Kopiert bei Amazon:
Leonidas, aus kleinen Verhältnissen zum Sektionschef im Wiener Unterrichtsministerium aufgestiegen - nicht zuletzt durch die Ehe mit der reichsten Erbin der Stadt -, erhält im Herbst 1936 einen Brief von Vera Wormser. Die Tochter eines jüdischen Arztes, mit der er vor 18 Jahren, bald nach seiner Heirat, den 'einzigen echten Liebesrausch im Leben' erfahren hat, bittet ihn, einem Jungen zu helfen, der im nationalsozialistischen Deutschland nicht länger das Gymnasium besuchen darf.
Im Oktober 1936 hatte sich der österreichische Kanzler durch ein Abkommen mit den Deutschen verpflichtet, Vertreter der nationalen Opposition in die Regierung aufzunehmen. Dadurch wurde dem Nationalsozialismus und seinen Ideen, auch dem Antisemitismus, Tür und Tor geöffnet. Dies ist der historisch-politische Hintergrund des Buches.
Leonidas wächst in ärmlichen Verhältnissen als Sohn eines Dorflehrers auf. Er schlägt sich als Hauslehrer (u.a. bei der jüdischen Arzt-Familie Wormser) durch, als er einen Frack erbt. So gekleidet kann er Veranstaltungen und Bälle besuchen und kommt, weil er charmant, redegewandt und zuvorkommend ist, bald in die besseren Kreise. Amelie, Tochter schwerreicher Eltern, verliebt sich in ihn, und die beiden heiraten gegen den Widerstand von Amelies Eltern. Kurz nach der Eheschließung beginnt Leonidas in Heidelberg ein Verhältnis mit Vera Wormser. Zwar schwört er ihr ewige Treue, lässt sie aber ohne Abschiedswort sitzen. In Wien macht er Karriere, er wird Sektionschef im Ministerium für Kultus und Unterricht, er ist Mitglied der vornehmsten Gesellschaft, anerkannt, erfolgreich. Eines Tages findet er unter seiner Post einen Brief in einer "blassblauen Frauenschrift": Vera Wormser bittet ihn, sich um einen jungen jüdischen Mann zu kümmern, dem es in Deutschland verboten ist, weiterhin die Schule zu besuchen.
Achtzehn Jahre lang konnte er die Erinnerung an sein schändliches Handeln verdrängen, nun holt die Vergangenheit ihn plötzlich ein. Abwechselnd bezichtigt Leonidas sich der Feigheit und des Betrugs und sucht gleichzeitig Gründe zu seiner Rechtfertigung. In seinem Kopf inszeniert er eine Gerichtsverhandlung, in der er gleichzeitig Angeklagter und Anwalt, aber auch Staatsanwalt und Richter ist. Immer stärker wird seine Gewissheit, dass der junge Mann, für den Vera sich einsetzt, sein Sohn ist. Aber kann er sich angesichts der politischen Situation in seiner Stellung und bei seinem gesellschaftlichen Ansehen leisten, einen jungen Juden zu protegieren?
In einer großartigen, bis ins Kleinste ausformulierten Sprache schildert Werfel differenziert und genau die Nöte seines Protagonisten, den Selbstbetrug, das Leben hinter der Fassade des Großbürgerlichen, aber er lässt auch Raum für Mitgefühl und Verständnis. Obwohl der Autor selbst Verfolgter des Dritten Reichs war, prangert er nicht an; eher wirkt die politische Situation wie eine Kulisse, vor der sich die Geschichte abspielt.
Ganz große deutschsprachige Erzählkunst!!!
(Das Buch gibt es auch in der günstigen SZ-Reihe. Ich habe diese Ausgabe wegen den Covers genommen.)
Zum Autor:
Franz Werfel bei Wikipedia
Marie