Zugegeben: solche Bücher “muss man mögen”, sonst wird das nichts. Ich mag derartige Geschichten: Ein paar Leute erzählen einfach nur, was sie so machen oder gemacht haben. Aber dann müssen sie auch wirklich was machen und nicht nur daherlabern und über ihre Gefühle reflektieren! Gemacht wird hier eine Menge, und zwar in erster Linie erwachsen geworden (oder naja… “erwachsen” halt). Zu diesem Zweck gründet man eine Band, um total erwachsen Frauen aufzureißen. Die Thematik hat mich ein wenig an das von mir sehr geschätzte Im Jahr der Weiber von Kurt Appaz erinnert. Das Buch war dann auch tatsächlich irgendwie ähnlich, und doch ganz anders. Im Jahr der Weiber liegt der Handlungszeitraum in den 70ern, der Haarweg zur Hölle ist ein Jahrzehnt später angesiedelt, in den 80ern. 80er Jahre und Musik – da denkt man natürlich als erstes an Modern Talking oder Depeche Mode, aber eher nicht in erster Linie an eine völlig verkannte Musikstilrichtung: Den Hair Metal. Und der heißt wirklich so, was ich auch erst beim Nachlesen auf Wikipedia herausfand. Gemeint sind Bands wie Europe, Cinderella, Bon Jovi oder Guns n Roses – die stets perfekt gestylt und mit enorm auftoupierter Matte anzutreffen ware. Und bei denen es “gar nicht darauf ankommt, wie brillpant das Solo ist, dass der Gitarrist gerade sielt, sondern welche Hose er dabei trägt und dass diese im Idealfall vorne richtig gut bestückt ist.”
So gründet man denn die Band “Llord Nakcor”, nennt sich selbst in Anlehnung an Idole wie Nikki Sixx statt Andi und Dirk eben Rexx und Stikki und ist der festen Überzeugung, ein paar harte Gitarrenriffs, enge Hosen und taffe Songs, in denen sich Night grundsätzlich auf Fight reimt, ganz groß rauszukommen. Es war erheiternd und rührend zugleich, zu lesen, wie die Hauptperson und Ich-Erzähler Andi (ich lese am liebsten Ich-Erzähler Romane, da ist man immer gleich mittendrin statt nur dabei…) und seine Mannen sich selbst für arschcool und total rockig-tough halten mit ihren Gitarren und den harten, selbstgedichteten Metal Songs, während andere Gruppierungen Hair Metal absolut “schwul” finden – und umgekehrt!
Das Buch lebt vor allem von dem schnodderigen Erzählstil und dem offensichtlichen Insiderwissen. Hermann Bräuer spielte in seiner Jugend selbst in mehreren Hair Metal Bands, und die Vermutung liegt nahe, dass weite Teile des Buches autobiographisch geprägt sind. Besonders gefallen hat mir die ordentliche Prise Selbstironie, mit der erzählt wird. Einerseits scheint dem Autor die Entwicklung seiner pubertären Helden am Herzen zu liegen, andererseits merkt man 20 Jahre später meistens ja selber, wie lächerlich manche verzweifelten versuche, erwachsen zu wirken, doch gewirkt haben müssen – vor allem, wenn man sich nicht anmerken lassen will, dass man im Grunde gar keine Ahnung hat.
Trotz dieser Fixierung auf Äußerlichkeiten der neugegründeten Hair Metal Band, trotz des Fehlens eines klassischen Spannungsbogens und trotz des eher seichten Dahinplätscherns der Handlung ist ist das Buch nie oberflächlich, sondern gerade wegen der lakonischen Retrospektive eigentlich richtig herzerwärmend. Es ist ein bisschen Roadmovie, ein bisschen Popliteratur im weiteren Sinne, ein bisschen Alltagsblala und ein bisschen “Buch über das Erwachsenwerden”. Ein Buch über Träume, Wünsche und den Versuch, diese wahr werden zu lassen, aber auch über die Erkenntnis, dass manche Träume ganz schön desillusionierend sind, wenn man sie denn erreicht und auch darüber, dass leider das meiste im Leben vergänglich ist.
Ich finde dieses sicherlich eher ungewöhnliche Buch schwer zu rezensieren, aber bei mir hat es eindeutig einen Nerv getroffen. Insofern kann ich nur eine Leseempfehlung aussprechen für alle, die schon immer gern Popliteratur gelesen haben und denen das Fehlen einer Handlung im eigentlichen Sinne nichts ausmacht, solange das, was beschrieben wird, dabei wenigstens ordentlich komisch ist.
Definitiv eins der unterhaltsamsten und flottesten Bücher, die ich in der letzten Zeit gelesen habe und das leider viel zu schnell vorbei war! :thumright: