Julian Fellowes - Eine Klasse für sich/ Past Imperfect

  • Org. Titel: Past Imperfect
    erschienen 2008 im Verlag Weidenfeld & Nicolson, London
    Seitenzahl: 479


    Inhalt (Klappentext):
    Damien - enorm reich, aber sterbenskrank - residiert mit seiner Dienerschaft in einem prächtigen Haus in Cambridge und hat nur einen Wunsch: Er möchte in Erfahrung bringen, ob er nicht doch einen Sohn, einen Erben hat für seine Reichtümer. Denn vor über zwanzig Jahren hat er einen anonymen Brief erhalten, in dem genau das angedeutet wurde.
    Der Erzähler der Geschichte soll nun diskret herausfinden, ob es diesen Sohn tatsächlich gibt. Dazu bekommt er die illustre Liste der Geliebten jener Zeit, die als Absenderinnen infrage kommen. Es sind fünf an der Zahl - und es sind fünf Besuche, die uns entführen in die untergegangene Welt des britischen Adels, bevor 1968 alles wie ein mottenzerfressener Teppich zerfiel.
    Der Chronist schwelgt in der Vergangenheit, beschreibt diese versunkene Welt, in der Damien plötzlich auftauchte. Er kam aus dem Nichts, aber die jungen Damen der besseren Gesellschaft luden Damien zu allen Festen ein, umschwärmten ihn. Und alle anderen hatten das Nachsehen.


    Autor:
    Julian Fellowes wurde 1949 in Ägypten geboren, wuchs in England auf und studierte in Cambridge Literatur. Er ist preisgektönter Autor von Romanen und Drehbüchern, für "Gosford Park" wurde er mit einem Oscar ausgezeichnet. 2009 wurde er in den Adelsstand erhoben. Julian Fellowes lebt mit seiner Familie im Südwesten der englischen Grafschaft Dorset. Zuletzt erschien "Snobs" als Taschenbuch.


    Meine Meinung u. Bewertung:
    Damien, die tragische Figur dieses Romans, Anlaß für Mütter zu Angst und Zorn, Schwarm und begehrtes Objekt der Töchter, Eindringling in eine geschlossene, feine Gesellschaft, mit ansprechendem Äußeren, Charme und Charisma, aus dem Nichts kommend, aber dann der Erfolgreichste, enorm reich, doch auch sterbenskrank und trotz des vielen Geldes einsam.
    Nach einer kurzen Erkrankung ist er nicht mehr zeugungsfähig. Jetzt am Ende seines Lebens wünscht er sich einen Sohn, dem er alles vermachen kann. Ein alter, wahrscheinlich nur versehentlich verschickter Brief, läßt ihn hoffen doch noch Vater sein zu können. Er bittet seine ehemaligen Freund, den er allerdings seit einem ausufernden Portugalurlaub nicht mehr gesehen hat, die möglichen Frauen aufzusuchen.
    Julian Fellowes entblättert anhand der Besuche die damalige Zeit. Der Erzähler lernte Damien während des Studiums kennen, läßt sich von ihm überrumpeln und auch benutzen, seine Sympathie wird schnell zu Neid und Hass. Noch einmal erwacht eine Welt, die dem Untergang geweiht ist, wovon damals aber kaum einer etwas ahnte. Seit Generationen gab es festgesetzte Regeln und Ritualien, der Lebensweg der jungen Mädchen war vorausgeplant, sollte die Verlängerung und Sicherung des Dagewesenen garantieren. Beim Debüttantinnennball wurden sie in die Gesellschaft eingeführt, Ehen wurden arrangiert, mehr nach Vernunft als nach Gefühlen und ein vorgezeichnetes Leben im goldenen Käfig war ihnen gewiß. Bis Damien kam - ein absoluter, umtriebiger Störfaktor.
    In der Tat der Roman ist very british mit feinem wohlplaziertem Humor, Ironie und auch Zynismus. Der Autor, so scheint mir, setzt sich absichtlich zwischen beide Stühle. Es ist spannend die einzelnen Charaktere zu ergründen, hinter die steife Fassade zu blicken und mitzuraten wer den nun der glückliche Erbe sein könnte. Nicht alles läßt sich aus deutscher Sicht nachempfinden, vieles ist eben ureigenst britisch. Manches verschroben und doch einiges erstaunlich offen. Die sechziger Jahre ein Einbruch in altbewährtes. Ein wunderbares, unterhaltsames, anspruchvolles Lesevergnügen für den, der ein Faible für die englische Lebensweise von damals und heute hat.
    Meine Bewertung: :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Marco Balzano, Damals am Meer

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Damien - enorm reich, aber sterbenskrank - residiert mit seiner Dienerschaft in einem prächtigen Haus in Cambridge

    Kleine Korrektur: der todgeweihte Protagonist im Buch trägt lt. Amazon.de den Namen „Damian“„Damien“ ist der Junge aus dem Horrorfilm „Das Omen“ :wink: . Auch residiert er nicht in Cambridge (da haben sich die zwei während ihres Studiums kennengelernt), sondern in der Nähe von Guildford in der Grafschaft Surrey, das liegt süd-westlich von London, während man Cambridge nord-östlich von London in Cambridgeshire findet.



