf zwischen Keller (und weniger der DEA) und den Drogenbaronen hin und her – eingebunden in die US-Politik in Mittel- und Südamerika. Unzählige Menschen lassen dabei ihr Leben und persönliche Katastrophen verschonen keinen. Am Ende soll Keller seinen Showdown kriegen...
Der Verlag bewirbt den Roman wie folgt:
Don Winslows Tage der Toten: ein knallharter Thriller über den Drogenkrieg in Mexiko.
Art Keller ist ein brillanter US-Drogenfahnder, der sich nicht scheut, das Gesetz zu brechen, um Gerechtigkeit walten zu lassen. Doch als einer seiner Mitarbeiter bei Ermittlungen gegen ein Kartell brutal zu Tode gefoltert wird, gerät der Krieg gegen Drogen für Keller zur Obsession. Von New York über Mexico City und Tijuana bis in die Dschungel Mittelamerikas verstrickt er sich in einen schier aussichtslosen Kampf und gerät in politische Machenschaften, die ihm bald gefährlicher werden, als es die Drogenbosse je waren. Adán Barrera ist ein berüchtigter Drogenbaron, der seine Brutalität hinter seiner charmanten Maske zu verbergen weiß. Seine Geliebte, Nora Hayden, ein Luxus-Callgirl, mit dem Herz am rechten Fleck, findet viel zu spät heraus, worauf sie sich eingelassen hat. Als die Schlinge um den Hals ihres besten Freundes, Bischof Parada,
sich immer enger zieht, muss sie sich entscheiden, auf wessen Seite sie steht. Sean Callan, einst ein introvertierter Kleinkrimineller aus Hell’s Kitchen, hat es zum eiskalten Killer gebracht hat. Doch jetzt sehnt er sich nach einem anderen Leben.
Winslow verfolgt die Wege dieser Figuren über drei Jahrzehnte – von Art Kellers erstem Treffen mit den Barrera-Brüdern 1970 bis zum
spektakulären Showdown im Jahr 1999. Winslows gründliche Recherche und sein ungeheures Gespür für Details verleihen der Geschichte
Gewicht und Unmittelbarkeit. Die komplexe Handlung, die gut durchdachten Figuren, sein auf das Nötigste reduzierter Stil sowie der Bezug zur wahren Geschichte des Drogenkriegs, machen Tage der Toten zu einem ebenso mitreißenden wie erschütternden Thriller.
(Verlagstext)
Eigene Meinung:
In 5 grosse Kapitel oder Akte ist dieser Ziegelstein dicke „Kriminalroman“ aufgeteilt, also ganz dem klassischen Tragödienschema. Die einzelnen Unterkapitel werden dabei zeitlich und räumlich benannt und widmen sich weitestgehend einer der genannten Protagonisten. Dieser vertraute und klare Aufbau des Romans macht ihn angesichts der Fülle seiner Personenzahl und Haupt- sowie Nebenhandlungen für uns Leser leichter verständlich. Winslow will also verstanden werden, an erzählerischen und stilistischen Experimenten ist er nicht interessiert, was dem Roman durchaus zu Gute kommt und ihn zu einem profunden und vor allem schockierenden Pageturner macht.
Nicht immer leicht nachvollziehbar hingegen sind die Verhaltensweisen der Protagonisten. Mal mehr, mal weniger stellt der Autor sie in ein komplexes Geflecht aus eigenen Antrieb, familiärem oder freundschaftlichem Umfeld und politsch-gesellschaftlichem Einfluss. Das funktioniert nicht immer nachvollziehbar. So bleiben der irische Killer Cullen und die Edelprostituierte Hayden seltsam blass in dem, was sie zu teils ungeheuerlichen Taten antreibt. Der überhöhte Racheehrgeiz von Keller an den Barreras– begründet mit der Ermordung seines Kollegen Hidalgo – erscheint mir für einen Zeitraum von rund 30 Jahren zu aufgesetzt.
Schreiben aber kann Winslow. Recht souverän beherrscht er es, detaillierte Beschreibungen im Wechsels mit zum Teil grossen Zeitsprüngen zu verbinden. Dialog und Erzählung halten sich angenehm die Wage und knallige, auf den Punkt gebrachte Passagen finden sich zuhauf in dem Buch. Stark, und dabei an James Ellroy erinnernd, ist er in der Zuspitzung von Situationen, in der er mit zunehmender Hektik der Handlung immer kargere, aber treffende Sätzen wählt, die den Lesern wie die Maschinenpistolenschüsse der Protagonisten um die Ohren ballern.