Klappentext:
Kingsley, der Erstgeborene, genießt Privilegien. Bei Tisch darf er darauf warten, dass das Essen serviert wird, in seiner dünnen Egusi-Suppe schwimmt ein Stück Fleisch und sein Universitätsabschluss wird mit einer Party gefeiert. Doch die Zeiten in Nigeria sind schlecht, er findet keine Arbeit, und der Brautpreis für Ola - seine süße, wunderbare Ola, ist viel zu hoch. Bildung zählt zwar in Nigeria, doch ohne Geld und ein »Langbein« geht gar nichts. So nimmt Cash Daddy den Neffen unter seine Fittiche und Kingsley lernt die Spielregeln des Überlebens.
Der Roman führt an eine Stelle, an der sich westliche Welt und afrikanischer Kontinent berühren - jedoch locken hier nicht Europa oder die USA, sondern Afrika, genauer gesagt Nigeria mit dem Versprechen schnell verdienten Reichtums. Die Nigeria Connection der 419-Scammer ist enorm erfolgreich. Erfinderisch macht sie sich die Geldgier, die Dummheit, aber auch das Mitleid von Menschen im Westen zu Nutze. (von der Verlagsseite kopiert)
Zur Autorin:
Adaobi Tricia Nwaubani wurde in Nigeria geboren, wo sie noch heute lebt. Ihr erstes Geld verdiente sie sich im Alter von dreizehn Jahren mit dem ersten Preis eines Schreibwettbewerbs. Als Teenager träumte sie von einer Karriere als CIA- oder KGB-Agentin, schließlich entschied sie sich jedoch für ein Studium der Psychologie. ›Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy‹ ist ihr erster Roman. (von der Verlagsseite kopiert)
Aufbau / Allgemeines:
Originaltitel: I Do Not Come to You by Chance
Übersetzt von Karen Nölle
494 Seiten + Danksagung, 1.Teil: S. 25-217 / 2.Teil: S. 221-482
Prolog, 45 Kapitel, Epilog
Inhalt:
Kingsley, Ältester von vier Kindern, ist nach dem Tod des Vaters der Opara der Familie, der verantwortliche Ernährer für Mutter, Geschwister und die weitläufige Verwandtschaft. Aber wie soll er seiner Riesenaufgabe gerecht werden, wenn er weiterhin zum Heer der trotz Universitätsabschluss arbeitslosen Männer gehört? Obwohl von moralischen Bedenken geplagt, lässt er sich von seinem millionenschweren Onkel Boniface – Cash Daddy – anheuern, und was Kingsley als Sprungbrett in seinen eigentlichen Beruf als Chemie-Ingenieur plante, wird zum Lebensinhalt, als er die immense Macht des Geldes kennenlernt.
Eigene Meinung:
Nigeria – ein weißer Fleck nicht nur auf der literarischen Weltkarte. Ein Land, das an 6. Stelle der Erdölförderung der OPEC steht (samt Umweltschäden in Dimensionen wie am Golf von Mexiko 2010), an 4. Stelle des Diamantenexports und in dem die Hälfte der Bevölkerung von umgerechnet 1 Dollar am Tag lebt. Für eine Einreise als Ausländer benötigt man ein Visum, das man nur erhält, wenn man eine persönliche Einladung durch einen Nigerianer vorweisen kann.
Kingsleys Eltern Augustina und Paulinus gehören zur Bildungselite, sind stolz darauf und streben für ihre Kinder die besten Schulabschlüsse an. Doch mit Paulinus’ Krankheit versiegt das Einkommen der Familie; Arzt- und Krankenhauskosten treiben sie in den Ruin.
Es scheint also anfangs, als schildere die Autorin ein exemplarisches nigerianisches Schicksal, das bei einem europäischen Leser gern zwei Reaktionen weckt: Mitleid (die Familie hat alles getan, um der Armut zu entkommen, doch das Unglück zerstört den Lebensentwurf) und Zorn gegen den Staat, die Oberschicht oder wen auch immer, dass ein Land mit solch reichen Bodenschätzen seine Bewohner sozial vernachlässigt.
Aber man muss sich bewusst machen: Die Autorin schreibt für ihre Landsleute, für die diese Probleme alltäglich sind. Damit wird dieses Buch zu einem völlig anderen Leseerlebnis als die bekannten Afrika-Bücher, die von fern AUF das dortige Leben blicken und die erwähnten Gefühle explizit provozieren (vgl. Hennig Mankell).
Kingsleys Familie weiß, dass Augustinas Bruder Boniface unermesslich reich ist, ahnt aber, dass das Geld aus dunklen Kanälen stammt. Ungeschriebenen Gesetzen zufolge wäre er verpflichtet, Schwester, Schwager, Nichten und Neffen zu unterstützen, aber der Familie ist moralische Integrität wichtiger als finanzielle Sicherheit. – Die Europäerin in mir liest es mit Unverständnis, gleichzeitig mit Bewunderung.
Gegen das Verbot der Eltern wendet sich Kingsley dennoch an den Onkel und wird mit offenen Armen empfangen. Der Preis ist hoch: Er wird von einer Firma aufgesogen, in der man ein paar E-Mails schreibt um in den Besitz von Millionen zu kommen (Stichwort: Nigeria-Connection). Jahrelang lebt Kingsley unter dem besonderen Schutz von Cash Daddy, verhundertfacht beider Vermögen und verhilft Familie, Nachbarn, Freunden und dem Heimatdorf zum Überleben. - Europäer und Amerikaner haben unser Land ausgebeutet und sich an uns bereichert; wir holen nur zurück, was uns zusteht! so Cash Daddys Rechtfertigung. Es könnte Kingsley blendend gehen, wenn nicht im Hintergrund die Mutter und in seinem Kopf der Vater seinen Lebenswandel ablehnten und verachteten.
Dieser zweite Teil des Buches spielt in einer vollkommen anderen Welt als der erste, einer Welt, die beherrscht wird von Cash Daddy, hierzulande als literarischer Typ „Mafia-Boss“ bekannt: Dick, verfressen, ohne Manieren, korrupt, unerbittlich gegen jeden, der sich widersetzt oder sich nicht kaufen lässt, dabei wohltätig und freizügig mit Nahestehenden, Freunden, Verwandten, Angestellten, Speichelleckern. Kingsley ist hin- und hergerissen zwischen Faszination, Gehorsam, Abscheu und Dankbarkeit; er unterwirft sich willig, genießt den Reichtum, wenngleich in ihm der moralische Stachel, Erbe der Eltern, bohrt.
Dass Cash Daddys und Kingsleys Geschäfte reibungslos laufen, wundert hierzulande, wo jede Woche eine neue Internet-Betrugmasche durch die Zeitungen jagt, eher nicht. „Gier frisst Hirn“ – der Spruch wurde in diesem Zusammenhang geboren, die Opfer machen es den Tätern leicht, sie bieten sich vielfach selbst an.
Hier, im zweiten Teil, spielt die Autorin mit einer für den Leser reizvollen Protagonistenrolle: Der Antiheld als Identifikationsfigur. Ein besonderes Bonbon überreicht sie im Epilog: Während man sich daran erfreut, dass die Angelegenheit für alle Beteiligten ein wunderbares Ende gefunden hat, schießt sie eine Pointe aus dem Hinterhalt, und man weiß nicht, ob man das Buch mit Lachen oder Fassungslosigkeit zuklappen soll.
Fazit:
Ein Buch, das mit Spannung, Lebendigkeit und Witz fesselt, so dass man zunächst gar nicht merkt, wie viel man über die afrikanische Lebensweise und das Besondere des sozialen Miteinanders lernt.