Birand Bingül - Der Hodscha und die Piepenkötter

  • Inhalt (Cover):
    Treffen sich zwei Kulturen....
    Irgendwo in einer mittelgroßen Stadt in Deutschland: Viel Industrie gibt es und viele Türken. Etwas Aufregendes ist hier noch nie passiert. Bis die türkische Gemeinde einen neuen Geistlichen bekommt: Nuri Hodscha kündigt zum Einstand an, eine prächtige Moschee bauen zu wollen. Ohne die Bürgermeisterin gefragt zu haben! Ursel Piepenkötter, machtbewusste CDU-Anhängerin, ärgert sich gewaltig. Und sieht die Gelegenheit gekommen, durch eine wohldosierte Portion Populismus ihre Beliebtheit kurz vor der Wahl zu steigern. Doch als sie Nuri Hodscha in aller Öffentlichkeit den Marsch blasen will, stellt sie fest, dass der ein mit allen Wassern gewaschener Gegner ist.....


    Autor:
    Birand Bingül, geb. 1974, ist Journalist und Autor. Der WDR-Redakteur hat sich viele Jahre intensiv mit dem Themen Integration und Migration beschäftigt und war u. a. Kommentator der ARD Tagesthemen. "Der Hodscha und die Piepenkötter" ist sein zweiter Roman.


    Meine Meinung u. Bewertung:
    Zweifellos dieser Roman lehnt sich stark an "Don Camillo und Peppone". Dennoch ein Abklatsch ist es nicht. Birand Bingül bietet einige Spitzfindigkeiten, die für Erheiterung sorgen. Und überhaupt der ständig im Gespräch mit Allah stehende jähzornige Hodscha, der Bruce Springsteen liebt, und seine Gegenspielerin Ursel Piepenkötter, die selten mäßig, aber regelmäßig trinkende Rotweinkonsumentin, sind mir vom ersten Augenblick an sympathisch. Ich verfolge ihre Streitereien, Hinterhältigkeiten und heimliche Treffen mit höchstem Vergnügen. Allzu viel Ernsthaftigkeit und Realistisches packt man jedoch besser vorübergehend zur Seite. Auch Lösungen hat der Autor keine zu bieten und jene, die er halbherzig anbietet (so z.B. warum seine Tochter das Kopftuch trägt, klingen sehr wässern) helfen nicht wirklich weiter. Aber ansonsten ist dieser Zweikampf amüsant, spritzig, mit jeder Menge Ironie geschmückt, geht keinem Vorurteil aus dem Wege, und somit sehr unterhaltsam.
    Eine Forstsetzung würde ich sehr begrüßen, vorausgesetzt dem Autor gelingt es nicht ins Banale abzutrifften oder Ursel Piepenkötters Leber tritt nicht in den wohlverdienten Streik. :loool:
    Fazit: Für alle, die sich gerne auf locker, leichte, witzige Art gut unterhalten lassen ohne unbedingt auf Lösungen zu hoffen. Aus diesem Blickwinkel sind :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: ausgezeichnet angelegt. :thumleft:


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Margriet de Moor, Die Verabredung

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Dazu fiel mir gleich der Kölner Moscheestreit ein. Wenn der Autor beim WDR arbeitet, kann man wohl nicht von der Hand weisen, dass er sich von den Kölner Auseinandersetzungen inspirieren ließ.
    Oder wie siehts Du das, @ Wirbelwind?

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Ah danke für den Link, Marie! Natürlich ist das naheliegend, wenn Birand Bingül für den WDR arbeitet.
    Die Kölner mußten zwar nicht mit einer Frau Piepenkötter rechnen, aber heftigste Diskussionen und wer weiß welche inoffiziellen Gespräche wurden sicher auch geführt. :lol: Birand Bingül überzieht natürlich alles mit Ironie.
    In Mannheim fanden diese Diskussionen schon viel früher statt. Die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee wurde bereits nach zweijäriger Bauzeit 1995 eröffnet. Heiße Schlachten wurden auch damals schon ausgefochten.


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Mary Ann Shaffner, Deine Juliet

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Birand Bingül traut sich was – er schreibt einen Roman, in dem er alle möglichen Vorurteile auf den Tisch legt und von allen Seiten betrachtet. Der Hodscha, der heimlich Bruce Springsteen hört und der Allah immer mal wieder bitten muss, wegzuschauen, wenn er gegen die Piepenkötter ins Feld zieht, nutzt nur zu gern mal die Vorurteile der Deutschen gegen Türken und den Islam aus, um Punkte zu erzielen. Wer würde ahnen, dass hinter der Fassade des kleinen dicken Türken, der bestenfalls gesprochen Deutsch spricht, ein kluger und gewitzter Mann steckt, der doch recht westlich eingestellt ist – zumindest weit häufiger als sein Gegner Metin, dessen Gemeinde vom Verfassungsschutz beobachtet wird – und der eigentlich in der Lage ist, fließend Deutsch zu sprechen? Und wer in de Stadt vermutet hinter der konservativen Ursel Piepenkötter eine rotweintrinkende Manipulatorin, die vor fast nichts zurückschreckt, um die kommende Wahl zu gewinnen? Mit der Zeit merkt der Leser zumindest eins: so unterschiedlich sind der Hodscha und die Piepenkötter gar nicht und ihre Streitereien sind in jedem Fall sehr unterhaltsam und recht witzig.
    Birand Bingül versteht es gut, die Situation in der Stadt aufs Korn zu nehmen und durch das Aufgreifen der Vorurteile auch mit dem einen oder anderen aufzuräumen. Dabei verschont er weder die konservativen Deutschen, noch die Türken, und gerade die Dialoge zwischen Nuri Hodscha und Allah fand ich total gelungen und sehr komisch. Zwischen den Zeilen kann man als nicht-muslimischer Leser sicherlich auch einiges mitnehmen und erfahren, das man noch nicht wusste – ähnlich wie Ursel Piepenkötter muss man sich auch das ein oder andere sagen lassen.
    Ein aktuelles Thema in einem gut erzählten Roman verpackt – trotz einiger Längen im Mittelteil wirklich ein lesenswertes Buch.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

