Klappentext
Inhalt
Tauben im Gras (1951) ist der erste Roman jener "Trilogie des Scheiterns", mit der Koeppen eine erste kritische Bestandsaufnahme der sich formierenden Bundesrepublik gab. Mit Vehemenz und unerbittlicher Schaerfe analysiert Koeppen die Rueckstaende jener Ideologien und Verhaltensweisen, die zu Faschismus und Krieg gefuehrt haben und die schliesslich in den fuenfziger Jahren die Restauration der ueberkommenen Verhaeltnisse protegierten. Dabei ist das Verhaeltnis von Tauben im Gras ein kaleidoskopartiges: der ganze Roman schildert Gestalten und Vorgaenge eines einzigen Tages in Muenchen des Jahres 1949. Mit einer Fuelle genauer atmosphaerischer Details zeichnet Koeppen den Nachkriegsalltag dieser Stadt, die sein Protagonist, der verhinderte Schriftsteller Philipp, wie ein Schlachtfeld erlebt, wie ein undurchdringliches "Pandaemonium".
Autor
Wolfgang Koeppen, geboren am 23. Juni 1906 in Greifswald (Pommern), wurde 1962 mit dem Georg-Buechner-Preis ausgezeichnet. Bekannt wurde Wolfgang Koeppen durch die Romane Eine unglueckliche Liebe, 1934, Die Mauer schwankt, 1935, und die nach dem Kriegsende erschienenen Romane Tauben im Gras, 1951, Das Treibhaus, 1953, Der Tod in Rom, 1954. Die darauf folgenden Arbeiten sind Reiseberichte und Essays: Nach Russland und anderswohin, 1958; Amerikafahrt, 1959; Reisen nach Frankreich, 1961. Der Prosa-Band Jugend erschien 1976. Aufsaetze: Die elenden Skribenten, 1981. Koeppen starb am 15. Maerz 1996 in Muenchen.
Meine Meinung
In Koeppens Roman herrscht vier Jahre nach dem Krieg keine Aufbruch -, sondern Endzeitstimmung. Die gut zwanzig Personen, deren Tageslauf er verfolgt, kommen mit dem Leben nicht zurecht. Ohne Zukunftsperspektive, fast wie betaeubt, irren sie durch den Tag und durch eine graue, wie eine Truemmerlandschaft erscheinende Stadt.
Carla ist verzweifelt, weil sie ein Mischlingskind erwartet, der Schauspieler Alexander ist muede der seichten Rollen, die er spielen muss, um das Publikum den Krieg vergessen zu lassen, muede auch der allabendlichen Orgien, die seine Frau Messalina veranstaltet, Emilia, eine reiche Erbin, deren Erbe nichts mehr wert ist, hadert mit der Ungerechtigkeit des Schicksals, Susanne verdient sich ein paar Dollar als Gelegenheitsprostituierte, ehemalige NS-Pimpfe bieten sich im Schwulenmilieu an, der Psychater Behude muss Blut spenden, um ueber die Runden zu kommen.
Unfaehig, einander beizustehen, unfaehig, sich selbst zu helfen, ist ihr Leben bestimmt von Ueberlebenskampf, Gier und Angst. Sie sind "Tauben im Gras", sinnlose, zufaellige Existenzen, jedem Schicksal hilflos ausgeliefert, frei von Gott "im Nichts flatternd".
Nur mit sich selbst und ihrem Unglueck beschaeftigt sind sie erst recht nicht in der Lage, sich mit der Vergangenheit und ihrer Schuld auseinanderzusetzen. Im Gegenteil: In den Bierschaenken wird weiterhin nach Klaengen des Badenweiler Marsches - des Lieblingsmarsches Hitlers - geschunkelt, die Amerikaner sieht man weniger als Befreier denn als Besatzer, die nur aufgrund ihrer Materialueberlegenheit den Sieg davongetragen haetten und nach wie vor herrscht dumpfer, schnell in Gewalt ausartender Rassenhass, der sich jetzt gegen die "Neger" richtet.
Wie soll angesichts der kruden Wirklichkeit die Literatur beschaffen sein? Der junge Schriftsteller Philipp hat eine Schreibblockade, er weiss nicht, wie er den Menschen Trost spenden, welchen Sinn er ihnen aufzeigen kann. Der beruehmte amerikanische Schriftsteller Edwin, der zu einem Vortrag nach Muenchen gekommen ist, spricht ueber die Kunst, als ob es den Holocaust nie gegeben haette, betont ihre sakrale, verbindende Funktion und preist Europa als Wiege der Toleranzidee. Aber er erreicht seine Zuhoerer nicht, ihre Lebenswirklichkeit sieht anders aus, sie fuehlen sich auf der Erde nicht mehr zu Hause.
Auch wenn das Buch eine trost- und hoffnungslose Welt schildert, habe ich es doch mit grossem Genuss gelesen. Koeppen beherrscht seine kuenstlerischen Mittel souveraen. Der ironische Schreibstil, die ungewoehnlichen Bilder und die Anspielungen auf die Antike machen die Lektuere abwechslungsreich und interessant. Substantivreihungen, die an Joyce geschulte Verwendung des Bewusstseinsstroms und die Unterteilung der Handlung statt in Kapitel in viele kleine Abschnitte beschreiben die deprimierende Wirklichkeit, die Angst und Verzweiflung der Protagonisten und die allgemeine Orientierungslosigkeit.
Die Nachkriegszeit ist uns heute schon sehr fern. Selbst diejenigen, die sie noch erlebt haben, scheinen sie ueber dem Wirtschaftswunder und den Wohlstandsjahren schon vergessen zu haben. Ich habe frueher die deutsche Literatur nach 1945 oft als trocken und langweilig empfunden. Heute sehe ich sie - besonders auch unter dem kuenstlerischen Aspekt - mit anderen Augen.
Ich kann den sicher nicht ganz leicht zu lesenden Roman nur nachdruecklich empfehlen!