Ali Mitgutsch - Herzanzünder. Mein Leben als Kind

  • Ali Mitgutsch gehört zu der gebeutelten Generation von Kinderbuchautoren, deren eigene Jugend vom Zweiten Weltkrieg geprägt ist. Geboren 1935 ist er etwas jünger als Michael Ende und Otfried Preußler und ein Jahr älter als Christine Nöstlinger. Wer also eine glückliche Kindheitsgeschichte voller Rummelplatz- und Schwimmbadbildchen erwartet, wird enttäuscht. Ali Mitgutsch hat seinen Bruder Ludwig im Krieg verloren und in einem Elternhaus gelebt, das dem Nationalsozialismus nicht nur abweisend gegenüberstand. Er hat die angsterfüllten Bombennächte erlebt, wurde aus München evakuiert und bei einem entfernt verwandten Pfarrer untergebracht, der Nächstenliebe nicht gerade gelebt hat. Selbst die Idee zu den Wimmelbüchern hat militärische Wurzeln. Im Nachkriegsmünchen kann er von einem Jahrmarkts-Riesenrad in die Kulissen einer Schaustellerbude herabsehen, in der eine hektische Schlachtenszene nachgestellt ist. Der Blick aus der Vogelperspektive prägt sein künstlerisches Selbstverständnis: "Sie wurde die Perspektive all meiner Wimmelbilder." Dass Ali merkwürdige Männchen zeichnet und sogar an der Graphischen Akademie Künstler werden will, passt vor allem seiner Mutter gar nicht. Sie fragt sich, "was müssen das für Leute sein, die sowas malen können, grüne Gesichter und diese krummen Figuren und die Nase auf der Seite, was müssen die krank sein, und jetzt, jetzt will mein eigener Sohn ... jetzt will der sowas machen ...!" Hätte sie gewusst, dass es schon die Alten Meister wie Pieter Bruegel haben ordentlichen wimmeln lassen, und hätten die Nationalsozialsten nicht dauernd alles Moderne als "entartete Kunst" diffamiert, vielleicht hätte sie anders gedacht...
    Ali Mitgutschs Kindheitserinnerungen sind keine Gute-Nacht-Geschichten. Sie erzählen nicht nur von schönen und glücklichen Momenten (aber auch von ihnen), sondern von schweren Stunden und vom Heranwachsen im Ausnahmezustand des Zweiten Weltkriegs. Dass sich diese Memoiren flüssig und gut lesen ist dem Koautor Ingmar Gregorzewski zu verdanken, der auch Tatort-Drehbücher schreibt. Für großgewordene Kinder, die mit Ali Mitgutschs Wimmelbüchern aufgewachsen sind und jetzt mit ihren eigenen Kindern über seinen Suchbildern brüten, ist die Autobiografie eine aufschlussreiche Lektüre. Denn von Mitgutsch können wir heute lernen, der Terror-Alltag nicht aufs kindliche Gemüt schlagen muss und dass fröhliche Figuren Sorgen und Ängste besser vertreiben können, als Panikmache und Misstrauen.
    Eine ausführlichere und bebilderte Rezension gibt's unter: www.biografien-blog.de