  • Es ist sein erster Tag in Deutschland, sein erster Tag in der Stadt! Nuri Hodscha wurde von der türkischen Religionsbehörde als neuer Imam eines örtlichen Moscheevereins in die Stadt geschickt . Doch kaum ist Nuri Hodscha angekommen, sorgt er für Aufsehen. Er fordert nämlich sofort eine repräsentative Großmoschee.
    Darüber ist die Oberbürgermeisterin Piepenkötter in keiner Weise erfreut. Tatsächlich kommt der Vorstoß des Imam äußerst ungelegen. In sechs Wochen steht nämlich die Wahl zum Oberbürgermeister an und Ursula Piepenkötter möchte gerne wiedergewählt werden. Der Vorstoß des Hodschas (der Titel eines Religionsgelehrten) könnte der komfortablen Vorsprung der Amtsinhaberin gefährden.
    Aus diesem Grundproblem ergibt sich ein Schlagabtausch, in dem keine Seite vor etwas zurückschreckt.
    Es ist nicht leicht, dass Buch in ein bestimmtes Genre einzuordnen. Thematisch handelt es sich eindeutig um ein Buch zur Integrationsdebatte, die ein Dauerthema der Gesellschaft zu sein scheint. Dabei wirkt das Buch aber insbesondere zu Beginn, als wolle es sich diesem oft hart geführten Thema von eine witzigen und satirischen Seite nähern. Auch das Cover und die Druckart des Titels erwecken den Eindruck, als hätte man es hier mit einem humoristischen Buch zu tun. Es gehört aber definitiv nicht in die Humorabteilung einer Bücherhandlung. Im Verlauf der Geschichte verwischt der Eindruck einer satirischen Geschichte immer stärker. Die Bandagen, mit denen die Protagonisten kämpfen, sind nämlich so hart, dass selbst die immer wieder auftauchenden satirischen Ansätze in den Hintergrund rücken.
    Verwirrend ist auch die Geschichte selbst. Auf der einen Seite wirkt sie realistisch, da sie immer wieder gehörte Vorurteile über Politiker bzw. Muslime mit anschaulichen Beispielen unterfüttert. Damit mögen zwar zum Teil Stereotype bedient werden. Dennoch handelt es sich um die Punkte der öffentlichen Diskussion. Auf der anderen Seite ist die Geschichte aber zu tiefst unglaubhaft. Das Handeln der Bürgermeisterin und des Hodschas sind teilweise derartig verachtungswürdig, dass es geradezu lächerlich ist, wie die daraus eigentlich entstehenden Probleme bei Seite gewischt werden. So lässt der Hodscha den Sohn der Oberbürgermeisterin zusammenschlagen. Die angebrachte Wut der Oberbürgermeisterin über diese Straftat verraucht aber innerhalb weniger Seiten und lässt die Beziehung zwischen den Hauptpersonen, wie es eigentlich zu erwarten wäre, nicht endgültig scheitern. Man hat vielmehr das Gefühl als würden beide Seite über derartige Punkte geradezu hinweggehen. Auch zahlreiche andere Situation bzw. Reaktionen sind derart unrealistisch, dass sie die Glaubhaftigkeit der Geschichte zerstören. Insgesamt wirkt der Plot daher sehr konstruiert. Dies ist umso bedauerlicher, als das Buch – trotz der eher unsympathischen Hauptpersonen der Oberbürgermeisterin und des Hodschas – lehrreich sein könnte, um auch die andere Position nachzuvollziehen. Die Geschichte ist trotz ihrer Schwächen interessant und kurzweilig.
    Bei all den Schwächen in der Glaubhaftigkeit der Geschichte schafft es Bingül dennoch durch eine lebhafte Erzählweise eine gewisse Bindung des Lesers zu den Charakteren aufzubauen. Die Dialoge sind der Alltagssprache abgeguckt und lassen daher (wenn schon nicht den Plot so doch) die Charaktere an sich real erscheinen.
    Fazit: Das Buch hat meine Erwartungen an ein humoristisches Buch nicht erfüllt. Das ernste Thema wird nämlich durchaus ernsthaft und wenig humorvoll behandelt. Das Integrationsthema selbst ist jedoch gut erzählt und getroffen. Die Schwächen in der Glaubhaftigkeit der Situationen und Reaktionen, über die ich mich schon fast hätte aufregen können, verhindern nicht, dass immer wieder Verständnis für die jeweils andere Position aufkommen kann. Hinsichtlich der Bewertung wird das Buch schließlich einigermaßen durch die lebendige Erzählweise und Sprache gerettet, da dadurch Langeweile nicht aufkam. Man bleibt an der (unrealistischen) Geschichte interessiert. Insgesamt ist das Buch daher noch als „gut“ zu bewerten.