    Bei Julian Fellowes' Past Imperfect habe ich wieder einmal erfahren müssen, dass ich nicht mit bestimmten Erwartungen an ein Buch herangehen sollte – das ist ganz allein mein Fehler. Ich hatte mir ein Zwischending aus der Geschichte um Gosford Park und Kazuo Ishiguros Was vom Tage übrig blieb erwartet, fand mich jedoch eher abgestoßen von all dem Gerede in Eine Klasse für sich über die Feinheiten der adligen Abstammung, der jeweiligen Herrenhäuser, über unzählige Indiskretionen und Geld, Geld, Geld. Ich mag hin und wieder eine Unterhaltungslektüre durchaus gern (ich habe mich kürzlich bei der Lektüre von Sven Regeners Der kleine Bruder glänzend unterhalten), Fellowes erschien mir persönlich langweilig mit seinem Getöne um die gesellschaftlichen Ereignisse innerhalb dieses ach so elitären Kreises, mit den entsprechenden Outfits und Dresscodes, den Haarteilen usw.


    Auch dass der Autor allein auf den ersten hundert (von fast fünfhundert) Seiten sich viermal darüber ausgelassen hat, dass er nicht glauben könne, wie anders alles vor vierzig Jahren war, kam mir ein bisschen viel vor. Überhaupt litt ich unter den schematischen Wiederholungen in Eine Klasse für sich: jedes Mal, wenn der Ich-Erzähler eine von Damians „Verflossenen“ aufsucht (und nicht nur da), führt sich einer der beiden Ehepartner auf wie die Axt im Walde, und der andere entschuldigt sich daraufhin in der tröstenden Vertrautheit des verständnisvollen Ich-Erzählers für das entgleiste Benehmen - dieses Schema behält Fellowes beinahe durchgehend bei.


    Die bedingungslose schriftstellerische Gerechtigkeit, die er sich selbst und der von ihm über vier Jahrzehnte angebeteten weiblichen Persönlichkeit angedeihen ließ, war für mich ein weiterer Punkt, der den Lesegenuss gnadenlos nach unten gezogen hat, denn


    Witzig fand ich allerdings, dass uns der Ich-Erzähler ständig vorhält, dass es in den Zeiten um 1968 bis 70 in ihren elitären Kreisen doch sehr gesittet zugegangen sei, dabei fußt das gesamte Buch allein darauf, wer mit wem damals herumgeschlafen hat.


    Das letzte Kapitel mit der Auflösung in Portugal erschien mir immerhin schriftstellerisch konsequent, denn Fellowes krönt den Plot in stilvoll gekünstelter Manier und in einer ziemlich an den Haaren herbeigezogen Szene. Und wenn der Clou eines Buches darin liegt, dass der alles entscheidende Sex im Zappendustern stattgefunden hat, also die etwas abgedroschene, wenn auch sexy- verruchte „Inkognito-Variante“ die Matratze zum Quietschen gebracht hat (das hat schon fast was von „Eyes wide shut“, oder? – aber eben nur „fast“), dann ist das für mich persönlich nicht unbedingt als ein vom Hocker reißender Aha-Effekt zu werten.


    Naja, wo denn nun genau die kopulative Verbindung zwischen Damian und der großen Unbekannten sich im Fleische der folgenden Generation niedergeschlagen hatte, das kam auch nicht gerade überraschend (beim raschen, daumenkinoartigen Durchblättern stellt man schnell fest, dass die mittleren Kapitel mit den Namen der möglichen Beischlaf-Kandidatinnen betitelt sind – dass hier ein schlichtes Ausschlussverfahren angewendet würde mit Auflösung in der letzten Kandidatin, wäre denn doch entschieden zu einfach gewesen).


    Im Großen und Ganzen musste ich lernen, dass meine Begeisterung für Julian Fellowes bezüglich seines Scripts zu Gosford Park in Past Imperfect ziemlich auf der Strecke blieb.
    Das ist aber nicht weiter schlimm – ich lese grundsätzlich sehr gerne, von daher macht es mir nichts aus, wenn mir das eine oder andere Buch nicht so zusagt – Eine Klasse für sich kann man bestimmt auch ganz anders lesen (wie gesagt, habe ich wieder einmal den Fehler begangen, mit bestimmten Erwartungen an das Buch heranzugehen). Man kann nicht bei allen Büchern eine übereinstimmende Meinung haben (ich habe noch nie jemanden gefunden, mit dem ich bei allen Büchern einer Meinung wäre; hoffentlich geschieht das auch nie, denn das wäre doch langweilig, oder?). Aber genau dieser Punkt ist im Endeffekt ein Punkt, der die Spannung vor und bei einer Lektüre oftmals noch ein bisschen erhöht. Also verzeih' mir bitte, Wirbelwind, wenn ich dieses Buch anders empfunden habe. :friends:



