Cranford ist ein kleines Dörfchen im Norden Englands und zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es bis auf ganz wenige Ausnahmen ausschließlich von Frauen bewohnt ist.
Mary Smith, die zwar keine gebürtige Cranforderin ist, aber so häufig dort bei Freundinnen zu Besuch, dass sie die Dorfbewohnerinnen und ihre Gepflogenheiten allerbestens kennt und sich somit hervorragend als Erzählerin eignet. Zunächst passiert nicht viel, wir lernen die wichtigsten Charaktere kennen und erfahren, dass alles genau geregelt ist in Cranford, von der Mode bis hin zur Art und Weise, wie man Höflichkeitsbesuche abstattet. Letztere dürfen zwar nicht länger als eine Viertelstunde dauern, sind aber oft die Highlights der ansonsten von häuslichen Pflichten geprägten Tage. Männer gelten eher als Störfaktoren in der Damengesellschaft von Cranford, doch der eine oder andere spielt im Lauf der Geschichte doch noch eine wichtige Rolle.
Später wird es etwas spannender - die Angst vor Einbrechern geht um, ein Zauberkünstler kommt ins Dorf, der Zusammenbruch einer Bank bedroht die Existenz der sanftmütigen Miss Matty Jenkyns, und eine Mesalliance erhitzt die Gemüter der Cranforder Damen.
Der episodenhafte Aufbau hat es mir zunächst nicht so leicht gemacht, in das Buch hineinzufinden, und die ersten paar Kapitel, die sich im wesentlichen der Vorstellung von Dorf und Leuten und vor allem recht detailreich den Feinheiten der gesellschaftlichen Regeln widmen, fand ich trotz des angenehmen Stils mit treffenden Beschreibungen und teils überraschend bissigem Humor nicht übermäßig interessant.
In der zweiten Hälfte gefiel mir das Buch besser, weil es etwas mehr Handlung und einige interessante Entwicklungen und Verflechtungen gab. Wirklich nahegekommen sind mir die Figuren allerdings nicht, trotz teils recht ausführlicher Beschreibungen blieben sie für mich eher skizzenhaft. Schön allerdings, dass hier ein Dorf voller Frauen kein stutenbissiger Zickenhaufen ist, sondern unter den Ladies Zusammenhalt und Freundschaft vorherrschen (was nicht bedeutet, dass es keine Meinungsverschiedenheiten gibt).
Insgesamt habe ich mich ein klein wenig schwergetan mit diesem Buch, dem man anmerkt, dass es ursprünglich in Form einzelner Artikel in einer von Charles Dickens herausgegebenen Zeitschrift erschienen ist. Gaskells Art zu schreiben hat mich aber durchaus angesprochen, so dass ich es vielleicht später noch mal mit einem ihrer Romane probieren werde.
Interessant war in meiner Penguin-Clothbound-Ausgabe das Zusatzmaterial mit Hintergrundinformationen über die Zeit, in der das Buch spielt, seine Entstehungsgeschichte und das Leben von Elizabeth Gaskell, die wohl zeitlebens hin- und hergerissen war zwischen dem Anspruch, eine gute Hausfrau und Mutter zu sein und ihrem künstlerischen Bestreben.