Paul Auster - Moon Palace (ab 17.05.2014)

  • Und so sehen wir betroffen /
    Den Vorhang zu und alle Fragen offen.


    Herr Brecht schrieb das am Ende seines >Der gute Mensch von Sezuan<, aber ganz so extrem ist es meiner Meinung nach bei Auster nicht. Sicher,
    wir bekommen wenig Antworten auf unsere Fragen, aber wir bekommen eine Menge Möglichkeiten der Interpretation. Klare Aussagen zum Sinn liefert
    Auster nicht und im Grunde gefällt mir diese Art von Literatur. Stellen wir uns vor, Marco würde nach all dem Auf- und Ab seines jungen Lebens sein
    Träumer-Leben abrupt ändern und sich gen Asien aufmachen, sich seines weiteren Weges völlig bewusst und voller Entscheidungsfreude. Dann hätten
    wir Tolkien`s >Eukatastrophe<, also die Wendung zum Guten. Ich glaube, dann hätte ich das Buch tatsächlich in die Ecke gefeuert.


    Noch einmal zurück zu den bestimmenden Charakteren des Romans. Wir haben den Träumer Marco, den Hypocritia so treffend als Nicht-Entscheider
    charakterisiert, wir haben den alten Effing als Gegenstück, der alles kontrollieren und selbstbestimmen will und so dem Schicksal keine Chance einräumen
    möchte. Als Miitelstück, der alte Solomon, der einen Mittelweg finden möchte.


    Denken wir darüber nach und vergleichen das mit den Möglichkeiten die wir in unserem eigenen Leben haben, könnten wir uns an die Marco Nase fassen oder
    auch an die von Effing oder Solomon. Auster leitet uns eben nicht in eine bestimmte Richtung sondern überlässt es dem Leser diese Fragen ganz für sich selbst
    zu beantworten. Eine glasklare Aussage ist offensichtlich nicht beabsichtigt und würde auch nicht wirklich passend erscheinen, oder sehe ich das falsch?????


    Noch einmal zu Marco, (an dessen Nase sich wohl niemand gern fassen würde :mrgreen: ). Er bleibt wie auch >Ripley Bogle< am Ende der gleiche Arsch wie am Anfang
    (da bin ich mir mit Hypocritia einig), oder wie Effing so treffend sagt:


    Zitat

    You`re a dreamer, boy, he said. Your mind is on the moon, and from the looks of things, it`s never going to be anywhere else.


    Der alte Mann trifft es auf den Punkt. Ohne eine Führung (durch wen auch immer) wird er immer der Nicht-Entscheider bleiben. Ein Traümer? Eigentlich auch
    nicht, denn seine Träume, so er denn überhaupt welche hat, verfolgt er in keinster Weise. Es sind pure Schattenbilder, die nur flüchtig in seinem Bewussseins
    auftauchen, um dann wieder zu verschwinden. Um Träume zu verwirklichen muss man sich entscheiden. Wandel einfach nur hinzunehmen, sich niemals zu
    wehren und als Treibgut des Schicksals und der Zufälle zu enden?
    Vielleicht hat Hypocritia ja recht wenn sie sagt, dass Auster uns hier vielleicht dazu bringen will uns an die Marco Nase zu fassen und uns zu entscheiden, dies
    Nicht zu Tun. Auf jeden Fall ist es dem Autor gelungen unsere MLR Richtung offene Diskussion und der Akzeptanz verschiedener Interpretationsmodelle zu führen.


    Trotz meiner kleinen Zwangspause am Schluß hat mir die MLR mit dieser ausnehmend tollen Lesetruppe sehr gut gefallen. Lassen wir Auster noch etwas nachwirken
    um uns dann zu gegebener Zeit vielleicht erneut zu treffen. Es würde mich freuen............. :applause:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

  • Ein Traümer? Eigentlich auch
    nicht, denn seine Träume, so er denn überhaupt welche hat, verfolgt er in keinster Weise.

    nein, ein Träumer ist er nicht, denn ein Träumer hat Ideen, Wünsche, Vorstellung - ob er sie nun verfolgt oder nicht, so beschäftigen sie ihn doch und zeigen ihm Bilder einer möglichen Zukunft…. bei Marco kommt nur ein einziges Mal so etwas wie Sehnsucht zum Vorschein: als Kitty schwanger ist und er gerne endlich eine eigene Familie hätte…. aber Sehnsucht ist für mich auch nicht gleich Traum!


