Band 2 der Reihe "Scythe"
Neal Shusterman hat hier eine Zukunftsversion erschaffen, die einerseits viele gesellschaftliche Probleme löst, andererseits aber natürlich auch eine dunkle Seite hat, eine, bei der Menschen andere Menschen töten müssen, mit dem Segen des Systems.
Denn in dieser Zukunft ist die Sterblichkeit Geschichte. Die Weiterentwicklung der Technik hat es möglich gemacht, mittels Naniten im menschlichen Körper alles zu steuern und ältere Menschen in jüngere zu "resetten". Die Wirtschaft und Umwelt wird perfekt überwacht und geleitet vom Thunderhead. Er ist ein unerschöpflicher Wissenspool, der sich aus der Cloud entwickelt hat und eine Art Bewusstsein erreicht hat, der über allem steht. Ein neutraler Lenker, der aber auch über Empathie und Mitgefühl verfügt.
Durch ihn werden alle Ressourcen perfekt abgestimmt und das Leben scheint ein Paradies zu sein.
Das Problem: Die Überbevölkerung. Kein Sterben heißt eben auch überdimensionales Wachstum, was die Scythe auf den Plan ruft. Diese sogenannte Elite ist dafür zuständig, dieses Wachstum einzuschränken und Menschen zu töten. Sie unterliegen strengen Richtlinien, dürfen aber in deren Rahmen selbst entscheiden, wenn sie "nachlesen".
Der Thunderhead und die Scythe sind streng getrennt und dürfen keinerlei Kontakt miteinander haben oder in das Wirken des anderen eingreifen.
Soviel zum Grundgerüst der Handlung was ich schon eine sehr originelle und geniale Idee finde!
Der zweite Band steigt 10 Monate nach dem Ende des ersten ein. Ich hatte leider nicht mehr wirklich viel Erinnerung an Band 1, nur so abstrakte Umrisse, aber man kommt wirklich schnell wieder rein, auch durch die vielen kleinen Anspielungen an das was vorher war.
Citra hat sich in ihrer Rolle als Scythe Anastasia mittlerweile zurecht gefunden und eine sehr außergewöhnliche Art für sich entwickelt, wie sie die "Nachlese " durchführen möchte. Damit wirbelt sie zwar etwas Saub auf im Scythetum, erlangt aber auch eine gewisse Präsenz, mit der sie sich erst noch zurechtfinden muss.
Denn die Spaltung der Alten Garde und der Neuen Ordnung nimmt immer größere Ausmaße an und das Erbe, dass Scythe Goddard hinterlassen hat, trägt immer tiefere Wurzeln. Denn nicht alle Scythe nehmen ihr Amt mit dem nötigen Respekt gegenüber dem Leben Ernst, es gibt auch solche, die Spaß am Töten gefunden haben und das durchaus ausleben.
Rowen, der mittlerweile untergetaucht ist, versucht auf seine Weise diesen skrupellosen Machenschaften einen Riegel vorzuschieben und gerät dadurch immer mehr ins Fadenkreuz.
Einer davon ist Greyson Tolliver, der in seinem bisherigen Leben nicht wirklich mit Glück gesegnet war, in seinen einsamen Stunden aber immer auf die Anteilnahme des Thunderhead zählen konnte. Alle Menschen haben ja die Möglichkeit, auf sein Wissen zuzugreifen und mit ihm zu kommunizieren und das hat Greyson unzählige Male aus seinem Gefühl der Verlassenheit herausgerissen.
Neben den Scythe gibt es ja noch eine Gruppe, auf die der Thunderhead nicht zugreifen kann und das sind die "Widerlinge". Menschen, die sich dem System nicht unterordnen wollen, weil sie ein gewisses Gewaltpotenzial haben oder einfach rebellieren wollen und damit für einige Zeit oder auch lebenslang gekennzeichnet werden. Ein Schlupfloch, dem sich der Thunderhead bedient und dadurch Greyson in eine Lage versetzt, die sein ganzes Leben verändern wird.
Der Thunderhead - im ersten Teil noch eher unwirklich, nimmt hier immer konkretere Formen an. Zwischen den Kapiteln kommt er zu Wort und zeigt seine Sicht der Dinge und wie er damit umgeht. Ein beeindruckendes Konzept, denn er symbolisiert eigentlich eine Art "Überwachungsstaat", ist Gesetz, Kontrolle und Schutz in einem, dabei aber, und das ist der wichtigste Punkt: unkorrumpierbar! Er erinnert an den alles verzeihenden Gott, der für jeden Menschen erreichbar ist, über allen steht und ein unerschöpfliches Verständnis aufbringt. Komplett außenstehend und dadurch absolut objektiv in all seinem Tun. Und dabei bereit mitzufühlen und gerecht zu handeln. Wirkt schon sehr überzeugend. Jedenfalls eine Art Oberhaupt, das "der Mensch" nie einnehmen könnte.
Alleine die ganzen Gedankenkonstrukte, die Neal Shusterman dem Thunderhead angedichtet hat, sind es wert dieses Buch zu lesen, denn hier sind so viele Ansätze über die Menschen und die Gesellschaft vorhanden, über die sich ein nachdenken lohnt!
Die Perspektiven wechseln sich immer wieder ab und es geht rasant weiter von der ersten bis zur letzten Seite. Ich war immer gespannt wie es sich weiterentwickelt und der Autor hat laufend überraschende Wendungen bei der Hand. Die sich aber alle perfekt ins Bild einfügen und jede offene gewordene Frage aufklären.
Vor allem natürlich gesellschaftliche Fragen stehen hier im Vordergrund, aber natürlich auch menschliche und da tun sich wahre Abgründe auf. Manche werden vielleicht wieder bemängeln, dass zu wenig auf die Gefühle der Figuren eingegangen wird - aber das fand ich schon im ersten Band nicht entscheidend und auch hier wirkt es sich nicht negativ aus. Denn man kann sehr wohl spüren, was in den Einzelnen vorgeht und es gibt zu viel andere brisante Ereignisse die im Vordergrund stehen, wodurch mir das überhaupt nicht gefehlt hat!
Citra und Rowan waren dadurch nicht mehr so im Mittelpunkt, was die Handlung komplexer und "größer" gemacht hat. Ein vielseitiges und spannendes Kunstwerk einer fiktiven Zukunft, das mich absolut beeindruckt hat vor allem auch durch die feinsinnigen Gedanken über den Wert des Menschen und die Rolle der Gesellschaft.
Gegen Ende gibt es noch einen aufsehenerregenden Zwischenfall mit dem ich so nicht gerechnet hatte und der wieder einmal alles, was man dachte was passieren kann, in Frage stellt. Ich bin jetzt mega neugierig wie das ganze weitergehen wird und freue mich auf den letzten Teil, der mich sicher nicht enttäuschen wird. Vor allem mit dem genialen Cliffhanger auf der letzten Seite!
Fazit: 5 Sterne
© Aleshanee
Weltenwanderer