    Gelesen habe ich das englische Original Past Imperfect:

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Hypocritia


    Ich finde es sehr nett, dass du mich hier zu verbessern versuchst. Leider mußt du deine Beschwerde direkt an den Bertelsmann Verlag richten, denn wie man deutlich lesen kann, habe ich den Klappentext der deutschen Ausgabe kopiert - Damien u. Cambridge.
    Versehentlich habe ich Damien dann in meine Beurteilung übernommen.
    Weißt du der Ton macht die Musik. Wir verfügen hier alle über eine persönliche PN und so wäre eine Aufklärung und Berichtigung mit Brigittes Hilfe leise und freundschaftlich möglich gewesen.
    Mir sind solche Auftritte zuwider, aber da du den öffentlichen Weg gewählt hast und ich mir dabei vorgeführt und angeprangert vorkomme, muß ich wohl auch direkt antworten. Kritik ist immer gerechtfertigt sofern man seinem Gegenüber nicht auf die Füße tritt.
    Wir sind hier alle nur Hobbyrezensenten und schreiben unsere persönliche Meinung zum gelesenen Buch. Ich finde es zwar schade, wenn jemand völlig anderer Meinung ist, aber Garantien gibt es nicht. Ich habe kein Problem damit, denn würde jeder auf seine Meinung pochen, wäre das doch Rechthaberei oder?
    Ich bevorzuge den freundlichen Ton, die Umgangsart und den Spaßfaktor der vergangenen sieben Jahre im Büchertreff mit netten Bücherfreunden gleicher und unterschiedlichster Auffassung.


    Wirbelwind

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Damian Baxter war einst ein Emporkömmling, von den Reichen und Arrivierten häufig lächelnd geduldet, aber nie so ganz akzeptiert. Vierzig Jahre später ist er Multimilliardär - und todkrank. Weil er weiß, dass er ihm nicht mehr viel Zeit bleibt, nimmt er Kontakt mit einem Freund von damals auf und bittet ihn um einen letzten Gefallen. Er soll herausfinden, ob es stimmt, was Jahrzehnte zuvor in einem anonymen Brief angedeutet wurde, nämlich dass Damian ein uneheliches Kind hat.


    Der besagte Freund (und der namenlos bleibende Erzähler) ist höchst verwundert über diesen Auftrag, ist er doch mit Damian schon seit langem zerstritten. Dennoch lässt er sich auf die Spurensuche ein und taucht bei seinen Recherchen selbst noch einmal tief ein in die Vergangenheit und all das, was ihn einst mit Damian verbunden hat: Jungsein in den späten 60er Jahren, das Aufbrechen verkrusteter Strukturen damals, als man glaubte, alles würde sich grundlegen ändern durch die 68er-Bewegung, die kleine Clique, zu der beide gehörten, die rauschenden Feste, die Flirts ... und auch die Rivalitäten, denn während der Erzähler zwar aus der Oberschicht stammt, hatte er als junger Mann doch nie das Gefühl, richtig dazuzugehören, während dem attraktiven, wortgewandten und draufgängerischen Damian die Herzen vieler Frauen nur so zuzufliegen schienen.


    Julian Fellowes, der als Drehbuchautor von "Downton Abbey" einem größeren Publikum bekannt wurde, kombiniert das Detektivspiel des Erzählers geschickt mit einem großartigen Gesellschaftsporträt und entlarvt dabei die Überheblichkeit und den Standesdünkel der Upper Class mit ziemlich spitzer Feder. Die Zeitsprünge zwischen den späten 60er Jahren und der Erzählgegenwart Ende der 2000er lassen immer wieder interessante Vergleiche zwischen den Erwartungen der damaligen Jugend und der realen persönlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu, und auch wenn die wenigsten Figuren wirklich sympathisch daherkommen, so übt das Buch doch eine ziemliche Faszination aus und zeigt eine in sich geschlossene, in vielem veraltete und überkommene Welt, in die man damals wie heute als Außenstehender nur schwer eindringen kann (und das nach der Lektüre dieses Romans wohl auch gar nicht mehr wollen würde).


    Ich hatte vor dem Lesen etwas Bedenken, ob ich mich da auf fast 500 Seiten gepflegte Langeweile einlasse, wurde aber ganz schnell eines Besseren belehrt. Fellowes gießt seine scharfen Beobachtungen, oft mit etwas sarkastischem Humor, in elegante Formulierungen, die Maria Andreas wirklich kongenial ins Deutsche übertragen hat - das alleine hat schon viel Freude gemacht beim Lesen, und dass die Suche nach Damians mutmaßlichem Kind buchstäblich bis zur letzten Seite spannend geblieben ist, war natürlich auch kein Fehler.

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Julian Fellowes, Eine Klasse für sich“ zu „Julian Fellowes - Eine Klasse für sich/ Past Imperfect“ geändert.