    Auf jeden Fall ist es dem Autor gelungen unsere MLR Richtung offene Diskussion und der Akzeptanz verschiedener Interpretationsmodelle zu führen.

    ja, das hat er sehr gut hinbekommen und vielleicht war und ist das ja seine einzige Intention bei dem Buch: die Menschen zum Nachdenken und Diskutieren zu bringen?? :-k8)


    Hallo taliesin, schön, dass Du etwas Ruhe und Zeit finden konntest :friends: Ich wünsche Dir, dass der Stress endlich mal ein bisschen nachlässt so dass die Arbeit Dir nicht immer noch in den Feierabend folgt.
    Ich würde mich auch sehr freuen, wenn wir uns irgendwann wieder in so einer tollen, diskussionsfreudigen, offenen und einfach schönen Leserunde alle wieder treffen würden - ich danke Euch, :thumleft: ich habe und hatte extrem viel Spaß, mit Euch zusammen dieses tolle Buch zu lesen - ja Hypocritia :friends: ich mag es einfach, aber Du darfst gern weiterhin den Kopf schütteln :lol: auch wenn es ja entschieden weniger geworden ist...

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • puh, ich schreibe grade an der Rezension und muss dringend hier nochmals durchstöbern - wir haben so viel besprochen, mein Hörnchen-Gedächtnis hat das nicht mehr alles parat 8-[

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Na, also mit meiner abschließenden Bewertung von Buch und Leserunde wird es wohl nichts mehr werden. Das "sacken lassen" wurde vom üblichen Sommer-Alltagschaos überrundet und dann habe ich unschlauer Weise noch ein Buch zwischen rein gelesen, so dass ich jetzt kaum noch weiß, was eigentlich wirklich los war mit Paul Auster.
    Aber ein gutes hatte die Runde immerhin: Ich habe den Autor endlich auch mal gelesen und es wird sicher nicht das letzte Buch von ihm gewesen sein.

  • Bevor ich in der MLR zu Powys Wolf Solent weitermache, möchte ich meine abschließenden Gedanken zu Moon Palace schreiben:


    Ich mag dieses Buch bisher immer noch nicht, kann mich nicht dazu überwinden, es zu mögen, auch wenn es in Struktur und Sprache technisch gut ausgearbeitet ist. Den Gedanken, dass Paul Auster die amerikanisch-literarische Welt Ende der 80er krampfhaft beeindrucken wollte, werde ich einfach nicht los. Das war, soweit ich weiß, die Zeit der großen Mode des literarischen Dekonstruktivismus (hatte ich schon gepostet), sodass die Einarbeitung literaturwissenschaftlicher bzw. -philosophischer Art mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit Beachtung finden würde - wer weiß, vielleicht würde sogar die große Verreißerin aus dem "New Yorker", Michiko Kakutani, auf das Buch aufmerksam werden und Auster mit einer lobenden Kritik begünstigen? Ich kann es natürlich nicht beweisen, das ist nur eine Theorie von mir, aber durch die ganze Lektüre hindurch hatte ich das Gefühl, dass schriftstellerisches Strebertum nach Anerkennung und Gefälligkeit das Buch durchziehen würde wie fauler Mundgeruch (was natürlich kein Wunder ist, wenn man bedenkt, dass Paul Auster starker Raucher ist - nur ein kleiner Scherz :wink: ).
    Dieses Gefühl werde ich bis heute nicht los, geht nicht.


    Außerdem finde ich das Buch unter dieser gedanklichen Annahme alles andere als gut, obwohl natürlich die zentrale Aussage des Dekonstruktivismus "There's nothing outside the book" (in Bezug auf Deutung und damit einer Intention des Autors) eine gute Idee scheint. Nur wenn diese Idee sich so offensichtlich und streberhaft durch sämtliche Kapitel zieht, dann ist da eben doch eindeutig noch was außerhalb des Buches selbst, nämlich das ganz offensichtliche Streben des Autors nach Anerkennung auf höherer Ebene - womit die gesamte Grundidee, wenn dies denn die Grundidee gewesen sein sollte (ich wiederhole: das ist meine eigene Theorie), denn schon durch das Buch selbst widerlegt worden wäre. Und in diesem Zusammenhang wirken die Charaktere als unzuverlässige Erzähler nicht mehr skurril, sondern abstoßend auf mich, sowohl der Nicht-Entscheider als auch der Effing-Opa (wenngleich dieser etwas weniger abstoßend).
    Und diese Deutungsfallen, mit denen der Autor seine Leser immer wieder in Interpretationsversuche verführt, um sie dann selbst zu zerstören, waren mir einfach zu platt: "Das Leben ist ein Auf und Ab"? - Meine Güte, da kann ich gleich Thommie Bayer lesen.


    Mein persönliches Fazit: mit Moon Palace ist Paul Auster ein ehrgeiziges Vorhaben angegangen, für das seine Intelligenz einfach nicht ausgereicht hat, und das genau aus diesem Grund dann doch zu flach und anbiedernd ausgefallen ist. Es bleibt bei meiner Wertung von :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: .

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • @Hypocritia magst Du Deine Meinung nicht auch noch an die Rezension anhängen? Fände ich gut, da sehen es bestimmt mehr Leute als hier :D

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier